Eine Rechenmaschine für den König
Geschrieben am 01.12.2017 von HNF
Das edelste Exponat des HNF ist der Arithmometer für König Ferdinand II. von Portugal. Er wurde 1852 vom französischen Versicherungsunternehmer Charles Xavier Thomas gebaut. Seine Rechenmaschinen waren die ersten, die in Serie entstanden; sie bildete später die Grundlage der deutschen Rechenmaschinenindustrie. König Ferdinand war ein Prinz deutschen Geblüts; er regierte Portugal von 1837 bis 1853.
Reklame muss sein. Diesen Satz kannte man schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in der Rechentechnik, die noch nicht so umfangreich war wie heute. Doch es gab schon Rechentafeln, Rechenschieber und die eine oder andere mechanische Rechenmaschine. In England grübelte Charles Babbage über einen programmgesteuerten Digitalrechner nach.
Reklame kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Der einfachste ist der schriftliche: Ein Erfinder schildert seine Erfindung oder sucht einen Autor, der darüber einen Artikel oder gar ein Buch erstellt. Vor 170 Jahren gab es noch einen anderen Weg. Man baute eine besonders schöne Ausführung des Geräts und schenkte sie einer hochstehenden Person, einem König, einem Fürsten oder gar dem Papst. Das brachte ein Dankschreiben, einen eindrucksvollen Orden oder vielleicht den Auftrag für ein weiteres Gerät.
Ein Meister solcher Werbung war Charles Xavier Thomas. Er wurde 1785 als Sohn eines Arztes in Colmar geboren. Die Stadt liegt im Elsass und war stark durch die deutsche Kultur geprägt; die Vorfahren der Familie Thomas kamen aber aus Burgund. Charles Xavier arbeitete zunächst in der Verwaltung, machte aber ab 1809 Karriere in der Armee. In Portugal und in Spanien war er mit dem Nachschub der dort stationierten Truppen befasst. Ab 1814 diente er dem Fürsten von Angoulême, einem Sohn des späteren französischen Königs Karl X.
1819 begann für Thomas eine lange und erfolgreiche Tätigkeit in der Versicherungsbranche. 1820 meldete er eine Rechenmaschine für die vier Grundrechenarten zum Patent an. Sie enthielt Staffelwalzen ähnlich denen, die Gottfried Wilhelm Leibniz über ein Jahrhundert vorher in seiner Maschine verwendete. Wie Thomas von ihnen erfuhr, ist unbekannt. 1821 führte er seinen Arithmometer Fachleuten in Paris vor und avancierte zum Ritter der Ehrenlegion. Von nun an schrieb er sich Charles Xavier Thomas de Colmar.
Das Museum für amerikanische Geschichte in Washington verwahrt die älteste seiner Rechenmaschine. Sie stammt aus dem Jahr 1822 und wurde nach Entwürfen von Thomas von einem Uhrmacher gebaut. Im Foto sehen wir rechts drei Schieber zum Einstellen einer Zahl und darüber den Schlitten mit dem Summierwerk. Multipliziert wird durch Addieren des Inputs und Vorrücken des Schlittens zur nächsten Stelle. Die Anzahl der Additionen läßt sich am Schieber ganz links einstellen. Die Maschine hatte keine Kurbel; stattdessen zog der Benutzer ein Seidenband heraus.
Nach der Erfindung legte Thomas die Technik beiseite und konzentrierte sich auf seine Geldgeschäfte. Erst 1848 entstand das nächste Modell, jetzt mit einer Kurbel. In den 1850er-Jahren hatte Thomas Geld und Zeit für ein neues Unternehmen, und das war der Serienbau von Rechenmaschinen. Gefertigt wurden im ersten Jahrzehnt zwischen 300 und 400 Stück. Einzelheiten dazu verdanken wir der Internetseite von Valery Monnier. Sie enthält auch eine Übersicht über die Geräte, die an gekrönte Häupter und Aristokraten gingen.
Eine dieser Rechenmaschine steht heute im HNF. Thomas schickte sie 1852 nach Lissabon; den Deckel zieren, siehe Eingangsbild, die Worte „Für seine Majestät den König von Portugal – mit vorzüglicher Hochachtung vom Erfinder“. Der Monarch war Ferdinand II. aus dem Hause Sachsen-Coburg-Saalfeld. Geboren 1816 in Wien, heiratete er 1836 die portugiesische Königin Maria II. Ab 1837 durfte er sich gleichfalls König nennen und blieb es bis 1853. Danach war er Prinzregent für seinen Sohn, der 1855 als Pedro II. den Thron bestieg.
Neben der hochherrschaftlichen zeigt das HNF zwei normale Thomas-Maschinen, weitere zwei liegen im Depot. Die späteren Typen besitzen Elemente, die in dem Modell von 1852 fehlen, die Fensterchen für den zweiten Faktor der Multiplikation. Dieser ergibt sich aus den Kurbeldrehungen an den jeweiligen Dezimalstellen. Thomas führte die Funktion 1858 ein und schuf damit den Standardtyp der Vier-Spezies-Maschine. Einen weiteren Arithmometer der Königsklasse erhielt jüngst das Bonner Arithmeum. Er war 1851 ein Präsent für den Zaren.
Charles Xavier Thomas de Colmar starb 1870 in Paris. Insgesamt baute er rund 2.200 Maschinen. Sein System prägte die mechanische Rechentechnik noch hundert Jahre lang. Ab etwa 1880 produzierte der Ingenieur Arthur Burkhardt in Glashütte den Arithmometer in Lizenz; er begründete die deutsche Rechenmaschinenindustrie. Die Staffelwalzen erhielten bald Konkurrenz durch die Sprossenräder der Brunsviga und ihrer Nachbauten. Mit Thomas de Colmar begannen aber die modernen Zeiten der mechanischen Informatik.
Und weil Reklame sein muss, folgt unten noch ein Blick in die Arithmometer-Abteilung des größten Computermuseums der Welt (Foto: Jan Braun, HNF). Die Reihe eröffnet natürlich das Meisterstück des elsässischen Pioniers, das im Detail im Eingangsbild zu sehen ist (Foto: Jan Braun, HNF).