Schneller als Gedanken
Geschrieben am 16.02.2018 von HNF
Vor 65 Jahren erschien in London die Aufsatzsammlung „Faster Than Thought“; Herausgeber war der Physiker Vivian Bowden. Die 26 Beiträge behandelten Geschichte und Theorie des Computers, einzelne Rechner sowie den Computereinsatz. Das Buch bot eine umfassende und verständliche Einführung in die Informatik aus erster Hand. Zudem leitete es die Wiederentdeckung der Software-Pionierin Ada Lovelace ein.
Im Sommer 1951 strömten Engländer, Schotten, Waliser und Iren zum Festival of Britain, das in mehreren Städten des Vereinigten Königreichs ablief. Seine Ausstellungen und Veranstaltungen brachten eine willkommene Abwechslung ins karge Nachkriegsleben. Das Zentrum bildete ein Areal in London mit der Royal Festival Hall, der großen Halle der Entdeckungen und vielen kleineren Pavillons. Eine weitere Festivaladresse war das Londoner Science Museum, wo es eine Sonderschau über Wissenschaft und Technik gab.
Ein Exponat war der Computer Nimrod von der Elektro- und Elektronikfirma Ferranti. Man konnte gegen ihn das Streichholzspiel Nim bestreiten; in der Regel gewann der Automat. Für die meisten Besucher war er der erste Computer ihres Lebens, und das Museum verkaufte zur Information eine 40-Seiten-Broschüre: The Ferranti Nimrod Digital Computer. Über dem Titel stand etwas kleiner „Faster Than Thought“ – schneller als Gedanken. Wer es nicht weiß: Die Worte sind ein Zitat aus William Shakespeares „Wintermärchen“, 4. Akt, 3. Szene.
Die Broschüre kam vom Physiker Vivian Bowden, der sich gut mit Literatur auskannte. Geboren 1910 in Chesterfield, studierte er in Cambridge; im 2. Weltkrieg arbeitete er in der Radarforschung. 1951 war er im Vertrieb von Ferranti in Manchester tätig, ab 1953 leitete er dort eine Technische Hochschule. 1964 wurde er als Baron Bowden in den Adelsstand erhoben und amtierte kurze Zeit als Bildungsminister. Zu seinen Interessen zählte auch islamisches Finanzwesen. 1976 zog er sich ins Privatleben zurück. Er starb 1989.
Nach dem Festivalauftritt beeindruckte Nimrod im Oktober 1951 die Berliner; wir haben es schon berichtet. Vivian Bowden nahm derweil ein neues Projekt in Angriff: eine erweiterte Ausgabe von „Faster Than Thought“. Sie lag Anfang 1953 vor, Bowdens Einführung stammt vom Januar des Jahres. Er war der Herausgeber des 416-Seiten-Werks und schrieb ganz oder teilweise acht der 26 Beiträge. Ein Vorwort verfasste Tony Giffard, 3. Earl of Halsbury; er betreute im Königreich den Technologietransfer. Außerdem gab es einen langen Anhang.
„Faster Than Thought“ 2.0 zählt zu den Klassikern der Technikpublizistik. Beim Untertitel „A Symposium in Digital Computing Machines“ dachte Vivian Bowden wahrscheinlich an den Philosophen Plato. Man findet das Buch in voller Länge im Netz. Im ersten Abschnitt mit fünf Artikeln gingen Bowden und zwei Ferranti-Kollegen auf die Theorie und die Technik der Digitalrechner ein. Der zweite Teil umfasst acht Beiträge über englische und einen Beitrag über amerikanische Computer. Sie stammen von verschiedenen Autoren – Herausgeber Bowden steuerte den Text zu den USA bei.
Von den zwölf Artikeln des dritten Abschnitts behandeln elf Computer-Anwendungen. Der gebürtige Deutsche Dietrich Prinz schrieb zum Beispiel über Logikmaschinen und der englische Computerpionier Maurice Wilkes über Programme zur Kristallographie. Beim Kapitel zu Spielen wirkten gleich vier Autoren mit: Vivian Bowden, der Software-Spezialist Christopher Strachey, die Ferranti-Programmiererin Audrey Bates – sie hatte bei Alan Turing studiert – und Alan Turing selbst.
Den zwölften Artikel des Abschnitts erstellte Vivian Bowden allein; er nahm sich der Grenzen und der Zukunft des Computers an. Normalerweise wäre das Buch damit zu Ende gewesen, doch der Herausgeber fügte einen ganz besonderen Anhang an: den berühmten Aufsatz von Luigi Federico Menabrea über die analytische Maschine von Charles Babbage, gefolgt von den noch berühmteren Anmerkungen der Übersetzerin Ada Lovelace. Ihr Text erschien zuerst 1843; wir haben ihn bereits im Ada-Lovelace-Jahr 2015 im Blog gewürdigt.
Anders formuliert: „Faster Than Thought“ leitete vor 65 Jahren die Wiederentdeckung von Charles Babbage und Ada Lovelace ein. Schon das allererste Kapitel, eine kurze Geschichte der Rechentechnik, stellte die Maschinenentwürfe von Babbage vor. Der deutsche Autor Rolf Strehl wies zwar schon 1952 im Buch Die Roboter sind unter uns auf den Pionier hin, doch die englische Fassung „The Roboter Are Among Us“ erschien erst im Jahr 1955. Das Werk von Baron Bowden of Chesterfield wurde leider nie ins Deutsche übertragen.
Dafür folgt jetzt die Übersetzung der Faster-than-thought-Passage aus dem Wintermärchen. Die Übersetzerin Dorothea Tieck stellte einige Worte um, doch man findet die Stelle sofort: „Ich sehe schon / Leontes, wie er weit die Arme öffnet / Und Willkomm Euch entgegen weint: Vergebung / Von Euch, dem Sohn, erfleht, als wär’s der Vater: / Die Hände küßt der jugendlichen Fürstin; / Jetzt denkt er seiner Härte, jetzt der Liebe; / Verwünscht den Haß zur Höll‘ und wünscht, daß Liebe / Noch schneller wachs‘ als Stunden und Gedanken.“
Das Eingangsbild zeigt den HNF-Ausstellungsbereich rund um den ENIAC (Foto: Jan Braun, HNF).