40 Jahre Lotus 1-2-3
Geschrieben am 26.01.2023 von HNF
Mit der Tabellenkalkulation zogen Mikrocomputer ins Büro ein. Die erste hieß VisiCalc; sie erschien 1979 in den USA und lief auf dem Apple II. Am 26. Januar 1983 kam die Software Lotus 1-2-3 heraus. Sie kalkulierte Tabellen auf dem IBM PC und kompatiblen Rechnern. 1995 wurde der Hersteller, die Lotus Development Corporation, von IBM übernommen.
Unsere Geschichte beginnt nicht vor vierzig Jahren, sondern früher, genauer gesagt im Mai 1979 mit dem Programm VisiCalc. Das war eine Tabellenkalkulation oder ein Spreadsheet, wie man im Englischen sagt. Es bearbeitete und berechnete lange Listen von Zahlen, die zumeist Geldbeträge ausdrückten.
VisiCalc stammte von der in der Universitätsstadt Cambridge nahe Boston sitzenden Firma Software Arts. Es wurde für den Acht-Bit-Computer Apple II geschrieben und machte ihn bürotauglich. Der Absatz des Apple schoss in die Höhe, was wiederum die Verkäufe von VisiCalc ankurbelte – das Programm war eine „Killerapplikation“. 1980 gelangte das ganz ähnliche SuperCalc in den Handel. Es war für Rechner mit dem Betriebssystem CP/M gedacht und lief unter anderem auf dem tragbaren Osborne 1.
1981 brachte IBM den Personal Computer heraus; er arbeitete in der Sechzehn-Bit-Welt und mit einem Betriebssystem von Microsoft. Sowohl Software Arts als auch Microsoft boten für ihn Tabellenkalkulationen an. Am 25. Oktober 1982 verkündete das Fachblatt InfoWorld eine weitere Spreadsheet-Software für den IBM PC. Sie hieß Lotus 1-2-3 und kam von der Lotus Development Corporation, die sich gleichfalls in Cambridge befand. Wie es hieß, zeigte das Programm neben Zahlentabellen auch Grafiken an und kostete 495 Dollar.
Die Leser des Artikels sahen außerdem ein Foto mit dem jungen Lotus-Chef Mitch Kapor. Er wurde am 1. November 1950 in New York geboren und wuchs auf der benachbarten Insel Long Island auf. Sein Vater besaß eine Firma für Wellpappe, er half aber auch seinem Sohn, als dieser als Teenager einen kleinen Elektronenrechner für Additionen und Subtraktionen baute. Kapor studierte dann an der Yale-Universität Psychologie, Linguistik und Informatik. 1971 machte er seinen Bachelor-Abschluss.
Anschließend probierte er verschiedene Jobs aus, so arbeitete er als Diskjockey und als Meditationslehrer. Ab 1978 betrieb er ein Softwareunternehmen. 1981 erstellte Kapor zwei VisiCalc-Erweiterungen, die Grafiken produzierten, und verdiente 600.000 Dollar. Nun hatte er Mittel für neue Projekte; zusätzliches Geld stiftete der Wagniskapitalgeber Ben Rosen. Im April 1982 gründeten Kapor und der Programmierer Jonathan Sachs die Lotus Development Corporation. Ihr erster Artikel war ein Powerpoint-artiges Programm für den Apple II.
Es folgte Lotus 1-2-3. Die drei Ziffern deuteten die wichtigsten Fähigkeiten der Software an: Tabellenkalkulation, grafische Darstellungen und Speicherung von Daten. Zum ersten Mal vorgeführt wurde sie auf der Technikmesse COMDEX, die vom 29. November bis 2. Dezember 1982 in Las Vegas stattfand. Gleichzeitig druckte das Computermagazin BYTE einen langen Artikel über Lotus 1-2-3. Er beschrieb das Programm in allen Details und lobte es als schnell, benutzerfreundlich und preiswert („a tremendous buy for the money“).
Ab dem 26. Januar 1983 konnte man Lotus 1-2-3 erwerben. Das ist ein Vortrag von Mitch Kapor einen Monat später über seine Software. Nicht zuletzt wegen der Pressearbeit war sie ein sofortiger Erfolg. Bis Oktober 1983 verkaufte die Lotus Development Corporation mehr als 100.000 Einheiten und ging an die Börse. Bis Dezember nahm sie 53 Millionen Dollar ein, 1984 stieg der Umsatz auf 156 Millionen. Damit wurde Lotus vor Microsoft zur größten Software-Firma der Welt. Die Belegschaft wuchs von 20 über 250 auf 750 Köpfe.
Im Sommer 1984 brachten sie das nächste Erzeugnis heraus. Lotus Symphony fügte der Tabellenkalkulation eine Textverarbeitung und weitere Büroprogramme hinzu. Zur selben Zeit lag Lotus 1-2-3 in deutscher Sprache vor; Anfang 1985 startete eine Tochtergesellschaft in München. Die Firma wuchs und gedieh und schluckte den alten Konkurrenten VisiCalc. Neue Produkte erschienen wie das Datenbanksystem Lotus Notes. 1995 wurde Lotus jedoch für 3,5 Milliarden Dollar von IBM übernommen. Damals hatte das Unternehmen einen Jahresumsatz von 1,15 Milliarden Dollar und 9.000 Mitarbeiter.
Mitch Kapor gehörte nicht zu ihnen; er trennte sich schon 1986 von Lotus und wurde zum sozial engagierten Investor. 1987 finanzierte er den Netzbetreiber UUNET, 1990 zählte er zu den Gründern der Electronic Frontier Foundation und leitete sie bis 1994. Hier sehen wir ihn 2003 mit den VisiCalc-Vätern Dan Bricklin und Bob Frankston sowie Charles Simonyi; ihm verdanken wir die Software Excel, die heutzutage den Spreadsheet-Markt beherrscht. Das ist aber noch einmal ein Rückblick auf die goldenen 1980er-Jahre von Lotus 1-2-3.