Weltkongress der Informatik
Geschrieben am 14.06.2024 von HNF
Eine Tagung über die Fortschritte der Rechentechnik gab es schon 1945 in den USA, 1951 behandelte ein Kolloquium in Paris den Computer und das Denken. Rund zweitausend Menschen trafen sich vom 15. bis 20. Juni 1959 bei der Internationalen Konferenz zur Informationsverarbeitung, die die Weltorganisation UNESCO ausrichtete. Auch sie fand in der französischen Hauptstadt statt.
Das mussten wir nachschlagen: Das Kürzel UNESCO steht für United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, zu Deutsch Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Ihre Gründung erfolgte im November 1945 in London; seit 1946 sitzt sie in Paris. 1951 wurde die Bundesrepublik Deutschland Mitglied. 1958 bezog die UNESCO ihr hochmodernes Hauptquartier, das im Eingangsbild (Foto UN) und im Video zu sehen ist. Bei Minute 2:20 erscheint das Auditorium.
Vor 65 Jahren fand dort eine internationale Konferenz über Datenverarbeitung statt. Solche Veranstaltungen waren eigentlich nicht neu. Bereits im Oktober 1945 organisierte das MIT die erste Informatik-Tagung im amerikanischen Cambridge, 1949 und 1951 folgten ähnliche Meetings im englischen Cambridge und in Paris, 1952 und 1955 trafen sich Spezialisten für Rechentechnik in Aachen und in Darmstadt, 1958 widmete sich in Teddington bei London ein Kongress der Künstlichen Intelligenz.
Den Anstoß zur Pariser Konferenz gab der amerikanische Ingenieur Isaac Auerbach, der 1921 in Philadelphia geboren wurde. Nach dem Ende des Studiums arbeitete er für die Firma der Computerpioniere John Mauchly und John Presper Eckert sowie für den Hersteller Burroughs. Im November 1955 hatte er die Idee für einen übernationale EDV-Kongress. Er gewann noch andere Interessenten, und 1957 schlug die US-Regierung der UNESCO ein solches Projekt vor. Sie griff Auerbachs Vorschlag auf, und von Juni 1958 bis Februar 1959 legten in Paris drei Expertenrunden die Einzelheiten fest.
Am 15. Juni 1959 begann die UNESCO-Konferenz; das ist das Handbuch dazu. Sie lief bis zum 20. Juni und war die bis dahin imposanteste Veranstaltung ihrer Art. Es nahmen rund 2.000 Menschen aus 37 Ländern und dreizehn internationalen Organisationen teil. 550 kamen aus Frankreich und 500 aus den USA – 1959 konnte man im Düsenjet von Amerika nach Europa fliegen. Etwa 270 Teilnehmer reisten aus Deutschland an; sie bildeten auf der Tagung die drittgrößte Volksgruppe. Dabei führte das Handbuch die Gäste aus der DDR ebenfalls unter „German Federal Republic“ auf. Vierzig Besucher waren Sowjetbürger.
Die UNESCO versammelt damals alles, was in der Computerwelt Rang und Namen hatte. Als Präsident der Konferenz amtierte Howard Aiken, unter den Vizepräsidenten finden wir Sergei Lebedew, John Mauchly, Maurice Wilkes und Konrad Zuse. Zur westdeutschen Delegation zählten unter anderem Friedrich Bauer, Lothar Collatz, Wolfgang Händler, Walter Sprick, Karl Steinbuch und Alwin Walther. Der Mathematiker Otto Leiberich vertrat die Bundesstelle für Fernmeldestatistik in Bad Godesberg. Was nur Eingeweihte wussten: Hinter ihr verbarg sich die Kryptologie-Abteilung des Bundesnachrichtendienstes.
Unter den englischen Teilnehmern sticht Conway Berners-Lee hervor, der Vater des WWW-Erfinders; das sind die Erinnerungen eines Ungarn. Das Vortrags- und Seminarprogramm der Konferenz umfasste fünf Teile: mathematische Anwendungen, Programmiersprachen, die Übersetzung natürlicher Sprachen sowie Künstliche Intelligenz und Computerarchitektur. Am letzten Tag behandelte eine Sektion mit sieben Referaten die Informationstechnik der Zukunft. Die historisch wichtigsten Abschnitte der Konferenz dürften die zum Time-Sharing und zur Sprache ALGOL gewesen sein.
Parallel zur Veranstaltung im UNESCO-Hauptquartier bot eine Ausstellung im Pariser Grand Palais Einblicke in Computer-Hardware. 27 Unternehmen bauten Stände auf, darunter zwei deutsche, Standard Elektrik Lorenz und Zuse. Die meisten Firmen kamen aus Frankreich und aus den USA. Die Pariser Konferenz führte auch zur Gründung der IFIP, der Internationalen Vereinigung für Datenverarbeitung. Von 1962 bis 2018 fanden 23 IFIP-Kongresse statt. Mittlerweile ist die Ära der großen themenübergreifenden Computertagungen vorbei, das Frühjahr von 1959 – die UNESCO tritt im Video bei Minute 3:50 auf – lebt aber weiter.