Wir gehen in die Luft
Geschrieben am 15.07.2016 von HNF
Seit 1. Juli besitzt das HNF einen neuen Bereich zur Geschichte der Computerspiele. Eine wichtige Inspiration für diese Spiele war die Flugsimulation. In den 1970er-Jahren liefen Programme mit bewegten Landschaften für das Pilotentraining. 1980 brachte in den USA Bruce Artwick einen Flugsimulator für den Apple II heraus. Aus ihm entstand die bekannte Serie von Microsoft.
Schon früh erlernten Piloten ihr Handwerk im Simulator. 1929 erfand der Amerikaner Edwin Link den nach ihm benannten Trainer. Er umfasste ein dreh- und schwenkbares Cockpit und ahmte das Fliegen bei Nacht und Nebel nach. In den 1940er-Jahren entwickelte sein Landsmann Richard Dehmel eine Anlage, die das Verhalten eines Flugzeugs mit Hilfe elektrischer Analogrechner simulierte.
Solche Systeme waren durchaus anspruchsvoll, man konnte bereits das Steuern von Düsenjets üben. Was noch fehlte, war eine Ansicht der Umgebung, also der Landschaft unter dem Flugzeug und der Start- und Landebahnen des Flugplatzes. Dieser Schritt gelang der Evans & Sutherland Computer Corporation in Salt Lake City im US-Bundesstaat Utah. Die Firma war 1968 von zwei Professoren der örtlichen Universität gegründet worden, David Evans und Ivan Sutherland.
Letzteren haben wir im Blog schon als Pionier der Virtuellen Realität kennengelernt. David Evans machte die Informatikabteilung seiner Universität zu besten Ausbildungsstätte für Computergrafik und Computeranimation im Lande. In ihrer Firma entwickelten Evans und Sutherland in den frühen Siebzigern die Software Novoview. Vermarktet wurde sie vom englischen Simulatorhersteller Redifon. Damit erhielt zum ersten Mal ein klassischer Flugsimulator ein digitales Bildsystem. Der erste Käufer war 1972 die holländische Fluggesellschaft KLM.
Die bewegte Außenwelt, die man im Simulator sah, bestand aber nur aus 2.000 hellen Punkten. Mancher Pilot beklagte sich über das „Schwarze Loch“. Die nächste Novoview-Version brachte 1974 einen hellen Horizont und eine Textur auf der Landebahn. 1977 erwarb die Lufthansa das System Daynite: Es kostete zwei Millionen Dollar und zeigte mit Rastergrafiken eine animierte Umwelt am Tag. Nach erfolgreichen Jahren dämpfte das Ende des Kalten Krieges das Geschäft. 2006 verkaufte Evans & Sutherland die Simulatorabteilung an die Firma Rockwell Collins.
1980 wurde eine ganz andere Luftfahrt-Software geboren. Im Januar brachte das Softwarehaus subLOGIC im US-Bundesstaat Illinois einen Flugsimulator für den Mikrocomputer Apple II heraus. Autor war der 27-jährige Bruce Artwick. Er hatte in der Universität von Illinois Elektrotechnik studiert und kurze Zeit bei einer Flugzeugfirma in Kalifornien gearbeitet. Sein Programm lag in der Apple-Assemblersprache vor und umfasste 16 Kilobyte. Verschickt wurde es auf Kassette für 25 Dollar plus Porto.
Im März 1980 erschien eine ähnliche Version für den 8-bit-Computer TRS-80. Die Programme simulierten Flüge in einer einmotorigen Propellermaschine über eine rechteckige Landschaft. Darin lagen ein ziviler Airport sowie zwei Feldflugplätze und ein Treibstofflager. Diese drei Elemente gehörten zu einem mitgelieferten Kriegsspiel. Alle Grafiken waren weiß auf schwarz, das Programm lieferte drei bis sechs Bilder pro Sekunde. Flugdaten erschienen am linken Rand des Bildschirms. Gesteuert wurde durch die normale Computertastatur.
Bald darauf führte Artwick Instrumente wie im echten Cockpit ein und verschönerte die Landschaft durch eine Brücke. Im Screenshot erkennt man den Fahrtmesser (AIRSPD = Airspeed) und den für die Höhe (ALT = Altitude). Für die zweite Generation der Software erschienen Disketten, die Städte der USA zum Überfliegen speicherten. Natürlich gab subLOGIC auch Handbücher mit. Hier ist das von 1980 für den TRS-80. Artwicks Kollegen Stu Moment und Tim Emanuel verfassten darüber hinaus eine Einführung in die Grundlagen der Fliegerei und des Kunstflugs.
1981 fragten sowohl IBM als auch Microsoft wegen einer Nutzung des Flugsimulators an. Bruce Artwick entschied sich für die Firma von Bill Gates: wie es hieß, gefiel ihm die Kleinbetrieb-Atmosphäre. Im November 1982 kam der erste Microsoft-Simulator hinaus. 1988 trennte sich Artwick von subLOGIC und gründete die Bruce Artwick Organization BAO. Hier widmete er sich der Weiterentwicklung der Microsoft-Simulatoren, erstellte aber auch Software für den professionellen Flugbetrieb. 1995 wurde BAO von Microsoft übernommen. Seitdem arbeitet Artwick als unabhängiger Berater.
Bis Juni 1999 verkaufte Microsoft 21 Millionen Simulatoren, was eine Eintragung ins Guinness-Buch der Rekorde brachte. Zum Erfolg trugen natürlich auch kleine Entwicklerfirmen und die Gemeinde der Nutzer bei, die die Software ständig erweiterten. Sie ist das älteste Produkt im Angebot des Unternehmens, und rechnet man die Jahre ab 1980 hinzu, das älteste Spielprogramm überhaupt. Heute ist die Simulatorszene kaum noch zu überblicken. Das HNF bietet an seiner Digitalen Werkbank im 2. Obergeschoss ein virtuelles Cockpit an – siehe Foto unten (Foto: Jan Braun, HNF).
Auch unser Eingangsbild sieht so aus, als wäre es dem Simulator entnommen, was aber nicht zutrifft. Es ist eine kleine Verbeugung vor dem Flugzeugbauer Boeing, der am 15. Juli den 100. Geburtstag feiert. Er sitzt übrigens in der gleichen Stadt – Seattle im Nordwesten der USA – wie Microsoft.
Am Flughafen Paderborn/Lippstadt ist seit 1991 die Aerosoft GmbH angesiedelt, ein früher Softwareentwickler für Computerspiele, der sich auf Simulatoren spezialisiert hat und weltweit zu den führenden Software-Herstellern im Bereich Flug zählt. Das vor allem im Bereich professioneller Flugsimulatoren anerkannte Unternehmen wurde als Start-Up von Bernward Suermann, Ralf Hartmann und Winfried Diekmann gegründet.