Europas erster Supercomputer
Geschrieben am 02.12.2022 von HNF
Am 7. Dezember 1962 wurde in der Universität Manchester der Atlas eingeweiht, damals der schnellste Computer Europas und der zweitschnellste der Welt. Sein Konstrukteur war der Computerpionier Tom Kilburn, der Hersteller die Firma Ferranti. Der Atlas gilt als der erste Rechner mit einem virtuellem Speicher. Ferranti baute drei Systeme sowie die abgespeckte Version Atlas 2.
In der griechischen Mythologie war Atlas der Riese, der die Himmelskugel samt Sternen auf den Schultern trug. Atlas hieß auch ein sagenhafter König, nach dem später eine gebundene Kartensammlung benannt wurde. Den Namen erhielt ebenso eine amerikanische Rakete. Eigentlich für Atombomben gedacht, beförderte sie 1962 und 1963 vier NASA-Astronauten in Umlaufbahnen um die Erde.
Unser Atlas war ein Großrechner, den die Universität Manchester am 7. Dezember 1962 in Dienst nahm. Er umfasste die üblichen Peripheriegeräten und zehn Schränke mit 60.000 Germanium-Transistoren. Atlas operierte mit 48 Bit langen Datenworten und besaß einen Kernspeicher von 16.000 Worten oder 96 Kilobyte. Dazu kam ein Nur-Lese-Speicher von 8.000 Worten, der das Betriebssystem enthielt. Angeschlossen waren vier Trommelspeicher mit jeweils 24.000 Worten. Es entstand ein One-Level Store, in dem alle Daten gleichrangig behandelt wurden. Kurz, er war der erste virtuelle Speicher der Computergeschichte.
Eine Addition dauerte je nach Stellenzahl zwischen 1,6 und 2,6 Mikrosekunden, eine Multiplikation benötigte bei maximaler Genauigkeit fünf Mikrosekunden. Die Leistungen machten Atlas zum leistungsfähigsten Elektronenrechner in Europa. Schneller war nur der 1961 fertiggestellte Riesencomputer Stretch der IBM. Die in Manchester installierte Anlage kostete etwa zwei Millionen Pfund, was 1962 rund 22 Millionen DM entsprach. Sie wurde jeweils zur Hälfte von der Universität und dem in der Stadt ansässigen Hersteller genutzt, der Firma Ferranti Limited.
Chefentwickler des Atlas war der 1921 in der Nähe von Leeds geborene Mathematiker und Elektroingenieur Tom Kilburn. Wir trafen ihn schon im Blog; er zählte zu den Vätern des 1948 gebauten Manchester Baby, des ersten Computers mit einer Von-Neumann-Architektur. In den 1950er-Jahren schuf Kilburn an der Universität den weltweit ersten Transistorrechner. 1960 wurde er Professor für Computertechnik; hier sehen wir ihn in einem Filmclip mit dem im Entstehen begriffenen Atlas. Tom Kilburn starb 2001 in Manchester.
Sein Rechner von 1962 war ein Meilenstein der IT-Technik. Er lief bis Ende September 1971 und führte zu fünfzehn Patenten und mehr als zwanzig Fachartikeln. Zwei weitere Systeme gingen an die Universität von London – beteiligt war auch der Ölkonzern BP – und an das Atlas-Computerlabor in Chilton südlich von Oxford. Wir sehen es oben im Eingangsbild (Copyright UKRI Science and Technology Facilities Council). Ferranti erstellte noch eine technisch reduzierte Version Atlas 2 und verkaufte drei Stück von ihr. Im September 1963 übereignete sie aber die Computerabteilung an die Firma ICT.
1976 wurde der letzte Atlas abgeschaltet. Viele Unterlagen zur Geschichte des Systems setzte die Universität Manchester ins Netz, eine umfangreiche Website installierte zudem das Chilton-Computing-Archiv. Hinweisen möchten wir auf die Übersicht über die frühen Computeranimationen. Es folgt nun eine kleine Serie von Fotos zum Atlas; bis auf das letzte stammen sie ebenfalls aus jenem Archiv (Copyright UKRI Science and Technology Facilities Council).
Es gab auch ein Atlas an der Universität London, sogar mit ein Fortran Compiler. Die Band-Laufwerke waren Block-addressierbar. Somit könnte man ein Paging vom Band auch implementieren.
Been there, then, and done that 🙂