Eingangsbild

Als die Bilder räumlich wurden

Geschrieben am 22.08.2025 von

Autostereoskopie hat nichts mit Autos zu tun. Das Wort meint die Produktion von Bildern und Filmen, die ohne Aufsetzen einer Brille räumlich wirken. Das 3D-Erlebnis ergibt sich mit optischen oder mechanischen Zusätzen, die sich auf oder vor den Bildern befinden. In den 1960er-Jahren wurden autostereoskopische Postkarten populär. In Moskau eröffnete im Januar 1941 ein Stereokino.

Die Geschichte der Autostereoskopie beginnt 1896. In diesem Jahr skizzierte der Franzose Auguste Berthier das Verfahren, zwei in Streifen geschnittene Fotos durch eine Schlitzmaske zu betrachten. Sie sorgte dafür, dass das linke und das rechte Auge unterschiedliche Bilder sahen. Für eine ähnliche Technik erhielt der Amerikaner Frederic Ives 1903 ein Patent. Er nannte sie Parallax-Stereogramm.

Querschnitt durch das Autostereoskopie-System von Auguste Berthier: O bezeichnet die Augen, die kurzen Striche von A bis B deuten die Schlitzmaske vor den Bildstreifen an.

Es ist klar, welches Konzept dahinter stand: die getrennte Wahrnehmung der beiden Teile einer 3D-Aufnahme, die im Gehirn zu einer räumlichen Szenerie verschmelzen. Wir kennen es von der 1838 erfundenen Stereoskopie mit Betrachtungsgeräten oder mit Brillen. Letztere führten später zum 3D-Film. Die Autostereoskopie verlagert die Bildtrennung vom Betrachter zum Bild selbst. Das gilt auch für die nächste Technik, das Linsenraster. Dabei werden auf die parallelen Streifen der 3D-Ansichten miteinander verbundene Zylinderlinsen gelegt. Das Prinzip zeigt unser Eingangsbild.

Es stammt aus dem deutschen Patent, das der Schweizer Physiologe und Nobelpreisträger Walter Rudolf Hess 1912 erhielt. Die Grafik beschreibt die Aufnahme von Stereobildern, sie verdeutlicht aber auch ihre Betrachtung. Je nach Position eines Bildstreifens erreichen die von ihm ausgehenden Lichtstrahlen das linke oder das rechte Auge. Hess dachte dabei an Durchsicht-Fotos mit Linsen aus Zelluloid. Er gründete 1914 in Zürich eine Firma namens Stereo-Photographie A.-G., die kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlosch.

Zylinderlinsen-Kette für die Betrachtung von fünf Ausgangsbildern

In den 1960er-Jahren entwickelte sich das Linsenraster aus durchsichtigem Kunststoff zum Hauptwerkzeug der Autostereoskopie. 1962 erschien in Frankreich die erste 3D-Postkarte. Im Februar 1964 enthielt die amerikanische Illustrierte Look ein autostereoskopisches Schwarzweiß-Foto, im April folgte eines in Farbe. 1967 schmückte eine Linsenraster-Hülle ein Album der Rolling Stones, 1968 warb die Filmgesellschaft MGM mit solchen Bildern für 2001 – Odyssee im Weltraum. Eine japanische Firma brachte 1969 Stereo-Postkarten mit Raumfahrtmotiven heraus.

In den Siebzigern wurde in den USA die Nimslo-Kamera für autostereoskopische Zwecke erfunden. Sie ermöglichte auch Amateuren die Herstellung von Linsenraster-Bildern. Eine vergleichbare Kamera aus China sehen wir in einem Bericht des WDR, der 2007 oder etwas früher entstand. Mittlerweile ging das Interesse an jenen Bildern zurück, doch über die Google-Produktsuche lassen sich Bezugsquellen finden, wenn man „Postkarte“ sowie„3D“ oder „lentikular“ eintippt. Bitte die autostereoskopischen nicht mit den Wackel- oder den Wechselbildern verwechseln!

Grafik aus der deutschen Patentanmeldung Nr. 3.921.061 von 1989; Anmelder war Reinhard Börner vom Berliner Heinrich-Hertz-Institut. Die Zylinderlinsen sitzen vor einem Monitor,

Neben den Fotos gab es autostereoskopische Filme. Das Ausgangsmaterial waren zwei Streifen, die die Ansichten für das rechte und das linke Auge trugen. Sie wurden beide auf die Leinwand projiziert, vor der senkrechte Lamellen oder Drähte hingen; diese bewirkten die für den 3D-Effekt nötige Bildtrennung. In den 1930er-Jahren mühten sich deutsche und russische Erfinder mit der Technik ab. Anfang 1941 eröffnete in Moskau ein spezielles Kino. Der Krieg führte zur Schließung, aber nach 1945 florierten in der Sowjetunion mehrere autostereoskopische Filmtheater.

Im Rest der Welt schaute das Publikum 3D-Filme mit Brillen an. Um 1985 begann in Berlin das Heinrich-Hertz-Institut für Nachrichtentechnik – heute ist es ein Fraunhofer-Institut – die Forschung zur Autostereoskopie. Es setzte die Mittel zur Bildtrennung auf Monitore. Zur Jahrtausendwende konnte man auf Industriemessen mehrere konkurrierende Verfahren erleben; auch der SPIEGEL bemerkte sie. Einige hielten bis heute durch. Auf YouTube liegt ein Video von 2011 aus dem Heinrich-Hertz-Institut und eines zu dem in Kiel entwickelten RealEyes-System.

3D-Videospiel Nintendo 3DS von 2011 – der autostereoskopische Bildschirm ist oben.

Im Unterschied zu den Postkarten bildete sich bei den autostereoskopischen Filmen kein Standard heraus, wenn man von der mit Spiegeltricks arbeitenden Holografie absieht. Ein globales 3D-Fernsehen ohne Brille ist bis heute ein Traum geblieben, oder positiv gesagt: Erfinder haben noch Chancen. Zum Schluss verweisen wir auf zwei akademische Arbeiten zu unserem Thema aus Stuttgart und aus Toronto; eine kompakte Einführung in deutscher Sprache aus dem Jahr 2010 steht hier.

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