Apple, Orwell und der Leviathan

Geschrieben am 23.01.2024 von

Der Geist von Georg Orwell wehte durch das Tampa-Stadion in der gleichnamigen Stadt Floridas. Hier fand am 22. Januar 1984 das Endspiel der amerikanischen Football-Liga statt, der Super Bowl. In der Pause wurde ein Werbespot für den Apple Macintosh ausgestrahlt; er erinnerte ebenfalls an Orwell. Im Folgenden möchten wir einige Details daraus etwas näher betrachten.

Er gilt als der größte Werbefilm, wir haben ihn auch schon im Blog behandelt. Vorgestellt wurde er am 23. Oktober 1983 von Steve Jobs auf einer Apple-Veranstaltung auf Hawaii. Die restlichen Vereinigten Staaten sahen ihn am 22. Januar 1984 beim Super Bowl. Das Finale der amerikanischen Football-Liga ist die meistgesehene Sportveranstaltung des Landes; die in den Pausen gesendeten Commercials erfahren stets viel Aufmerksamkeit.

Seitdem hat die vom Engländer Sir Ridley Scott gedrehte Macintosh-Werbung nichts von ihrer Faszination verloren. Vierzig Jahre nach ihrer Erstausstrahlung können wir sie noch besser genießen, denn im Februar 2023 erschien eine hochaufgelöste Fassung auf YouTube. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, sie einmal aufzurufen und das Symbol rechts unten im Fenster anzuklicken. Danach füllt das Video den gesamten Bildschirm. Man erkennt jetzt viele Details, zum Beispiel bei Minute 0:30 die Worte an den Wänden im Hintergrund.

Sie gehören zur Rede des Diktators auf der Projektionswand vorne; man kann sie im Internet nachlesen. Auf Deutsch lauten sie: „Jeder von Euch ist eine Zelle im großen Körper des Staates, und heute hat sich dieser von den Schädlingen befreit. Wir triumphieren über das gewissenlose Ausstreuen von Fakten. Die Strolche und Schurken sind verjagt, das giftige Kraut der Desinformation liegt auf dem Misthaufen der Geschichte.“ Im Werbespot hören wir die folgenden Worte des Redners, die den Text an der Wand fortsetzen:

„Heute feiern wir den ersten ruhmreichen Jahrestag der Informationsreinigungsdoktrin. Zum ersten Mal in der Geschichte schufen wir einen Garten reiner Ideologie. Jeder Werktätige kann sich sicher von den Quälgeistern fühlen, die widersprüchliche Wahrheiten verbreiten. Unsere Gleichschaltung der Gedanken ist stärker als jede Flotte und jede Armee der Erde. Wir sind ein Volk, mit einem Willen, einer Kraft, einem Entschluss. Unsere Feinde mögen sich zu Tode reden, wir begraben sie unter ihrer Konfusion. Wir werden siegen!“

Der Leviathan, wie ihn der in Paris tätige Grafiker Abraham Bosse sah. Anklicken macht das Bild größer! Das Zitat steht im Buch Hiob der Bibel: „Auf Erden gibt es seinesgleichen nicht.“

Das klingt wie die Werbung für eine Fake-News-Schleuder, die man aus den sozialen Medien kennt, 1984 gab es weder X noch Facebook. Die Autoren des Apple-Spots – produziert wurde er von der Agentur Chiat/Day in Los Angeles – dachten an den dystopischen Roman von George Orwell. In der dort geschilderten Welt gelten die Grundsätze „Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“ und „Unwissenheit ist Stärke“. Winston Smith, der Held des Buchs, befasst sich im Wahrheitsministerium damit, die täglich gültigen Fakten zu formulieren.

Der erste Satz des Diktators – „Jeder von Euch ist eine Zelle…“ – erinnert an die Lehre vom Volkskörper; im Englischen gibt es den Ausdruck Body politic. Für die Details verweisen wir auf Wikipedia und beschränken uns auf die berühmte Zeichnung aus dem Leviathan; der englische Philosoph Thomas Hobbes legte das Werk 1651 vor. Das Bild – siehe oben – zeigt einen König, der aus der Menge seiner Untertanen besteht. Das Wort „Leviathan“ stammt ursprünglich aus dem Alten Testament; im Buch Hiob bezeichnet es ein Seeungeheuer.

Als Steve Jobs den Werbespot 1983 präsentierte, wies er die Rolle des Ungeheuers IBM zu. In seiner Einführung stellte er die Firma als ein großes böses Unternehmen dar, das die Welt beherrschen will. Mittlerweile wissen wir, dass Jobs übertrieb; ab 1984 setzten kompatible Computer den PC-Modellen von IBM stark zu und reduzierten schnell deren Marktanteil. In einem anderen Punkt schoss seine Kritik schon 1983 am Ziel vorbei. IBM produzierte keine Ideologien wie der Diktator im Film, sondern vor allem Hardware.

Wer sich noch etwas mehr mit der Apple-Werbung befassen will, dem empfehlen wir eine Google-Suche nach Macintosh commercial analysis. Wir schließen mit einem Video, wo jemand den Hammer schwingt so wie die junge Dame vor dem Diktator. Es ist Donner, ein Held der Oper Das Rheingold von Richard Wagner; das erste Mal passierte es während der Premiere 1869 in München. Unser Video wurde 1990 in der Metropolitan-Oper in New York aufgenommen, es singt Alan Held. Es geht also auch ohne Computer.

Götter hämmern theatralisch: Donner aus Richard Wagners Oper „Das Rheingold“. Gemalt hat ihn der englische Künstler Arthur Rackham (1867-1939).

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.