Herr Leibniz und seine Rechenmaschine

Geschrieben am 01.07.2016 von

Im gerade laufenden Leibniz-Jahr steht der erste Höhepunkt an. Am 1. Juli können wir den 370. Geburtstag des großen Gelehrten feiern. Gottfried Wilhelm Leibniz erfand unter anderem die Differential- und Integralrechnung und das Rechnen im Dualsystem. Heute möchten wir aber auf seine Rechenmaschine eingehen. Sie war das erste technische Gerät, das Zahlen miteinander multiplizieren konnte.

Gottfried Wilhelm Leibniz kam vor 370 Jahren als Sohn des Universitätsprofessors Friedrich Leibnütz und seiner Frau Catharina in Leipzig zur Welt. Damals galt in Sachsen der Kalender, den Julius Caesar geschaffen hatte. Sein Wiegenfest feierte Leibnütz bzw. Leibniz – so schrieb er sich ab 1671 – noch lange am 21. Juni. Auch an seinem Haupt-Arbeitsplatz Hannover wurde bis 1700 julianisch gezählt.

Inzwischen gilt der gregorianische Kalender, somit hat der große Leipziger am 1. Juli Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! Schon drei Beiträge unseres Blogs widmeten sich seinen mathematischen und kryptologischen Ideen. Heute geht es um die Erfindung, die ihn in die Galerie der Pioniere brachte: die Rechenmaschine für die Grundrechenarten. Unser Eingangsbild zeigt den funktionsfähigen Nachbau, den das HNF nach Vorarbeiten des Dresdner Informatikers N. Joachim Lehmann anfertigte (Foto: Jan Braun, HNF).

Gottfried Wilhelm Leibniz

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)

Das Original liegt in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover. Den Bau begannen Leibniz und seine Mechaniker in den 1690er-Jahren. Der Gelehrte beschäftigte sich damit bis zu seinem Tod im Jahr 1716. Von 1677 bis 1694 arbeitete er schon an einem ähnlichen Rechengerät, das verschollen ist. Dasselbe gilt für die hölzerne Maschine, die er 1673 in London der Royal Society zeigte, und für das Modell aus Messing, das er 1675 der Akademie der Wissenschaften in Paris vorführte.

Rechenmaschinen gab es schon vor Leibniz. Bekannt sind diejenige von Wilhelm Schickard von 1623 und die Pascaline, die Blaise Pascal ab 1645 fertigte. Beide enthielten ein Addierwerk nach dem Prinzip des Kilometerzählers. Dabei stellt man nacheinander die Summanden ein und liest das Ergebnis ab. Die Schickard-Maschine zeigte außerdem das kleine Einmaleins auf drehbaren Zylindern an. Der Benutzer konnte durch Addition der Zwischenprodukte die normale Multiplikation ausführen.

Rechenmaschine von Johann Helfrich Müller (1784, Nachbau)

Rechenmaschine von Johann Helfrich Müller (1784, Nachbau). (Foto: Jan Braun, HNF)

Die Maschine von Pascal eignet sich zumindest für diese Rechenart, denn jede Multiplikation lässt sich durch Additionen ersetzen. Ein Beispiel: 457 x 23. Das Produkt ist gleich 457 x (2 x 10 + 3) und ergibt sich aus 4570 + 4570 + 457 + 457 + 457. Dasselbe Prinzip treffen wir in den vier Rechengeräten von Leibniz an. Im Unterschied zur Pascaline führten sie die Multiplikation von alleine durch und verwendeten einen mechanischen Speicher, der das wiederholte Addieren einer Zahl ermöglichte.

Das entscheidende Bauteil ist die Staffelwalze, ein Zahnrad mit neun Zähnen ansteigender Länge. Zur Zifferneingabe wird es auf seiner Achse verschoben und beim Additionsvorgang um diese Achse gedreht. Dabei greift ein kleines Zahnrad je nach eingestellter Ziffer null bis neun Zähne ab, so wie im Video zu sehen. Staffelwalzen enthielten drei der vier Leibniz-Maschinen. Die Pariser Maschine von 1675 nutzte als Speicherelement das Sprossenrad, ein Zahnrad mit ausfahrbaren Zähnen.

Arithmometer von Charles Xavier Thomas de Colmar (1855)

Arithmometer von Charles Xavier Thomas de Colmar (1855). (Foto: Jan Braun, HNF)

Die überlebende Rechenmaschine hat funktioniert, erlaubte aber bei der Addition nur Überträge über zwei Dezimalstellen. Eine Summe 99+1 wurde also berechnet, bei 999+1 musste der Bediener Tricks anwenden. Das hielt Leibniz nicht davon ab, 1710 eine Beschreibung seiner Erfindung zu veröffentlichen. Seine Brevis descriptio Machinae Arithmetica findet sich in den „Miscellanea Berolinensia ad incrementum scientiarum“, der Zeitschrift der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Der Schriftsteller Jacob Leupold erstellte eine deutsche Übersetzung, die 1727 herauskam.

Die innere Mechanik der „Machina Arithmetica“ verschwiegen Leibniz und Leupold allerdings. Im Laufe des 18. Jahrhunderts bauten der schwäbische Pfarrer Philipp Matthäus Hahn und der hessische Ingenieur und Amtmann Johann Helfrich Müller Rechenmaschinen mit Staffelwalzen. Im 19. Jahrhundert fertigte der Franzose Charles Xavier Thomas serienmäßig Maschinen damit. Haben die Betreffenden das Speicherprinzip selbst erfunden oder irgendwie von Leibniz‘ Idee erfahren?

Englische Staffelwalzen-Maschine von Joseph Edmondson (1885)

Englische Staffelwalzen-Maschine von Joseph Edmondson (1885). (Foto: Jan Braun, HNF)

Jahrelang nahmen die Experten an, dass die Maschine von Leibniz nach seinem Tode nicht zugänglich war und dass ihr Inneres erst 1880 allgemein bekannt wurde. 2014 stellte sich aber heraus, dass das Konzept der Staffelwalze schon 1765 im Druck erschien, fünf Jahre, bevor Pfarrer Hahn den Bau seiner ersten Rechenmaschine begann. Den Hinweis lieferte die Kunsthistorikerin Ariane Walsdorf in dem Prachtband Das letzte Original, welcher der Leibniz’schen Rechenmaschine gewidmet ist.

Es war der Juraprofessor Johann Stephan Pütter, der in seinen „Versuch einer academischen Gelehrtengeschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen“ eine Beschreibung der Walzen aufnahm. Verfasser war Pütters Kollege Abraham Gotthelf Kästner. Sein Text zur Leibniz-Maschine, die sich damals in der Universität Göttingen befand, steht in § 135 des Buchs. Er erwähnt Getriebe mit Triebstöcken, „die aber nicht von gleicher Länge sind, sondern Stufenweise zunehmen, dass ein solches Getriebe wie eine Wendeltreppe oder Schnecke um seine Welle vorstellt“.

Die Rheinmetall aus dem 20. Jahrhundert - links ist eine Tastenreihe mit Staffelwalze

Die Rheinmetall aus dem 20. Jahrhundert – links ist eine Tastenreihe mit Staffelwalze

Das hört sich doch sehr nach unserer Staffelwalze an. Das „Getriebe“ dürfte ein Zahnrad meinen und der „Triebstock“ einen Zahn. Da das Buch von Pütter 1765 herauskam, hätte Kästners Beschreibung rein theoretisch Philipp Matthäus Hahn in Württemberg erreichen können. Er könnte aber auch von selbst auf die Staffelwalze gekommen sein. Es spricht einiges dafür, dass Johann Helfrich Müller – ab 1810 „von Müller“ – durch einen Bekannten Details von Hahns Maschinen erfuhr. Auf welchem Wege Charles Xavier Thomas zur Staffelwalze kam, ist unbekannt.

Ob die Leibniz’schen Ideen über Hahn und Müller zum Arithmometer von Monsieur Thomas und allen späteren Staffelwalzen-Maschinen führten, wissen wir also nicht. Freuen wir uns einfach über seine Erfinderleistung, seine Originalmaschine in Hannover und die Nachbauten in Paderborn und anderswo. Wer noch mehr von Leibniz erfahren möchte: Die Niedersächsische Landesbibliothek zeigt seit dem 21. Juni eine neue Sonderausstellung 1716 – Leibniz‘ letztes Lebensjahr.

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