Ein Computer in Kenia
Geschrieben am 19.05.2020 von HNF
Daten, die man verarbeiten kann, gibt es nicht nur in der nördlichen Hemisphäre und in den Industriestaaten. 1921 brummten Lochkartenmaschinen in Südafrika. In den 1950er-Jahren richtete die British Tabulating Machine Company eine Filiale in Nairobi ein. 1960 lief dort der erste Computer Ostafrikas. Er stammte von der englischen Firma ICT und nahm ein schlimmes Ende.
Nicht nur der Mensch ist out of Africa, sondern auch die Rechenkunst. Der mehr als 40.000 Jahre alte Lebombo-Knochen wurde im jetzigen Swasiland gefunden; er trägt 29 parallele Kerben, den wohl frühesten Beleg für ein Zahlenverständnis. Die Elemente von Euklid, mit denen das Abendland Mathematik lernte, erschienen vor mehr als zwei Jahrtausenden im nordafrikanischen Alexandria.
Bei der Rechentechnik ging es in Afrika nicht so schnell. 1921 liefen Hollerith-Maschinen im von weißen Politikern regierten Südafrika. Ab 1952 arbeitete dort eine Tochtergesellschaft der IBM; sie bot moderne Lochkartengeräte an. Sieben Jahre später wurde eine IBM 305 RAMAC eingeführt, ein Röhrenrechner mit Plattenspeicher. Der wohl erste afrikanische Computer stand 1957 im unabhängig gewordenen Marokko. Im französischen Algerien – das erst 1962 unabhängig wurde – bekam ein Forschungsinstitut 1959 eine IBM.
Das ostafrikanische Kenia war damals englische Kolonie. Es erstaunt deshalb nicht, dass Mitte der 1950er-Jahre die British Tabulating Machine Company ein Büro in der Hauptstadt Nairobi eröffnete. Es saß in einem der schönsten Gebäude, dem Gilfillan House. Zunächst verkaufte und vermietete die BTM Lochkartenmaschinen, wie es die IBM-Tochter in Südafrika tat. Vermutlich handelte es sich um Geräte der Hollerith-Familie; den Namen benutzten die Briten als Produktbezeichnung. Das Büro in Nairobi bot außerdem Rechendienste an.
1959 fusionierten im fernen England die British Tabulating Machine Company und der Erzrivale Powers-Samas. Es entstand die Firma International Computers and Tabulators, kurz ICT. Auch der Ableger in Nairobi änderte seinen Namen. Unser Eingangsbild (Foto Michael Jefferies CC BY-NC 2.0 seitlich beschnitten) zeigt das Gilfillan House in den 1960er-Jahren; im Zentrum erkennt man die drei Buchstaben ICT über den Lettern von SONY. Mittlerweile blockieren in der Kenyatta Avenue diverse Wolkenkratzer die Sicht aufs Gebäude.
1960 erhielt das ICT-Büro Nairobi einen Röhrenrechner mit Magnettrommel. Die ICT 1202 war der erste Computer Ostafrikas und für die Eisenbahngesellschaft bestimmt. Installiert wurde er beim Hauptbahnhof in einem Holzhaus auf Stelzen; eine Belüftungsanlage mit großen Ventilatoren besorgte die Kühlung. Um fünf Uhr morgens kam ein Polizist vorbei und fuhr Computer und Trommel hoch. Das dauerte eine halbe Stunde und brachte Kuldeep Singh Sunde – so hieß der Polizist – einen hübschen Nebenverdienst.
Einige Jahre klappte alles bestens – bis zu einem schicksalhaften Tag nach der Loslösung Kenias aus dem britischen Empire. Wachtmeister Sunde erschien wie gewohnt und schloss den Computerraum auf. Als er den Schrank mit dem Trommelspeicher öffnete, zischte ihn eine hochgiftige Puffotter an. Sie war nachts durch eine Öffnung der Belüftung gekrochen und hatte sich auf der noch warmen Trommel niedergelassen. Der Polizist wich erschrocken zurück und griff nach der Dienstpistole, die er an jenem Tag dabei hatte.
Sein Schuss schlug die Schlange in die Flucht, die Kugel traf aber den Speicher und machte ihn unbrauchbar. Der Computer hatte jetzt nur noch Schrottwert; eine Ersatztrommel war in Kenia nicht verfügbar. Zum Glück war schon der Nachfolger unterwegs, ein Transistorrechner des Typs ICT 1500. Er basierte auf dem amerikanischen Modell RCA 301. Als Peripheriegeräte kamen sechs Bandlaufwerke und ein Anelex-Drucker mit; die ICT 1500 verstand auch die Programmierprache COBOL.
Ein Problem blieb noch. Die Eisenbahngesellschaft hatte den beschädigten Rechner nur gemietet, Eigentümer war die ICT-Vertretung. Ihr drohte nun ein saftiger Einfuhrzoll, denn der Computer stammte aus England. Doch afrikanische Beamte können findig sein. Die ICT 1202 wurde einfach exportiert, wodurch der Zoll entfiel. Die Ausfuhr geschah durch Überführen der Hardware in den kenianischen Hafen Mombasa und Umladen auf einen Lastkahn. Der Kahn wurde aus der Drei-Meilen-Zone geschleppt und die Last über Bord gekippt.
So tragisch können Mainframes enden. Aufgeschrieben hat die Geschichte der in Kenia geborene englische Computeringenieur Jitze Couperus. Aus Afrika führte ihn der Beruf in die Vereinigten Staaten und zur Firma Control Data; heute lebt Couperus im Silicon Valley. In Nairobi gibt es ein ICT Museum, das auch ältere Computer zeigt. Es hat aber nichts mit der gleichnamigen britischen Firma zu tun, sondern gehört zu einer Hochschule; das Kürzel steht für „Information and Communication Technologies“.
Danke für den spannenden Einblick und die tolle Quelle zur Digitalgeschichte in Afrika. Ich habe den Zeitzeugenbericht Couperus daraufhin mit Verweis auf Sie ebenfalls in unserem Blog aufgegriffen und um einige Werke von HistorikerInnen zum Computereinsatz in Afrika ergänzt: https://www.computerisierung.com/?p=1215