Melissa – Angriff der Online-Viren
Geschrieben am 25.03.2024 von HNF
In den 1980er-Jahren verbreiteten sich die ersten Computerviren. Das geschah noch durch die Weitergabe über Disketten. 1988 erschien in den USA ein Computerwurm, der sich von allein im Netz fortpflanzte. Ab dem 26. März 1999 suchte das Virus Melissa das Internet heim; es legte zahlreiche E-Mail-Systeme lahm. Sein Urheber wurde aber binnen einer Woche gefasst.
Vor Jahrzehnten gab es im deutschen Fernsehen die Straßenfeger. So nannte man meist mehrteilige Kriminalfilme, die Millionen Zuschauer vor die Bildschirme zogen. Eine solche Produktion war auch Melissa, ausgestrahlt im Januar 1966 von der ARD. Die verwickelte Mordgeschichte schrieb Krimi-Altmeister Francis Durbridge. Melissa, verkörpert von der Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek, war das Mordopfer.
33 Jahre später stand es in digitaler Form wieder auf. Am 26. März 1999, einem Freitag, bekamen Computernutzer in den USA eine E-Mail mit der Betreffzeile „Important Message from…“ – das Wort danach entsprach dem Absender. Der Inhalt der angeblich wichtigen Nachricht lautete „Here is that document you asked for … don’t show anyone else ;-)“ Das erbetene Dokument bildete den Anhang; es umfasste 41 Kilobyte und hieß list.doc. Die Nachricht wurde im Microsoft-Windows-Register unter dem Namen Melissa verbucht.
Wer list.doc nicht herumzeigte, doch aus Neugier öffnete, fand einige Passwörter für nicht jugendfreie Internetseiten. Zugleich startete automatisch ein Programm, das in der doc-Datei eingebettet war. Es verschickte den Anhang an die ersten fünfzig Adressen im Outlook-System des Users. Mit anderen Worten: Melissa war ein Makrovirus. Manchmal fügte es in Dateien ein Zitat aus der TV-Serie The Simpsons ein: „Twenty-two points, plus triple-word-score.plus fifty points for using all my letters. Game’s over. I’m outta here.“
Der Ausgangspunkt des Virus war eine Newsgroup. Oberflächlich richtete es kaum Schaden an, es überflutete und blockierte aber viele Mailserver. Fachleute sprechen von einer Denial-of-Service- oder DoS-Attacke. Betroffen waren in den USA dreihundert Ämter, Institutionen und Unternehmen, darunter auch Microsoft. In einer Organisation liefen in 45 Minuten 32.000 Melissa-Mails ein. Insgesamt dürften rund 100.000 Computer infiziert worden sein. Das FBI bezifferte die vom Virus bewirkten Ausfälle mit achtzig Millionen Dollar.
Sein Urheber wurde schon am 1. April 1999 im US-Bundesstaat New Jersey gefasst. David Lee Smith war damals dreißig Jahre alt und verdiente sein Geld als Programmierer. Im Foto und im Film sah er nicht wie der Hacker im Hoodie aus, sondern wie ein braver Bürger mit Schlips und Kragen. Im Mai 2002 wurde Smith für seine Computer-Straftaten zu zwanzig Monaten Gefängnis und 5.000 Dollar Geldbuße verurteilt. Der Richter berücksichtigte beim Strafmaß seine Kooperation mit Landes- und Bundesbehörden der USA.
David Smith kannte sich in der Hacker-Szene aus; er dürfte mehrere seiner Kollegen an die Polizei verraten haben. Er war vermutlich identisch mit dem fleißigen Virus-Autor VicodinES, der sich nach einem Schmerzmittel benannte. Er verfasste auch einen Leitfaden über das Verbreiten von Computerschädlingen. Im Laufe seiner Tätigkeit hinterließ Smith allerdings so viele Spuren im Netz, dass er nach dem Auftauchen von Melissa schnell ermittelt wurde. Was er heute macht und wo er lebt, wissen wir nicht.
Melissa war die erste Schadsoftware, die im World-Wide-Web-Zeitalter größeres Aufsehen erregte. Sie kombinierte das ältere Konzept des Virus, das man von Hand verbreitete, mit dem des Wurms, der selbständig durchs Netz läuft. Am 11. April 1999 brachte der SPIEGEL einen Artikel, am 15. April trat in der Bundeshauptstadt Washington ein Unterausschuss des US-Kongresses zusammen und diskutierte den Fall. Es brauchte aber einige Online-Angriffe mehr, bis das FBI im Jahr 2002 eine eigene Cyber Division einrichtete.
Das HNF verewigte 2016 Melissa und andere Computerviren in der Internetwand im zweiten Obergeschoss. Die High-Tech-Schädlinge sind oben in unserem Eingangsbild zu sehen.