Können Sie schon fernsehen?
Geschrieben am 26.07.2019 von HNF
Am 28. Juli 1939 wurde in Berlin die 16. Große Deutsche Rundfunk- und Fernseh-Rundfunk-Ausstellung eröffnet, kurz, die Funkausstellung. Zu ihren Anziehungspunkten gehörte der Fernsehempfänger E 1; ihn hatten mehrere deutsche Firmen gemeinsam entwickelt. Seine Bildröhre gab 441 Zeilen wieder. Die Industrie plante eine Produktion von 10.000 Stück; wegen des Kriegsausbruchs wurden aber nur fünfzig fertig.
„Können Sie schon fernseh‘n? Das war noch nicht da! Alles, was Sie gern seh’n, haben Sie zum Greifen nah. Irgendetwas Schönes denken Sie sich aus, und der Bildfunk bringt es Ihnen frei ins Haus.“ Das sang der Tänzer und Schauspieler Robert Dorsay 1936 in einem Kriminalfilm. Hinter ihm sah man einen großen Bildschirm. Ihm entstiegen hübsche junge Damen und begannen im Takt der Musik zu steppen
Das Fernsehen war also vor 83 Jahren dem Publikum bekannt. Genießen konnten es aber nur wenige Zuschauer. In Berlin strahlte der Fernsehsender Paul Nipkow seit dem 22. März 1935 ein Abendprogramm mit 180 Bildzeilen aus. Im Dezember 1938 erhöhte sich die Zeilenzahl von 180 auf 441. Zugleich bezog der Sender ein neues Studio am heutigen Theodor-Heuss-Platz; unser Eingangsbild zeigt ein Modell aus dem Deutschen Technikmuseum. Für Live-Aufnahmen standen schon elektronische Kameras zur Verfügung.
Die Zahl der gleichfalls elektronischen Fernsehempfänger betrug nur wenige Hundert; einige liefen in öffentlichen Fernsehstuben. Sie kosteten zwischen 2.000 und 3.000 Reichsmark, etwa so viel wie ein Auto, und waren für Normalbürger unerschwinglich. Die Reichspost, die Rundfunkindustrie und das Propagandaministerium suchten deshalb Wege, um die Geräte zu verbilligen. Die Lösung war der Einheits-Fernseh-Empfänger E 1. Bei seiner Entwicklung taten sich fünf Hersteller zusammen: Fernseh AG, Loewe, Lorenz, Telefunken und TeKaDe.
Vorgestellt wurde der E 1 am 28. Juli 1939 auf der Berliner Funkausstellung. Das schmucke Gerät besaß eine rechteckige Bildröhre von Telefunken mit einer Bildschirmdiagonalen von 29 Zentimetern; es hatte die Maße eines normalen Radios. Bis Jahresende sollten 10.000 Stück in den Handel kommen. Die fünf Firmen wollten leicht unterschiedliche Versionen bauen; jede hatte aber den gleichen Preis, 650 Reichsmark.
Schon im Frühjahr 1939 enthüllte die Post den E 1 einem Kreis internationaler Experten. Der Kurzkrimi Wer fuhr IIA 2992 informierte die Teilnehmer vom Weltpost-Kongress in Buenos Aires über den Stand der deutschen TV-Technik. Neben dem Einheits-Fernseh-Empfänger zeigte er Kameraleute bei der Arbeit, eine Tänzerin im Aufnahmestudio und die Techniker im Regieraum. Man sah außerdem eine Fernsehsprechstelle, den deutschen Vorläufer von Skype. Hardware dazu überlebte im Depot des Deutschen Museums in München.
Seit dem 2. November 1936 strahlte auch die BBC ein Fernsehprogramm aus. Es umfasste zunächst zwei Standards, ab Februar 1937 beschränkte man sich aber auf das technisch bessere System mit 405 Zeilen. Die Sendungen finden wir in der BBC-Programmzeitschrift Radio Times. Am Eröffnungstag der Funkausstellung 1939 konnten die Zuschauer in der Londoner Gegend nachmittags eine Modenschau und ein Stück von George Bernard Shaw sehen. Abends gab es Tiere im Zoo und ein Dokumentarspiel über einen Politskandal.
Am 1. September 1939 schaltete die BBC ihr Fernsehen ab. An diesem Tag begann der Zweite Weltkrieg. Der Fernsehsender Paul Nipkow hatte schon eine Woche vorher Sendeschluss; der Befehl kam vom Oberkommando der Wehrmacht. Nach einiger Zeit wurde der Betrieb aber wieder aufgenommen. Die Empfänger standen zum größten Teil in Lazaretten, einige in Fernsehstuben. Über Breitbandkabel wurde das Berliner Programm sogar nach Hamburg geleitet. 1942 gab es auch einen deutsch geführten Fernsehsender in Paris.
Er schloss im August 1944 einige Tage vor der Befreiung der Stadt. Am 19. Oktober 1944 stellte Berlin den Fernsehbetrieb ein. Der Einheits-Fernseh-Empfänger E 1 war zu jenem Zeitpunkt schon Geschichte. Zur geplanten Großserie kam es nie, die am Projekt beteiligten Unternehmen fertigten nur fünfzig Exemplare. Am 21. Dezember 1952 startete das Fernsehzentrum Berlin der DDR ein öffentliches Versuchsprogramm. Am 25. Dezember strahlte der Nordwestdeutsche Rundfunk die erste reguläre Sendung aus.
Robert Dorsay, der 1936 das fröhliche Fernsehlied sang, hat das nicht mehr erlebt. Wegen Wehrkraftzersetzung wurde er zunächst zu zwei Jahren Zuchthaus und am 8. Oktober 1943 zum Tode verurteilt. Drei Wochen später starb er unter dem Fallbeil.
Als ich mir kürzlich den Kopf darüber zerbrochen habe, welchen neuen Smart-TV ich mir anschaffen soll, ist mir tatsächlich aufgefallen, was für ein Luxusproblem ich damit hatte. Es werden wohl immer in der Geschichte großartige Innovationen rauskommen, die anfangs nur von einer kleinen Personenanzahl genutzt wird. Danach ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Technologie zum Standard entwickelt hat.