Karl Marx und Charles Babbage
Geschrieben am 27.04.2018 von HNF
Am 5. Mai feiern wir den 200. Geburtstag des Philosophen und Ökonomen Karl Marx. Sein wichtigstes Werk „Das Kapital“ erschien 1867 in Hamburg. Zu dieser Zeit lebte Marx schon in London. In seinem Buch zitierte er unter anderem den Computervisionär Charles Babbage. Marx hatte Babbage gelesen, als er von 1845 bis 1848 in Brüssel wohnte.
Karl Marx muss nicht groß vorgestellt werden. Der Denker mit dem Rauschebart ist bekannt als Urheber der nach ihm benannten Philosophie, einer wissenschaftlichen Ausgabe des Kommunismus. Sie führte zur Gründung von politischen Parteien, löste Revolutionen aus und machte Weltgeschichte. Daneben war Marx ein Experte für Wirtschaftswissenschaften. Wohl jeder hat von seinem Buch „Das Kapital“ gehört, dessen erster Teil 1867 in Hamburg erschien. Zwei Folgebände entstanden aus dem Nachlass.
Geboren wurde Karl Marx am 5. Mai 1818 in Trier; sein Vater war Advokat. Über die Mutter war er mit der niederländischen Familie Philips verwandt, die später den Elektrokonzern gründete. Er besuchte das Gymnasium in seiner Heimatstadt; nach dem Studium in Bonn und Berlin promovierte er 1841 in Jena zum Doktor der Philosophie. Nach kurzer Tätigkeit als Journalist zog er 1843 mit seiner Frau nach Paris. Auch hier war er journalistisch tätig. Anfang 1845 wurde Marx auf Betreiben der preußischen Regierung aus Frankreich ausgewiesen.
Seine neue Bleibe war Brüssel. In der belgischen Hauptstadt erhielt Marx schnell eine Aufenthaltsgenehmigung, er durfte aber nichts zur Tagespolitik schreiben. Statt dessen befasste er sich mit Philosophie und Nationalökonomie. Er las viel und kopierte seitenweise Fachliteratur. Seine Exzerpt-Hefte sind im Original oder gelegentlich als Fotokopie erhalten. Sie befinden sich im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, der weltgrößten Sammlung von Karl-Marx-Originalen.
Aus Anlass seines 200. Geburtstags widmen wir uns einem ganz besonderen Autographen, seiner Kopie von Charles Babbage. 1845 studierte Karl Marx in Brüssel Babbages dickes Buch On the Economy of Machinery and Manufactures. Es war eine detaillierte Analyse der Industrieproduktion und warb für die Arbeitsteilung. Marx las die französische Übersetzung des 1832 erschienenen Werkes. Die seit 1833 vorliegende deutsche Fassung mit dem Titel Über Maschinen- und Fabrikenwesen kannte er offenbar nicht.
Die Exzerpte von Marx sind heute online: bitte bis zur Nummer B 33 scrollen und die Datei im Adobe-Reader oder Online-Viewer öffnen. Die Auszüge aus dem Babbage-Buch beginnen jeweils auf der vierten Seite. Die Handschrift unseres Autors ist so gut wie unlesbar, doch scharfäugige Editoren haben eine Transkription erstellt. Der Leser findet sie in dieser Datei auf den pdf-Seiten 331 bis 347. Erfreulich ist, dass Karl Marx seine französische Vorlage während der Niederschrift zum größten Teil ins Deutsche übertrug.
Kapitel 18 des Buchs „On the Economy of Machinery and Manufactures” behandelte die Arbeitsteilung, Kapitel 19 die Teilung der geistigen Arbeit. Charles Babbage schilderte hier, wie der französische Ingenieur Gaspard de Prony in den 1790er-Jahren mit vielen Rechnern und Rechnerinnen mathematische Tafeln erstellte. Dabei gliederte de Prony die Rechenarbeit in einfache Operationen auf. Anschließend skizzierte Babbage die Grundprinzipien einer Differenzmaschine, die mit simplen Additionen eine Liste der Quadratzahlen produziert.
In seinem Exzerpt-Heft fasste Marx Babbages Text kurz zusammen: „Die Theilung der Arbeit erlaubt uns in den Operationen des Geistes u. des Körpers leicht zu erhalten u. anzuwenden auf jedes besondre Detail die präcise Quantität v. Geschicklichkeit u. Instruktion, welche diese Arbeit erfordert. So z.B. bei der Rechenmaschine, vermeiden wir den Verlust, der Statthat, wenn man den Geist eines gelehrten Mathematikers auf die einfachsten Operationen der Arithmetik verwendet.“
Halten wir fest, dass sich Karl Marx ernsthaft mit einer Technik befasste, die man als Vorstufe eines mechanischen Computers ansehen kann. Bekanntlich kam Charles Babbage von der Differenz- zur programmierbaren Analytischen Maschine. Es ist möglich, dass Marx 1862 eine funktioniernde Differenzmaschine sah. Eine solche wurde auf der Weltausstellung von London gezeigt, also in der Stadt, in der Marx ab 1849 lebte. Sie stammte allerding nicht von Babbage, sondern ging auf die Schweden Georg und Edvard Scheutz zurück.
Sicher ist, dass Marx auf der Ausstellung schon eine frühe Form der Automation erlebte. Im Kapital schrieb er dazu: „Eine auf der Londoner Industrieausstellung von 1862 ausgestellte amerikanische Maschine zur Bereitung von Papiertüten schneidet das Papier, kleistert, faltet und vollendet 300 Stück per Minute. Der innerhalb der Manufaktur geteilte und in einer Reihenfolge ausgeführte Gesamtprozeß wird hier von einer Arbeitsmaschine vollbracht, die durch Kombination verschiedner Werkzeuge wirkt.“ (Seite 399)
Und weiter: „Sobald die Arbeitsmaschine alle zur Bearbeitung des Rohstoffs nötigen Bewegungen ohne menschliche Beihilfe verrichtet und nur noch menschlicher Nachhilfe bedarf, haben wir ein automatisches System der Maschinerie […] An die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer, dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt und dessen dämonische Kraft, erst versteckt durch die fast feierlich gemeßne Bewegung seiner Riesenglieder, im fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsorgane ausbricht.“ (Seite 402)
In seinem Klassiker zitierte Karl Marx auch mehrmals das Buch von Charles Babbage. Marx lobte ihn in einer Fußnote als Mathematiker und Mechaniker, kritisierte aber, dass er „die große Industrie eigentlich nur vom Standpunkt der Manufaktur auffaßt“ (Nr. 48). Persönlich getroffen haben sich Marx und Babbage wohl nie. Die englische Übersetzung des „Kapital“ erschien 1887 in einem Londoner Verlag. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Autoren schon tot. Charles Babbage starb 1871, Karl Marx zwölf Jahre später am 14. März 1883.
In der Geburtsstadt von Marx eröffnen nächsten Samstag gleich vier Ausstellungen über ihn. Im Stadtmuseum Simeonstift ist als Schenkung aus Familienbesitz (Constantin Knyrim) auch das Original unserer Zeichnung zu sehen. Unser Eingangsbild ganz oben zeigt das Marx-Monument in Chemnitz, und hier geht es zum Film über den jungen Karl Marx. Eine kleine Marx-Ausstellung gibt es in der British Library in London, und wer sich beeilt, kann sich noch eine Woche lang in Hamburg über „Das Kapital“ informieren.