My Fair Software

Geschrieben am 07.01.2016 von

Künstliche Intelligenz oder KI, die Lehre von den denkenden Computern und ihren Programmen, ist wieder groß in Mode. Vor 50 Jahren erschien im Januar-Heft 1966 der „Communications of the ACM“ eine bahnbrechende KI-Software, die bis heute nachwirkt: ELIZA, der erste Chatbot der Welt. Wir haben uns das Programm, das auch online abrufbar ist, einmal angeschaut.

Die erste Eliza sprach noch die falsche Sprache: Am 16. Oktober 1913 fand im Wiener Burgtheater die Uraufführung der Komödie „Pygmalion“ des irischen Dramatikers George Bernard Shaw statt, in der das Blumenmädchen Eliza Doolittle die weibliche Hauptfigur ist. Die Aufführung verwendete eine deutsche Übersetzung, die Premiere der englischen Originalfassung erfolgte erst am 11. April 1914 in London, der Stadt, in der „Pygmalion“ auch spielt.

Die zweite Eliza sprach dann richtig und sang noch dazu. Im Februar 1956 kam die Musicalversion der Komödie als „My Fair Lady“ in New York auf die Bühne und erlebte am Broadway 2.717 Aufführungen. Ähnliche Erfolge stellten sich in anderen Ländern ein. Die dritte Ausgabe stand Anfang 1966 in der amerikanischen Zeitschrift „Communications of the ACM“ – ACM ist die Association for Computing Machinery – in einem Aufsatz von Joseph Weizenbaum: „ELIZA – A Computer Program For the Study of Natural Language Communication Between Man And Machine“

Auch hier geht es also um die Sprache. Doch während in „Pygmalion“ und „My Fair Lady“ Phonetik-Professor Higgins der Straßenhändlerin Eliza das Gerede der feinen Leute antrainiert, ermöglicht die Software ELIZA einen gleichberechtigten Dialog zwischen Mensch und Maschine. Der Mensch tippt etwas in den mit dem Computer verbundenen Fernschreiber, und der Rechner reagiert darauf mit einem Ausdruck. Heute läuft der Nachrichtenaustausch natürlich über ein Terminal mit Bildschirm.

Wie man am Ende von Weizenbaums Artikel sehen kann, füllt sein Programm nur anderthalb Seiten. Dass es dennoch funktioniert, hängt mit dem eng begrenzten Dialogthema zusammen. ELIZA imitiert einen Psychologen, der in der Nachfolge von Carl Rogers eine personenzentrierte Gesprächstherapie betreibt. Dabei greift der Arzt jeweils die Äußerungen des „Klienten“ auf und praktiziert, um eine Carl-Rogers-Seite zu zitieren, „ein Verhalten, das durch einfühlendes Verstehen zu einer Reflexion – einer Rückspiegelung – der Gefühle des Klienten führt“.

Start eines Dialogs mit ELIZA

Start eines Dialogs mit ELIZA

Analog sucht ELIZA in der Eingabe des Users nach einem Schlüsselwort, das zur passenden Ausgabe führt. Fehlt ein solches Wort, holt das Programm einen Standardsatz hervor, um das Gespräch in Gang zu halten. Joseph Weizenbaums Ziel war nun nicht eine automatische psychologische Beratung, sondern eher das Gegenteil: Mit einer simpel gestrickten Software wollte er die Künstliche Intelligenz entzaubern und den Computergläubigen die Augen öffnen.

Allerdings musste er beobachten, dass manche Benutzer den Dialog mit ELIZA ganz anders erlebten: „Ich konnte bestürzt feststellen, wie schnell und wie intensiv Personen […] eine emotionale Beziehung zum Computer herstellten und wie sie ihm eindeutig menschliche Eigenschaften zuschrieben.“ Und mit Schrecken las er von einem anderen Computerprogramm, das an der kalifornischen Stanford-Universität erstellt wurde und im ELIZA-Stil eine psychotherapeutische Sitzung simulierte.

Weizenbaums Erfahrungen mit der Sprachsoftware, die auch unter den Namen DOCTOR lief, und weitere Erlebnisse an seinem Arbeitsplatz, dem Massachusetts Institute of Technology in Boston, veranlassten ihn zu einem der großen Werke der Technikkritik. Sein Buch „Computer Power and Human Reason: From Judgement to Calculation“ erschien 1976 in den USA, die Einführung mit der Erwähnung von ELIZA ist hier nachlesbar. Die deutsche Ausgabe „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ folgte 1978.

Das Programm wirkte sich noch in einer zweiten Richtung aus. Schon 1950 beschrieb der IT-Pionier Alan Turing, wie man in einem Mensch-Maschine-Dialog die Denkfähigkeit eines Computers ermitteln könnte. ELIZA zeigte einen Weg auf, um einen solchen Test tatsächlich zu realisieren. Seit 1991 kämpfen Informatiker um den Loebner-Preis, der dem intelligentesten Dialogprogramm verliehen wird. Es gibt allerdings auch Gegenstimmen, die ein anderes Prüfverfahren fordern, den nach der ersten Programmiererin benannten Lovelace-Test.

Schon 1989 erschien die erste Online-Version von ELIZA, und bis heute kann man mit ihr auf Englisch oder Deutsch im World Wide Web chatten. Wem das nicht genügt, findet im Netz den Originaltext der Eliza-Komödie „Pygmalion“ sowie eine Verfilmung von 1938. Unter Eingangsbild stammt aus einer Aufführung des Jugendtheaters der amerikanischen Stadt Bristol von 2014. Für Experten: Links oben steht Professor Higgins, rechts oben sein Freund, Oberst Pickering.

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2 Kommentare auf “My Fair Software”

  1. Stu Savory sagt:

    Weizenbaum war sehr wohl bewusst wie wenig sein Program tatsächlich „leistete“. Ich glaube daher, daß es eine gesunde Portion Selst-Ironie war der zu der Wahl deren Name „Eliza“ führte. Eliza DOOLITTLE.
    „Do Little“ = „Wenig leisten“ 😉

  2. Das interessante an ELIZA war, dass es eben keine Vernetzung von Computern anstrebte wo also der Computer nur als Medium diente, sondern Eliza war als KI konzipiiert. Es geht also nicht darum, zwei Menschen interagieren zu lassen, sondern der Mensch kommuniziert mit einem Computer. Das ist deshalb wichtig, weil es heute technisch immernoch nicht möglich ist, dass diese Unterhaltung echt wirkt. Immer hat man das Gefühl mit einem Computer zu sprechen.

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