Relais, Lämpchen, Druckknöpfe – Minivac 601
Geschrieben am 20.08.2021 von HNF
„Ein erster Schritt in die aufregende Welt der elektronischen Datenverarbeitung mit Digitalrechnern.“ So beschrieb vor sechzig Jahren die Scientific Development Corporation aus der amerikanischen Stadt Watertown den Minivac 601. Das Gerät kostete 85 Dollar, und man konnte mit ihm die Prinzipien eines Computers durchspielen. In die Konstruktion gingen auch Ideen des Mathematikers Claude Shannon ein.
Die ersten Computer waren groß und teuer, es gab aber auch kleinere, die sich normale Menschen leisten konnten. Sie wurden Spielcomputer genannt und beherrschten zumeist die Regeln der Aussagenlogik. Der amerikanische Mathematiker und Publizist Edmond Berkeley erfand 1950 den relaisbestückten Simon, der bis drei zählen konnte. Auch Konrad Zuse baute nach Kriegsende einen Kleinrechner mit Relais, der leider später verloren ging.
Im August 1961 erstellte die Scientific Development Corporation mehrere Broschüren über den Spielcomputer Minivac 601. Auch er enthielt die elektromagnetischen Bauteile; im Unterschied zu Simon und dem namenlosen Zuse-Gerät ging er in Serie und kam in den Handel. Sein Hersteller saß in der westlich von Boston gelegenen Stadt Watertown. Viel mehr ist über die Firma nicht bekannt, die Minivac-Broschüren sind anonym. Sie lassen sich hier, hier und hier abrufen und bilden die Hauptquelle zu unserem Rechner.
Im Oktober 1961 erschien im Magazin Popular Science die wohl erste Anzeige zum Minivac, dem „kleinen Bruder der riesigen Elektronengehirne“, wie es im Text hieß. Die Leser erfuhren den Kaufpreis – 85 Dollar – und dass die Broschüren Hunderte von Anwendungen („experiments“) nennen würden. Unklar blieb die Größe, doch das können wir nachholen: Der Minivac maß 61 mal 34 Zentimeter und war dreizehn Zentimeter hoch. Das zeigt ebenso die Fernsehsendung des Netzwerks NBC, die den Rechner damals vorstellte.
Laut Anzeige wurde er als privates Projekt von Claude Shannon geschaffen und von der Scientific Development Corporation entwickelt. Hierauf bezieht sich vielleicht die erste Zeile des Anzeigentextes, die von 25.000 Dollar „research time“ sprach. Den Mathematiker Claude Shannon haben wir im Blog schon öfter getroffen; er zählte zu den Gründervätern der Informatik und der Künstlichen Intelligenz. Er war ein begnadeter Bastler und konstruierte verschiedene Systeme für Spiele, darunter eines für Schach.
In den 1950er-Jahren stand Claude Shannon in Kontakt mit dem oben erwähnten Edmond Berkeley. Berkeley wusste von Shannons Arbeit zur Schaltalgebra und nahm Ideen daraus in den Spielcomputer GENIAC auf. Es ist durchaus denkbar, dass Shannon einen Beratervertrag mit der Scientific Development Corporation erhielt. Der Minivac war allerdings komplizierter als der recht einfach gestrickte GENIAC. Er wurde ans Stromnetz angeschlossen und wie einst das Elektronengehirn ENIAC durch Kabel programmiert.
Die Kabel passten in mehrere Reihen von Buchsen. Sie waren in kleine Gruppen unterteilt, die die Bedienungsanleitung als Terminals bezeichnete. Vorne auf dem Minivac 601 saßen solche Terminals neben den Druckknöpfen für den binären Input; die nächsten befanden sich etwas höher neben sechs Schiebeschaltern. Es folgten dann die Buchsen für die Relais; darüber sehen wir die Terminals für die sechs Output-Lämpchen. Andere Lämpchen zeigten die Zustände der Relais an.
Rechts auf dem Computer war ein Drehschalter mit sechzehn Positionen montiert, um den sich ein Ring mit sechzehn Buchsen-Paaren zog. In jeder Position wurde eine elektrische Leitung im zugehörigen Paar hergestellt. Der Schalter ließ sich von Hand oder mit einem kleinen Motor bewegen; auf diese Weise lief eine kurze Folge von Minivac-Schritten ab. Die Bedienungsanleitung verwendete auch das Wort „Programm“, doch meinte es nur eine bestimmte Verkabelung.
Rechts oben besaß unser Gerät noch eine Matrix. Durch Einstecken von Kabeln an den unterschiedlichen Plätzen wurden geometrische Figuren oder Ziffern eingegeben. Wer sich mit der Technik des Geräts vertraut gemacht hatte, konnte damit alle möglichen Aufgaben lösen. Dabei erreichte es schon die Höhen der Künstlichen Intelligenz. Es übertrug einen englischen Satz ins Deutsche. Außerdem beherrschte es die Spiele Nim und Tic-Tac-Toe. Wenn man den Minivac anfangen ließ, erzielte er mindestens ein Unentschieden.
1962 brachte die Scientific Development Corporation den verbesserten Minivac 6010 heraus; er kostete 155 Dollar. Ein 6010-Modell landete im Computermuseum Mannheim, siehe Foto unten; wir danken Oliver Obi herzlich für die Nutzungserlaubnis. Seit 2019 wird im Netz eine Kopie des Ur-Minivac für Besitzer von 3D-Druckern angeboten. Im Prinzip lässt sich der Spielcomputer als Schaltkreis nachbauen, wie ein Video beweist, und wohl auch virtuell simulieren. Die Minivac-601-Bilder im Blogtext fotografierte Autopilot (CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten), unser Eingangsbild zeigt den Computer des HNF.