Harte Burschen und neue Maschinen
Geschrieben am 12.04.2018 von HNF
Vor 50 Jahren gründete der Ingenieur Edson de Castro mit Kollegen seiner alten Firma die Data General Corporation. Ihre erste Adresse war ein früherer Frisiersalon im US-Staat Massachusetts. Daraus entstand einer der wichtigsten Hersteller von Minicomputern, Rechnern mittlerer Größe. Die Entwicklung des Modells Eclipse MV/8000 schilderte das viel gelesene Sachbuch „Die Seele einer neuen Maschine“.
In der guten alten Zeit, zwischen 1955 und 1975, bildeten sich in der Computerwelt zwei Felder heraus. In Ämtern, Universitäten und Konzernen liefen meterlange Mainframes, vor allem des Herstellers IBM. Neben den Großrechnern gab es kleinere wie etwa die LGP-30 oder die Produkte der Digital Equipment Corporation DEC. Sie besaßen noch die Ausmaße von Kühlschränken, wurden aber ab den 1960er-Jahren Minicomputer genannt.
Ein Zentrum der Mini-Welt war die Region von Boston an der amerikanischen Ostküste. Sie war die Heimat des Massachusetts Institute of Technology und ebenso von Elektronik- und Computerfirmen wie Raytheon, Wang, Prime, Apollo und DEC. Hier begann 1961 die Karriere von Edson de Castro. 1938 im Bundesstaat Ohio geboren, wuchs er in Massachusetts auf und absolvierte ein Technikstudium. Als junger Ingenieur bei Digital Equipment entwickelte er die Modelle PDP-5, PDP-8 und PDP-8/I.
Die PDP-8 gilt allgemein als die Maschine, die das Feld der Minicomputer etablierte; von 1965 bis 1968 verkaufte DEC fast 1.500 Stück. Sie operierte mit Datensätzen der Länge 12 Bit. Als Nachfolger der PDP-8 schlug Edson de Castro 1967 der Firmenspitze einen 16-Bit-Rechner vor. Damit orientierte er sich an dem von IBM geschaffenen Byte-Format. Das Management lehnte sein Konzept ab, worauf sich de Castro mit zwei DEC-Kollegen selbstständig machte. Vierter im Bunde war ein Mitarbeiter der Chipfirma Fairchild Semiconductor.
Am 15. April 1968 wurde die Data General Corporation gegründet. Die Anschubfinanzierung steuerte der Fabrikant George Cogar bei. Die erste Adresse der Firma war ein leerstehender Frisiersalon im Städtchen Hudson. Später baute man ein eigenes Gebäude in Westborough, 24 Kilometer vom Digital-Equipment-Standort Maynard entfernt. Am Jahresende zeigte Data General den allerersten Computer auf einer IT-Tagung in San Francisco. Er hieß Nova und rechnete – man ahnt es – mit sechzehn Bit.
Ab 1969 war der Mini für knapp 4.000 Dollar erhältlich. Insgesamt setzte die Firma 50.000 Nova-Modelle ab. Den Verkauf förderte eine aggressive Werbekampagne. Sie präsentierte den eher sanftmütigen de Castro als harten Burschen, der der Konkurrenz den Marsch blies; eine Broschüre pries den „besten kleinen Computer der Welt“. Ende 1969 ging Data General mit Erfolg an die Börse. 1974 erschien die zweite Computerfamilie aus Westborough, die Eclipse. 1979 erreichte der Umsatz 500 Millionen Dollar.
Die Digital Equipment Corporation reagierte; 1970 brachte sie mit der PDP-11 gleichfalls einen 16-Bit-Computer heraus. Daraus wurde die populärste DEC-Serie mit 600.000 verkauften Modellen. 1977 folgte eine Maschine mit 32 Bit, die VAX 11/780. Data General antwortete drei Jahre später mit der Eclipse MV/8000. Inzwischen bewegten sich beide Firmen in der Region der „Superminis“. Die VAX-Computer kosteten zwischen 120.000 und 250.000 Dollar, für eine MV/8000 musste man rund 260.000 Dollar bezahlen.
Der Neuzugang spülte Geld in die Kasse von Data General; 1984 kletterte der Umsatz auf eine Milliarde Dollar. Langsam merkte die Firma aber die Marktmacht der mikroprozessor-basierten Systeme, etwa von leistungsfähigen Workstations. Edson de Castro brachte 1984 einen eigenen Mikrocomputer heraus, den Data General/One. Der Laptop war höchst innovativ und voll kompatibel zum IBM PC, fiel jedoch bei den Kunden durch. Negativ wirkte sich vor allem der Monitor aus, der keinerlei Hintergrundbeleuchtung besaß.
Data General versuchte sich ab den späten Achtzigern im Server-Markt und mit Festplatten-Systemen, doch es kam, wie es kommen musste. 1999 waren die Reserven verbraucht. Die Firma wurde vom Speichertechnik-Hersteller EMC übernommen. Der Erzrivale Digital Equipment hatte schon 1998 aufgegeben. In deutschen Computermuseen sind Data Generals selten; in Stuttgart steht eine Nova, in Kiel eine Eclipse. Das HNF hat zwei Exemplare des Data General/One.
An die Firma erinnert außerdem ein Buch. Die Seele einer neuen Maschine erschien 1982 in Deutschland; das Original „The Soul of a New Machine“ kam 1981 in den USA heraus. Autor Tracy Kidder beschrieb darin in Form einer Langzeit-Reportage die Entwicklung der Eclipse MV/8000. Er ließ die Leser über die Schultern der Ingenieure und hinter die Kulissen einer High-Tech-Firma schauen. Das Werk wurde ein Bestseller und gewann den begehrten Pulitzer-Preis in der Kategorie Sachbücher.
Der Held des Story war der Ingenieur Tom West, Ende dreißig. Mit zwei Dutzend meist jüngeren Kollegen, den „Hardy Boys“ für die Hardware und den „Microkids“ für die Mikroprogrammierung, baute er den Prototyp. Abgeschottet vom Rest der Firma arbeitete man unter ständigem Stress und in Konkurrenz zu einem ähnlichen Entwicklungsprojekt an einem anderen Data-General-Standort. Am Ende trugen West und sein Team den Sieg davon; das Konkurrenzgerät wurde aufgegeben. So schön kann Computergeschichte sein.
(Eingangsbild von Qu1jot3)
Auch Nixdorf setzte bei seinen Produkten 8840 (Textverarbeitung) und 8850 (Mehrbenutzer-Datensammel- und Kommunikationssystem) auf den NOVA 1200-Rechner von Data General Inc. als leistungsfähigste Zentraleinheit ihrer Zeit.
Für die Systemfamilie 8870/ungerade (Anwendung: COMET) wurde der NOVA-Befehlssatz von den Nixdorf Entwicklern – bis auf I/O-Befehle – für die eigenentwickelte Nixdorf CPU emuliert. Es wurde auch ein BASIC-Interpreter für das System geschrieben.
Offen ist bisher die Frage, ob Nixdorf den originalen NOVA-Rechner von DG einsetzte oder den Niedrigpreis-Klon von Digital Computer Controls Inc., wie es der belgische Computerhistoriker Armand van Dormael in seiner Nixdorf Kurzbiographie schreibt.