Wie die Bilder laufen lernten
Geschrieben am 08.05.2018 von HNF
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand die moderne Filmtechnik. Vor allen in den USA und Frankreich befassten sich Forscher mit der Aufzeichnung und Wiedergabe von Bewegungsvorgängen. Der berühmte Erfinder Thomas Edison führte vor 125 Jahren das von seinem Assistenten William Dickson entwickelte Kinetoskop vor. Damit konnte sich ein einzelner Betrachter einen Film anschauen.
Der Weg zum Film ist mit Fremdworten gepflastert. Bis etwa 1890 erfanden helle Köpfe das Phenakistiskop, den Kineographen, das Mutoskop, das Zoetrop, das Praxinoskop, das Zoopraxiskop und last not least das Tachyskop. Alle Geräte zielten darauf ab, zeitliche Vorgänge in Bildern festzuhalten und durch trickreiche Methoden wiederzugeben. Sie waren aber nur optische Spielereien oder technische Versuche und konservierten höchstens kleine Ausschnitte der wirklichen Welt.
Der fleißigste Erfinder jener Zeit war der 1847 geborene Amerikaner Thomas Edison. 1877 stellte er den Phonographen vor, der Stimmen speicherte. Ab 1888 überlegte er, wie man Bewegungen aufzeichnen könnte. Den Anstoß gab ein Treffen mit dem Fotografen Eadweard Muybridge in Edisons Labor im US-Bundesstaat New Jersey. Muybridge war ein Experte für Serienfotografie; er hatte außerdem das erwähnte Zoopraxiskop gebaut. Mit ihm projizierte er kurze Bildreihen an die Wand und erweckte die dargestellten Motive zum Leben.
Edison dachte zunächst an eine Weiterentwickung seines Phonographen. Letzterer bestand aus einer mit Stanniol oder Wachs bedeckten Walze, in die Schallwellen eingeritzt wurden. Bei seinem neuen Kinetoskop setzte Edison auf die Oberfläche der Walze eine Folge kleiner Fotos. Direkt darüber montierte er ein Mikroskop und neben die Walze ein Uhrwerk, das sie gleichmäßig drehte. Wer nun durch das Mikroskop auf die vorbeiziehenden Fotos schaute, sah einen fließenden Vorgang. Oder anders ausgedrückt: einen Film.
Edisons Urmodell ist im Bild erhalten, und man erkennt die Walze mit den Diapositiven. Überlebt hat ebenso ein Clip von einem Test des Geräts. Die nötige Kamera, den Kinetograph, konstruierte Edisons Assistent William Dickson. Sie arbeitete mit Zelluloidfilmen von der Breite 1 3/8 Zoll; das führte zum bekannten Format mit 35 Millimetern. Das Material war erst kurz vorher vom Fotopionier George Eastman auf den Markt gebracht worden.
Den August und September 1889 verbrachte Thomas Edison in Europa. In Paris lief die Weltausstellung mit dem gerade fertig gewordene Eiffeltum. In den Hallen daneben belegte Edisons Firma 4.000 Quadratmeter und zeigte ein komplettes Elektrizitätswerk. Edison lernte in der Stadt den Forscher Étienne-Jules Marey kennen, der sich wie Eadweard Muybridge mit Fotoserien befasste. Vielleicht sah er auf der Weltausstellung auch das Optische Theater des Erfinders Émile Reynaud. Es basierte auf handgemalten Bildbändern.
Sicher ist, dass Edison nach der Rückkehr in sein Labor das Kinetoskop veränderte. Die Walze verschwand, herein kamen Rollen und ein Zelluloidstreifen. Anfang 1891 hatte William Dickson den Prototyp fertiggestellt. Äußerlich war er ein Holzkasten mit einem Guckloch auf der Oberseite; darunter saß eine Lupe. Der Film wurde mit konstantem Tempo zwischen der Lupe und einer hellen Lampe hindurchgezogen. Eine rotierende Blende erzeugte dreißig Mal pro Sekunde einen Lichtblitz, worauf jedes Mal ein Bild des Streifens erschien. Die aufeinander folgenden Bilder verschmolzen im Auge des Betrachters zum Film.
Am 27. Mai 1891 lud Edison 150 Vertreterinnen amerikanischer Frauenvereinen in sein Labor und führte das Gerät vor. Die Damen, die durch die Lupe ins Innere schauten, erblickten dort einen netten jungen Mann, nämlich Dickson. In der anderthalb Sekunden langen Szene, die sich zehnmal wiederholte, spielte er mit seinem Strohhut. Das Kinetoskop zeigte nicht viel, doch das perfekt; die Presse sprach von einer „wunderbaren Darbietung“. Aufgenommen wurde diese nahe Edisons Labor im ersten Filmstudio der Welt, der Black Maria.
Die erste öffentliche Präsentation des Systems fand am 9. Mai 1893 in einem Museum in Brooklyn statt. Der Nachbarort von New York war damals noch eine selbstständige Gemeinde. Das Kinetoskop enthielt einen 34 Sekunden langen Film mit drei fleißigen Schmieden. Ein knappes Jahr später, am 14. April 1894, öffnete in New York der erste Kinetoskop-Salon. Auf die Besucher warteten zwei Reihen von fünf Maschinen, die unterschiedliche Filme anboten. Das Anschauen einer Reihe kostete 25 Cent, was heute fünf Euro entspräche.
Ähnliche Salons entstanden in Chicago, San Francisco und anderen Städten. Die New Yorker Guckkästen brachten Monatseinnahmen von 1.400 Dollar, die in Chicago die Hälfte. Durch Geräteverkäufe und Nutzungsgebühren verdiente Edison in elf Monaten 85.000 Dollar, heute wären das fast zwei Millionen Euro. Die Kinetoskop-Kunden sahen Sänger und Tänzer, Boxer und Artisten sowie den deutschen Kraftsportler Eugen Sandow. Neue Filme kamen hinzu, 1895 boten manche Hallen auch Geräte mit Begleitton an. 1896 war der erste Filmkuss zu sehen.
Die Zukunft gehörte aber nicht dem Kinetoskopen, sondern dem Kino. Am 22. März 1895 zeigten Auguste und Louis Lumiere den ersten Film vor zweihundert Zuschauern in Paris. Aufgenommen hatten sie die Arbeiter ihrer Fabrik in Lyon. Hier sind drei hochaufgelöste Versionen davon; die von 1895 kommt am Schluss. Das Brüderpaar Gray und Otway Latham realisierten am 20. Mai 1895 die erste Filmshow für ein zahlendes Publikum. Die Besucher ihres Theaters am New Yorker Broadway sahen einen Vier-Minuten-Faustkampf.
Unser drittes Brüderpaar, Max und Emil Skladanowsky, führten im Sommer 1895 Filme in Pankow vor. Produziert hatten sie diese mit einer selbst gebauten Kamera, die Projektion erfolgte mit dem von ihnen erfundenen Bioskop. Am 1. November des Jahres flimmerten ihre Werke auch im Berliner Variete Wintergarten. 1896 sprang schließlich Thomas Edison auf den Kino-Zug auf. Seine Filmgesellschaft verwendete die Systeme Vitascope – siehe das Eingangsbild oben – und Projektoscope.
Damit endete die Frühgeschichte des Filmtechnik. Thomas Edison erlebte die nächsten Jahrzehnte noch mit; im Februar 1931 trat er selbst in der Wochenschau auf und gab ein witziges Interview. Auf die Frage, wie er die neu erfundenen Tonfilme fände, sagte er nur: „Keine Ahnung, ich habe noch nie einen gehört“ – Edison war seit der Kindheit schwerhörig. Er starb am 18. Oktober 1931. Der Film dagegen ist vermutlich unsterblich.
Danke für die guten Informationen zur Filmtechnik. Der Film Ansicht ist ja ein stark durch Technologie geprägtes Thema. Wenn man bedenkt wie wenig der Film heute noch mit den ersten Schritten zu tun hat. Nahezu jede Produktion für das Kino kommt nicht ohne große Nachproduktion durch Computerfarmen aus.