Konrad Zuse in der Kunstausstellung
Geschrieben am 30.07.2024 von HNF
1981 feierte der Verein Deutscher Ingenieure den 125. Jahrestag der Gründung. Vom 15. Mai bis 21. Juni 1981 fand deshalb in einer Berliner Messehalle die Ausstellung „Die Nützlichen Künste“ statt. Sie beleuchtete ästhetische Aspekte der Technik und wurde auch von Konrad Zuse besucht. Der Vater des Computers verfasste anschließend einen mehrseitigen Bericht über seine Eindrücke.
1981 war eigentlich das Preußenjahr. Eine Ausstellung zum Thema in dem an der Berliner Mauer gelegenen Martin-Gropius-Bau zog vom 15. August bis zum 15. November eine halbe Million Menschen an. Zugleich erschienen viele Bücher über das einstige Königreich und den kurzlebigen Freistaat. Im Osten der geteilten Stadt stellte die DDR schon Ende 1980 das Reiterstandbild Friedrichs des Großen wieder auf.
Im Preußen-Trubel gingen „Die Nützlichen Künste“ ziemlich unter. Die Schau füllte vom 15. Mai bis zum 21. Juni 1981 die Halle 20 des Berliner Messegeländes. Sie war eine Idee des Vereins Deutscher Ingenieure und erinnerte an den 125. Jahrestag seiner Gründung; diese geschah am 12. Mai 1856 in Alexisbad im Harz. Das Konzept stammte vom Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg, das Design entwarf der Ausstellungsarchitekt Klaus-Jürgen Sembach. Der Verantwortliche im VDI war der Ingenieur und Technikhistoriker Kurt Mauel.
„Die Nützlichen Künste“ befassten sich ebenfalls mit Geschichte, jedoch nicht mit der des VDI. Die Ausstellung wollte zeigen, dass auch technische Geräte und Objekte Kunst sein können und sich mit den Mitteln der Ästhetik beschreiben lassen. Auf 4.000 Quadratmetern versammelte sie Hardware aus dem 19. und 20. Jahrhundert sowie Medieninstallationen. Vor der Halle standen das Unterteil einer Ariane-Rakete und eine mobile Dampfmaschine aus dem Jahr 1912. Wer sich im Internet Archive anmeldet, kann dort das Begleitbuch lesen.
Unter den Besuchern der Schau war auch Konrad Zuse. Der Erfinder des Computers nahm vielleicht am Deutschen Ingenieurtag teil, den der VDI im Juni 1981 im Internationalen Congress Centrum ausrichtete; das ICC liegt direkt neben dem Messegelände. Zuse war ein talentierter Zeichner und Maler und kannte sich in der Technikgeschichte aus; es verwundert nicht, dass sein Nachlass fünfeinhalb Seiten mit „Gedanken im Anschluß an die Ausstellung des VDI ‚Die nützlichen Künste'“ enthält. Bitte mit den Pfeilen unter dem Fenster blättern!
Folgen wir also Konrad Zuse durch die Ausstellung. Sein erster Blick nach dem Eintreten fiel auf ein riesiges Standfoto aus dem Film Metropolis, das die zentrale Halle beherrschte. Es zeigte die große Maschine, die von zahlreichen Arbeitern gesteuert wurde. Zuse merkte zu Recht an, dass sich seit 1927, als „Metropolis“ im Kino lief, die Vorstellung von der Zukunft wandelte. Die Automatisierung machte solche Steuerungszentralen menschenleer, Rauch und Abgase verschwanden dank des Umweltbewusstseins.
Danach wanderte Konrad Zuse durch die 23 größeren und kleineren Räume der Ausstellung, die sich um die Halle gruppierten. Die ersten zwölf galten der Industrie des 19. Jahrhunderts, die letzten zehn boten moderne Kunst, Hochhausscheiben, Radios und Roboter. Als Bindeglied fungierte ein Areal mit Geschirr und Haushaltsgeräten und einem Autoveteranen von 1914. Dazu kam das Ausstellungskino, das rund um die Uhr einen Film über technische Katastrophen vorführte. Zuse fand ihn „hoch interessant“.
Er mochte auch den Licht-Raum-Modulator, den der Ungar László Moholy-Nagy 1930 schuf. In Berlin drehte sich ein Nachbau aus den Niederlanden, der im Eingangsbild zu sehen ist (Foto hc gilje CC BY-NC-SA 2.0 seitlich beschnitten). Das Original besitzt ein Museum in den USA. Ebenso beeindruckte ihn ein von Ludwig Mies van der Rohe entworfenes Hochhaus. Die Schau simulierte es mit einem Fassadenteil und daran grenzenden Spiegeln. Weniger gut gefielen Zuse das Auto-Sofa des Amerikaners Gary Schatmeyer – die Idee fand später den Weg ins HNF – und die Volvo-Collage des bulgarischen Verpackungsmeisters Christo.
„Völlig verwirrt“ wurde er durch 36 Fernseher im vorletzten Raum. Zitat: „Besser kann man den Mißbrauch der Technik wohl kaum demonstrieren.“ Es handelte sich um ein Werk des koreanischen Medienkünstlers Nam June Paik; sein deutscher Kollege Horst H. Baumann ergänzte es durch Laserstrahlen. Versöhnt wurde Konrad Zuse durch den Industrieroboter, mit dem die Ausstellung endete. Im gleichen Raum gab es außerdem Spielzeugmodelle sowie Fotos aus Science-Fiction-Filmen und vom englischen Maschinenmenschen Eric.
In seinem Besuchsbericht erwähnte Konrad Zuse noch zwei Gebiete, die „Die Nützlichen Künste“ seiner Ansicht nach ausklammerte. Das waren zum einen die Kriegstechnik und zum anderen die sozialen Aspekte der technischen Entwicklung. In seinem Fazit griff er wieder die Hauptbotschaft der VDI-Ausstellung auf: „Hoffen wir, daß von den Ingenieuren und Wissenschaftlern als markanten Trägern des Zeitgeistes befruchtende Anregungen auch in künstlerischer Hinsicht ausgehen.“
Nach der Schau kehrten Museen und Kuratoren zur üblichen Darstellung der Technik zurück, sprich zur Industriemalerie und ihren Nachbargebieten. 2002 zeigte Die Zweite Schöpfung in Berlin 250 Gemälde, Fotos und Grafiken zum Thema, 2021 bot das Hamburger Bucerius Kunst Forum in der Ausstellung Moderne Zeiten dreißig Gemälde und 170 Fotografien an. Wer aber Objekte der nützlichen Künste in ihrer schönsten Form – zum Schreiben und zum Rechnen – erleben möchte, sollte ein gewisses Museum in Paderborn besuchen.