Panzerplatten mit Elektronengehirn
Geschrieben am 25.05.2018 von HNF
Am 27. Mai 1968 nahm die Kreissparkasse Tübingen den ersten Geldautomaten in der Bundesrepublik in Betrieb. Er befand sich an der Hauptstelle am Lustnauer Tor. Das Gerät war eine Entwicklung der Tresorfirma Ostertag und der IT-Abteilung von AEG-Telefunken in Konstanz. Der Automat wurde auch ins Ausland verkauft, er konnte sich aber am Markt nicht durchsetzen.
Ein Museum wie das zu Leonardo Torres Quevedo in Madrid wird Heinz Maierhöfer wohl nie erhalten. Er hätte es verdient, doch leider weiß man nur wenig über ihn. Sicher ist, dass er in den 1960er-Jahren in Unterkochen – das liegt auf der Schwäbischen Alb zwischen Aalen und Oberkochen – wohnte und für den Aalener Geldschrankhersteller Ostertag arbeitete. Und dass er 1965 – das folgt aus dem Tag der Patentanmeldung – den Geldautomaten erfand.
Die Geschichte des Bankautomaten haben wir schon vor einem Jahr im Blog geschildert. Anlass war der runde Geburtstag der ersten „Cash Machine“ in London: Entwickelt von John Shepherd-Barron, ging sie am 27. Juni 1967 in Dienst. Wie oft erzählt, hatte Shepherd-Barron die entscheidende Idee im Frühjahr 1965, als er in der Badewanne lag. Der Schotte James Goodfellow meldete im Mai 1966 ein Patent für ein anderes System an. Der danach gebaute Geldautomat startete am 31. Juli 1967 ebenfalls in London.
Doch schon am 12. Februar 1965 reichte die Firma Ostertag beim Deutschen Patentamt einen Antrag für einen „Geldausgabeautomat“ ein. Die dazu gehörige Offenlegungsschrift trägt die Nummer 1.499.531; sie wurde Ende 1969 bekanntgemacht und nannte noch keinen Erfinder. Im Netz ist sie in der Datenbank des Amtes abrufbar: Bitte den Titel der Erfindung und den Anmeldernamen „Ostertag-Werke“ eintippen. In der Übersicht, die nach dem Abschicken erscheint, steht sie in der untersten Zeile.
Die Schrift dürfte bei den Patentprüfern Stirnrunzeln ausgelöst haben. Sie schilderte weniger die genaue Konstruktion als den groben Aufbau, den Sinn und Zweck und die Bedienung des Automaten. Mit Staunen lesen wir, dass er ein Magnetband und ein Elektronengehirn enthielt. Viel Wert legte der anonyme Autor auf die Schutzeinrichtungen: Sie umfassten „gehärtete Stahlplatten, Betonfüllungen, undurchschneidbare Hartguss-Panzerplatten oder chemische Mittel“. Ein Einbrecher hätte also keine Chance gehabt.
Auf den Patentantrag folgte nie eine Patenterteilung. Das Gleiche galt für eine revidierte Version, die Offenlegungsschrift 1.774.950 von 1970. Immerhin erwähnte sie den Urheber der Erfindung, den schon zitierten Heinz Meierhöfer. Unabhängig vom Patentverfahren suchten die Aalener Geldschrank-Werke einen Partner, um ihr Automatenkonzept zu verwirklichen. Sie fanden ihn in Konstanz in Gestalt der Firma Telefunken. Bereits auf der Hannover-Messe des Jahres 1966 wurde ein Prototyp gezeigt, PR-Fotos wurden verteilt.
Der Geldausgabeautomat von Ostertag und Telefunken schluckte eine normale Lochkarte und eine kleinere gelochte Erkennungskarte. Die großen Karten erhielten die Kunden beim Geldinstitut; sie entsprachen Schecks über 100 DM. Beim Abheben behielt sie der Automat ein und rückte für jede einen Hundertmarkschein heraus. Die kleine Lochkarte diente als Ausweis des Kunden; sie wurde ihm nach dem Vorgang wieder zurückgegeben. Zusätzlich brauchte er noch einen Schlüssel zum Öffnen der Vordertür.
Es dauerte dann bis zum 27. Mai 1968, bis der erste Geldspender im Einsatz war. Installiert hatte ihn die Kreissparkasse Tübingen in der Zentrale Am Lustnauer Tor. Mittlerweile war draußen in der Welt eine Menge passiert. Die englischen Bankautomaten fanden seit dem Sommer 1967 Kunden im In- und Ausland; „Bankomaten“ aus heimischer Produktion liefen ebenso in Schweden. Eine Firma Telefunken gab es nicht mehr; Anfang 1967 fusionierte die alte Telefunken AG mit der Mutterfirma AEG zu AEG-Telefunken.
Auf den Geldautomaten stand keiner dieser Namen. Seinen Vertrieb übernahm Ostertag, AEG-Telefunken machte jedoch gelegentlich Werbung. Im ersten Jahr nutzten 150 Personen das Gerät in Tübingen; sie hoben zusammen rund 2.000 DM täglich ab. Im Januar 1969 nahm ein weiterer Automat am Konstanzer Bodanplatz den Dienst auf. Hier stellten sich in sechs Monaten vierzig Kunden ein. Im Mai 1969 folgte ein System am Eingangstor des örtlichen AEG-Telefunken-Werks. Zu ihm sind uns keine Zahlen bekannt.
Der Geldausgabeautomat wurde nach Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich und in die Niederlande exportiert. Eine Ostertag-Broschüre, die um 1970 erschien, erwähnte diverse Verbesserungen. So ersetzte man den Türverschluss durch ein Kombinationsschloss und bot eine Einzahl-Funktion an. Die Produktion endete wohl in den 1970er-Jahren. 1974 gingen die Ostertag-Werke in Konkurs; 1978 beantragte der Nachfolger, die Ostertag-Werke GmbH, noch ein Gebrauchsmuster für einen frei stehenden Automaten.
Ob es je gewährt wurde, wissen wir nicht. Die Aalener GmbH war 1996 finanziell am Ende. Im gleichen Jahr verschwand auch die AEG aus dem Handelsregister; Telefunken existiert nur als Marke. Der Nachlass der zwei Traditionsunternehmen liegt mittlerweile im Deutschen Technikmuseum in Berlin. Die Kreissparkasse Tübingen gibt es noch. Sie erwarb 1982 für die Filiale Am Markt den ersten Geldautomaten mit Magnetkarten: Wir vermuten, bei der Nixdorf Computer AG (die es leider nicht mehr gibt).
Wir bedanken uns herzlich bei Jörg Schmalfuß von der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und bei Klaus Rein von der Kreissparkasse Tübingen für Fotos und weiterführende Informationen. Das Eingangsbild oben stammt aus dem Historischen Archiv des Deutschen Technikmuseums und zeigt den Ostertag-Telefunken-Geldautomaten, den patentrechtlich ersten der Welt. Über Angaben zum Erfinder Heinz Maierhöfer würden wir uns freuen.