Eine Kugel zum Schreiben
Geschrieben am 24.01.2020 von HNF
1874 kam in den USA die „Sholes and Glidden“ heraus, die Urmutter unserer heutigen Schreibmaschinen. Einige Jahre vorher erschien in Dänemark die Schreibkugel von Rasmus Malling-Hansen, der eine Schule für Gehörlose in Kopenhagen leitete. Am 25. Januar 1870 meldete er seine Erfindung zum Patent an. Die „Skrivekugle“ war die erste kommerziell angebotene Schreibmaschine der Welt.
„Schreibkugel ist ein Ding gleich mir – von Eisen / und doch leicht zu verdrehn zumal auf Reisen. / Geduld und Takt muss reichlich man besitzen / und feine Fingerchen, uns zu benuetzen.“ Diese Zeilen brachte der Philosoph Friedrich Nietzsche 1882 zu Papier; im Original sind alle Worte groß geschrieben. Er tat es mit seiner Schreibmaschine, die er im Gedicht sprechen lässt. Sie wurde vor 150 Jahren zum Patent angemeldet.
Die Schreibkugel war die Erfindung von Hans Rasmus Malling Johan Hansen, besser bekannt als Rasmus Malling-Hansen. Er kam 1835 auf der dänischen Insel Lolland zur Welt. Von einem ortsansässigen Politiker gefördert, besuchte er ein Lehrerseminar; daneben studierte er Theologie. Ab 1859 unterrichtete er gehörlose Kinder in Kopenhagen und in Schleswig, das damals zu Dänemark gehörte. Von 1865 bis zu seinem Tod im Jahr 1890 leitete Rasmus Malling-Hansen das „Dovstummeinstitut“ in Kopenhagen.
Ab 1865 beschäftigte er sich mit einer Maschine zum Schreiben. Vielleich kannte er den Raphigraph des Franzosen Pierre-François-Victor Foucault, ein Schreibgerät für Blinde. Es sticht Buchstaben in Papier und weist eine Reihe von Tasten auf, deren Stäbe konzentrisch zusammenlaufen. Sicher ist, dass Rasmus Malling-Hansen zuerst mit einem Porzellanmodell der Tastatur experimentierte. Nach einer weniger sicheren Überlieferung baute er 1869 eine vollständige Ausführung und fuhr damit zu einer Industrieausstellung nach Altona.
Am 25. Januar 1870 meldete Malling-Hansen die Skrivekuglen in Kopenhagen zum Patent an. Im April folgte eine Anmeldung in Stockholm, im Mai eine in London. Die Patente wurden rasch erteilt. Am 8. September 1870 stellte der Erfinder eine Schreibkugel Fachleuten und Reportern vor. In den Fotos erkennt man die Halbkugel mit den Tasten und in der Kiste den Zylinder mit einem Papierbogen. Neben ihm sitzen zwei Elektromagnete, die eine Drehung bewirken. Nicht zu sehen ist die Batterie und das Kohlepapier, das die Schrift hervorruft.
Rasmus Malling-Hansen nahm dann den Schreibmechanismus aus der Kiste heraus. 1871 schilderte die Stuttgarter Zeitschrift Der Welthandel die neue Version. Einen weiteren Bericht brachte 1872 das Polytechnische Journal; die zugehörige Abbildung zeigt die Kugel rechts unten. Das Papier lag nicht mehr auf dem Zylinder, sondern auf einer verschiebbaren Platte. Ein ähnliches Gerät präsentierte 1937 die englische Wochenschau; es erscheint bei Minute 2:05. Diese Schreibkugel stammte aus dem Londoner Science Museum.
1875 vollendete Rasmus Malling-Hansen das bekannteste und schönste Modell; wir sehen es im Eingangsbild. Es arbeitet rein mechanisch und enthält ein Farbband. Die Animation macht deutlich, dass die Schreibkugel anders operiert als moderne Schreibmaschinen: Der Papierbogen ist um 90 Grad gedreht und rückt Zeile um Zeile nach rechts. Ein solches Gerät besaß auch Friedrich Nietzsche; wegen einer missglückten Reparatur wurde er aber nicht froh damit. International waren Schreibkugeln bis kurz nach 1900 im Einsatz.
Malling-Hansens Meisterwerk gab es nicht im Laden, sondern nur auf Bestellung. Die meisten Schreibkugeln kamen aus einer Kopenhagener Werkstatt, Jüngers Mechaniske Etablissement. Um 1880 kostete jede 450 Reichsmark; ein Arbeiter verdiente im Monat 80 Reichsmark. Insgesamt entstanden rund zweihundert Stück. Sie wurden ab den frühen 1870er-Jahren ausgeliefert; die „Skrivekuglen“ war damit die erste kommerziell erhältliche Schreibmaschine. Die amerikanische Sholes and Glidden erschien erst 1874 im Handel.
Die Schreibkugel ging am Markt unter, sie war wohl auch eine technische Sackgasse. So fehlte der Platz für Tasten mit kleinen Buchstaben. Umso rühriger sind die Rasmus-Malling-Hansen-Fans; sie sind europaweit vernetzt und betreiben eine informative Internetseite. 2018 tagten sie im HNF. Wer die Schreibkugel des HNF besichtigen möchte, muss dies bis zum 22. März 2020 in Basel tun, wo sie in einer Friedrich-Nietzsche-Ausstellung steht. Anschließend kehrt sie wieder nach Paderborn zurück.