Kurz, schnell und einheitlich
Geschrieben am 17.09.2024 von HNF
Seit dem 20. September 1924 gibt es bei uns ein allgemein verbindliches System für die Stenografie. Es bildete das Ende einer Entwicklung, die in der Antike begann. Die Deutsche Einheitskurzschrift wird in Deutschland und Österreich verwendet; sie dient etwa zur Aufzeichnung von Reden im Bundestag. Die Stenografie beherrschten auch Schriftsteller und Wissenschaftler wie Konrad Zuse.
Die Deutschen sagen Kurzschrift, Stenografie oder Steno – „stenos“ ist das altgriechische Wort für eng. Engländer und Amerikaner sprechen von „shorthand“, die Franzosen kennen neben der „sténographie“ noch die „tachygraphie“ nach dem griechischen Ausdruck für schnell. Gemeint wird stets eine Methode zur sofortigen Dokumentation wörtlicher Rede. 2024 feiern Schnellschreiber und -schreiberinnen dazu ein rundes Jubiläum.
Kurzschriften kannte schon die griechische und römische Antike. Ein entscheidender Fortschritt gelang im 1. Jahrhundert vor Christus Marcus Tullius Tiro, einem Sklaven des Politikers und Autors Cicero. Die Tironischen Noten wurde bis ins Mittelalter benutzt. Die neuzeitliche Stenografie begann um 1600 in England; 1602 verfasste der Pfarrer John Willis The Art of Stenographie. 1813 schuf der bretonische Adlige Louis Félix Conen de Prépean ein wegweisendes französisches System. Friedrich Mosengeil entwarf 1796 die wohl erste deutsche Stenographie.
Im 19. Jahrhundert entstanden drei Techniken, die wichtig werden sollten. 1834 erstellte der Münchner Kanzleibeamte Franz Xaver Gabelsberger eine „Anleitung zur deutschen Rede-Zeichen-Kunst oder Stenographie“; man kann sie hier nachlesen. 1841 gab der in Berlin lebende Wilhelm Stolze ein „Theoretisch-practisches Lehrbuch“ heraus: Das ist der erste und das der zweite Teil. Der in Wuppertal-Elberfeld geborene Kaufmann Ferdinand Schrey und zwei Mitautoren schufen 1887 ein System, das 1897 mit dem von Stolze fusionierte.
Um 1900 waren Gabelsberger und Stolze-Schrey die populärsten Stenografie-Stile für unsere Sprache. In Deutschland existierten zehn große Steno-Gemeinden, die sich gegenseitig bekämpften, aber auch den Wunsch nach einem einheitlichen System verspürten. Ab 1906 verhandelten Abgesandte aus Politik und Stenographie darüber. Im Juli 1922 lag ein Entwurf vor, der die Systeme Gabelsberger und Stolze-Schrey kombinierte. Fast alle Länder des Deutschen Reiches – sie besaßen die Oberaufsicht über Kultur, Wissenschaft und Erziehung – akzeptierten ihn.
Der einzige Opponent war Preußen, das an der Methode Stolze-Schrey festhielt. Dem Staatssekretär Heinrich Schulz vom Berliner Innenministerium gelang es, die Borussen umzustimmen. Die Reichsregierung nahm an den Stenografie-Gesprächen teil, da es mit Post, Bahn und Reichswehr wichtige staatliche Nutzer gab. Am 3. September 1924 billigte das preußische Kabinett, auch bekannt als Staatsministerium, die Vereinbarung von 1922, es verlangte aber, dass die anderen Länder bis zum 20. September ihr Ja-Wort abgaben.
Heinrich Schulz schaffte es, alle Zustimmungen einzuholen, und am 20. September 1924 erhielt Deutschland eine einheitliche Kurzschrift. Sie überstand die NS-Zeit, den Zweiten Weltkrieg, die deutsche Teilung und den Wiederaufbau. Die DDR besaß von 1970 bis 1990 eine Deutsche Stenografie, die sich aber kaum vom Einheitssystem unterschied. Dieses wird auch in Österreich benutzt; die Wiener Urkunde legte 1968 die genauen Regeln fest. Stenografen und Stenografinnen der deutschen Schweiz bevorzugen Stolze-Schrey.
Eine Fülle von Büchern, Schriften und Dokumenten zur Steno-Geschichte liegen in London und in Dresden. Zwei Geschichtsbücher lassen sich hier und hier online lesen, und die Wikipedia bietet eine lange Erfinder-Liste an. Freunde der Gabelsberger-Technik treffen sich bei dieser Adresse. Wer stenografieren möchte, kann es mit einem Schreibprogramm für mehrere deutsche und englische Systeme tun, und dieser Link führt zum Verband der Parlaments- und Verhandlungsstenografen.
Wir schließen mit prominenten Schnellschreibern. Der prominenteste für uns war Konrad Zuse, der die Einheitskurzschrift beherrschte; seine Notizen sind im Deutschen Museum. Das Gabelsberger-System verstand der Logiker Kurt Gödel. Stenografieren konnten auch der Zoologe Alfred Brehm, die Schriftsteller Daniel Defoe, Charles Dickens und George Bernard Shaw und die Schriftstellerin Astrid Lindgren. Dem gleichfalls steno-kundigen Kurt Tucholsky verdanken wir die Analyse Man sollte mal (heimlich mitstenographieren).
Unser Eingangstext lautet nichtstenografisch: „Wikipedia ist ein Projekt zum Aufbau einer Enzyklopädie aus freien Inhalten, zu denen du sehr gern beitragen kannst.“