Konrad Zuse und die Operation Paperclip

Geschrieben am 05.11.2015 von

Im amerikanischen Nationalarchiv liegen 20 Seiten an Dokumenten aus der Zeit von 1949 bis 1954 über Konrad Zuse. Sie berichten über Kontakte und Gespräche mit dem Computerpionier, die ihn zum Umzug in die USA bewegen sollten. Hintergrund war die Operation Paperclip, ein im Jahr 1945 gestartetes Projekt zum Einsatz deutscher Forscher in den Vereinigten Staaten.

Konrad Zuse, das wissen nicht nur Experten, baute seine ersten Computer in Berlin, verließ die Stadt 1945 kurz vor der deutschen Kapitulation mit dem Relaisrechner Z4 – der damals noch V4 hieß – und lebte bis 1949 im Dorf Hopferau im Allgäu. Danach zog er mit der Familie ins hessische Neukirchen, wo er wieder Computer fertigte. Einige Jahre später verlagerte er seine Firma, die Zuse KG, ins nahe Bad Hersfeld. Privat wohnte er im Städtchen Hünfeld.

In seiner Allgäuer Zeit war Zuse fern von Industrie und Hochschulen, aber von der wissenschaftlichen Welt nicht vergessen. So besuchte ihn der Mathematiker Roger C. Lyndon, der in der amerikanischen Botschaft in London saß und für das Office of Naval Research arbeitete, die Forschungsabteilung der US-Marine. Sein Bericht über die Z4 ging an jenes Office, erschien aber 1947 auch als vier Seiten langer Artikel „The Zuse Computer“ in einer Zeitschrift der American Mathematical Society.

Konrad Zuse 1944 (Foto Deutsches Museum)

Konrad Zuse 1944 (Foto Deutsches Museum)

Lyndons Bericht setzte eine Kette bürokratischer Aktionen in der Bundeshauptstadt Washington in Gang. Fassbar wird sie an einem Schreiben, das das Hauptquartier der US Air Force am 3. August 1949 an die Joint Intelligence Objectives Agency, kurz JIOA, im Verteidigungsministerium richtete. Das „Gemeinsame Amt für geheime Ziele“, so könnte man den Namen übersetzen, wurde seit 1945 von Geheimdienstoffizieren der Streitkräfte und Vertretern des Außenministeriums betrieben.

Der Brief vom August 1949 war eine Stellenbeschreibung und bot dem „German specialist Konrad ZUSE“ den Posten des Chefwissenschaftlers in der Computerabteilung des Office of Air Research an, des 1948 gegründeten Forschungsbüros der Luftwaffe. Unten findet sich der Brief im Original, so wie ihn das US-Nationalarchiv verwahrt. Die Betreffzeile enthält die Worte „Procurement of Paperclip Specialist“ – „Procurement“ heißt Beschaffung oder Vermittlung – und diese führen uns in ein ganz besonderes Kapitel der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Unter den Namen Operation Overcast („bewölkt“) und Operation Paperclip („Büroklammer“) wurden ab 1945 deutsche Wissenschaftler und Techniker in den alliierten Besatzungszonen kontaktiert und, sofern Interesse bestand, in die USA geholt, um dort zu arbeiten. Die Organisation übernahm das oben erwähnte Amt JIOA. Genaue Zahlen liegen nicht vor, doch mögen rund 1.000 Experten mit ihren Familien nach Amerika gekommen sein. Die bekanntesten Paperclip-Deutschen sind zweifellos die Raketenforscher um Wernher von Braun, die den USA halfen, Menschen zum Mond zu bringen.

Was geschah nun mit Konrad Zuse? Im US-Nationalarchiv finden wir als nächsten längeren Text einen „Air Intelligence Information Report“ vom Frühjahr 1950 über den Besuch eines Geheimdienstlers der Air Force in Zuses kleiner Fabrik in Neukirchen. Begleitet wurde Edmund Staples, so sein Name, vom Mathematiker Sherman Lowell aus dem Office of Naval Research und einem ungenannt bleibenden Herrn vom Armeegeheimdienst CIC. In der Akte sind aber keine Gespräche über eine Übersiedlung Zuse vermerkt. Wir hängen das Deckblatt unten an, die übrigen Seiten sind nur schwer lesbar. (Besucht wurde damals außerdem der Mathematiker und Rechnerpionier Alwin Walther.)

Haus der Zuse KG im hessischen Neukirchen (Foto Computer History Museum)

Haus der Zuse KG im hessischen Neukirchen (Foto Computer History Museum)

Am 25. Juni 1950 brach der Korea-Krieg aus und führte zur Neugestaltung von Paperclip. Es entstand ein „Project 63“ mit dem Ziel, deutsche Forscher vom russischen Machtbereich zu entfernen, da man befürchtete, dass die Rote Armee bald nach Westen marschieren würde. Die Zuse KG lag kaum 50 Kilometer von der DDR entfernt. Im Juni 1953 erfolgte eine erneute Kontaktaufnahme, jetzt durch einen Mitarbeiter des „Special Projects Team“ der US-Armee in Heidelberg. Zuse hörte mit Interesse zu – siehe die schwarze Aktennotiz unten – und bat um Zeit zum Überlegen.

Am 24. August 1954 klopfte der Spezialist von der Army wieder an die Tür der Zuse KG, sein Gespräch mit Konrad Zuse ist in einem Papier im Nationalarchiv festgehalten, das unsere Aktensammlung abschließt. Dabei machte Zuse klar, dass er nicht den Wunsch verspürte – „he simply has no desire“ – seine Firma aufzugeben, um in der amerikanischen Industrie oder für das Militär zu arbeiten. Er versprach, über einen unverbindlichen Besuch in den USA nachzudenken, und übergab seinem Gast beim Abschied noch eine Liste mit deutschen Mathematikern „who are looking for positions“.

Damit endete die sich über fünf Jahre erstreckende Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und dem Computerpionier, der dann in Hessen blieb und hier seine Rechner baute. Eine Anmerkung: Unser Blogtext beschränkt sich einzig und allein auf Konrad Zuse. Alle anderen Aspekte des bis heute umstrittenen Paperclip-Projekts und vergleichbarer Programme in England, Frankreich und der UdSSR müssen wir ausblenden, ebenso die politisch-moralische Problematik. Ein vollauf befriedigendes Buch zu Paperclip steht immer noch aus.

Es folgen die vier „Zuse-Akten“ der US Air Force und der US Army aus dem amerikanischen Nationalarchiv.

Stellenangebot der US Air Force für Konrad Zuse von 1949 (Foto National Archives)

Stellenangebot der US Air Force für Konrad Zuse von 1949 (Foto National Archives)

 

Akte über einen Besuch bei Konrad Zuse 1950 (Foto National Archives)

Akte über einen Besuch bei Konrad Zuse 1950 (Foto National Archives)

Aktennotiz aus der US Army über ein Gespräch 1953 (Foto National Archives)

Aktennotiz aus der US Army über ein Gespräch 1953 (Foto National Archives)

Das abschließende Treffen mit Konrad Zuse von 1954 (Foto National Archives)

Das abschließende Treffen mit Konrad Zuse von 1954 (Foto National Archives)

 

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Ein Kommentar auf “Konrad Zuse und die Operation Paperclip”

  1. Herbert Bruderer sagt:

    Zuse machte sich 1949 Gedanken zu einer Flucht in die Schweiz, vgl. dazu:
    https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/154158

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