Wer die Wurzel zieht

Geschrieben am 27.10.2017 von

Die typische mechanische Rechenmaschine addiert oder subtrahiert Zahlen, eine pro Tastendruck oder Kurbeldrehung. Im 20. Jahrhundert schufen findige Konstrukteure Maschinen, die mehr konnten. Sie führten eigenständig Ketten von Additionen oder Subtraktionen aus. So entstanden Automaten für Multiplikation und Division. Der Höhepunkt war die amerikanische Friden SRW von 1952, die die Quadratwurzel der eingetippten Zahl berechnete.

Unter einem Automaten verstehen wir heute meist ein Gerät, in dem wir eine Münze oder einen Geldschein hineinstecken und das eine abgepackte Ware oder die Fahrkarte für die U-Bahn ausgibt. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts finden wir das Wort auch in der Rechentechnik. Ein Automat war damals eine Rechenmaschine für die vier Spezies, die manche Operationen selbsttätig erledigte und ihrem Benutzer die Arbeit erleichterte.

Leibniz hat es bereits gewusst: Rechnen heißt Kurbeln. Wer die Staffelwalzenmaschine der berühmten Gelehrten oder später eine Sprossenrad-Brunsviga bediente, konnte nicht auf den Knopf drücken und A mit B multiplizieren. Er musste die eingestellte Zahl immer wieder handgreiflich addieren und im richtigen Moment das Resultatwerk verschieben. Ab 1899 gab es die Schweizer Rechenmaschine Millionär. Sie speicherte das kleine Einmaleins und benötigte weniger Kurbeldrehungen. Dafür war sie groß, schwer und vor allem teuer.

1913 brachte der geniale deutsche Rechenmaschinen-Konstrukteur Christel Hamann das Modell 7 der Mercedes Euklid heraus. Es multiplizierte wie eh und je durch wiederholtes Addieren, doch stellte der Benutzer nur die Faktoren ein. Den Rest erledigte die Maschine, die auch schon einen Elektromotor besaß. In der Schweiz baute Hamanns Kollege Erwin Jahnz im gleichen Jahr die MADAS. Die Abkürzung nennt ihre Leistungen: Multiplikation, Automatische Division, Addition und Subtraktion. Es fehlte nur noch der Motor.

Der Hamann-Automat beherrschte 1928 die selbständige Multiplikation und Division.

Nach dem 1. Weltkrieg begann die Goldene Ära der Halb-, Voll- und Super-Vollautomaten. Die großen Büromaschinenfirmen brachten immer neue und elektrisch angetriebene Modelle heraus, die nach Eintippen der Zahlen weitgehend selbstständig operierten. Der Benutzer musste nur noch das Ergebnis notieren. Der Traum vom Gehirn aus Stahl – so lautete das Motto der Firma Brunsviga – war Wirklichkeit geworden. Jeder Experte nahm an, dass es im Feld der digitalen Rechentechnik nichts mehr zu erfinden gab.

Auch die Friden Calculating Machine Company bot schlaue Rechengeräte an. Carl Friden wurde 1891 in Schweden geboren; 1912 erwarb er das Ingenieur-Diplom in Stockholm. 1916 kam er in die USA. Hier stieg er zum Chefkonstrukteur des Rechenmaschinenherstellers Marchant auf, der im kalifornischen Oakland saß. 1933 gründete Friden seine eigene Firma. Ihre erste Adresse war ebenfalls Oakland, doch zog man bald ins benachbarte San Leandro. Carl Friden erlebte den Erfolg seines Unternehmens noch mit, er starb aber schon 1945.

Seine Maschinen basierten auf der erprobten Staffelwalzen-Technik. In den 1940er-Jahren entstand die ST-Serie; ST stand für „Supermatic Tabulating“. 1949 erschien die verbesserte Friden STW, die bis 1966 in Produktion blieb. 1952 kam im gleichen Design das Modell SRW auf den Markt. Die Tastatur wies jedoch unterhalb der Ziffern eine zusätzliche Reihe mit 11 Druckknöpfen auf. Damit konnte der Benutzer nach Eingabe einer Zahl eine ganz besondere Automatik starten: die Berechnung der Quadratwurzel.

Friden SRW: Die 11 Knöpfe vor den Zahlentasten starteten eine Wurzelberechnung.

Der Wurzelautomat war der technische Höhepunkt der Friden-Produktpalette. Er kostete in West-Deutschland um die 8.000 DM – dafür konnte man in den Fünfzigern zwei Volkswagen kaufen. Eingesetzt wurde die Maschine nicht in der Verwaltung, sondern in Universitäten und technischen Büros. Mathematische Grundlage war die Tatsache, dass die Summe der ersten N ungeraden Zahlen gleich N x N ist. Es gilt: 1 + 3 = 4, 1 + 3 + 5 = 9, 1 + 3 + 5 + 7 = 16 usw. Umgekehrt lässt sich aus einer Quadratzahl durch Subtrahieren die Wurzel ermitteln.

Der Konstrukteur Grant Ellerbeck baute natürlich weitere trickreiche Vorrichtungen ein. Manche konnte er von der automatischen Division übernehmen. Eine wichtige Idee war, die eingegebene Zahl vor dem Quadratwurzel- Algorithmus mit 5 zu multiplizieren. Eine gute Beschreibung der Arbeitsprinzipien der Maschine verdanken wir der PH Ludwigsburg. Beim Rechenbeispiel unterlief den Autoren aber ein kleiner Fehler: Die Zahl, aus der die Wurzel gezogen wird, ist nicht 585.081, sondern 58.081.

In der mechanischen Rechentechnik war die Friden SRW das achte Weltwunder und die erste und letzte Fünfspeziesmaschine. Ein Exemplar steht auch im HNF bei den Taschenrechnern. Unser Eingangsfoto stammt aus der Sammlung der University of Southern California und zeigt Ellerbeck 1952 bei der Präsentation in Los Angeles. So ganz scheint er der Mechanik nicht zu trauen, doch der Wurzelautomat bewährte sich hervorragend in der Praxis und machte keinen Fehler.

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Ein Kommentar auf “Wer die Wurzel zieht”

  1. Danke für die Erwähnung unserer Beschreibung des Friden Wurzelautomaten. Der Fehler tut uns leid, ich hoffe, dass evtl. Nachrechner diesen leicht finden werden. Schönes Foto von G.C. Ellerbeck, der damit auch ein Denkmal im HNF erhält.

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