Computer im Casino

Geschrieben am 28.05.2021 von

Seit langem versuchen Spieler, das Roulette zu überlisten; sie erdenken mathematische Systeme oder berechnen im Spielcasino den Lauf der Kugel. Die Mathematiker Claude Shannon und Edward Thorp entwickelten 1961 dafür einen Schaltkreis, der in einen Schuh passte. 1978 wandte der Physikstudent Doyne Farmer in Las Vegas eine ähnliche Methode an, er nahm aber einen Mikroprozessor.

In Spielcasinos gibt es den Kesselgucker. Er setzt seine Jetons, wenn der Croupier die Roulettekugel eingeworfen hat. Sie kreist zunächst am Rand der sich drehenden Scheibe und fällt danach in den Ring der Zahlenfächer. Der Gucker schätzt anhand des Laufs der Kugel das Ende ihrer Bewegung ab. Seinen Einsatz muss er platzieren, ehe der Croupier „Nichts geht mehr“ ruft. In der Regel wählt er mehrere im Ring benachbarte Zahlen aus.

Das Kesselgucken lässt sich erlernen; ein Meister der Kunst, der in Leipzig geborene Christian Kaisan, verdiente damit eine Menge Geld. Es brachte aber auch die Informatik voran. Forscher schufen elektronische Geräte, die dem menschlichen Roulettespieler das Gewinnen erleichterten. Sie waren klein und steckten in der Bekleidung, wo sie niemand entdeckte. Zugleich musste die Bedienung so einfach wie möglich sein. Auf diese Weise entstand eine neue Computerkategorie, die Wearables.

Doyne Farmer erfand den tragbaren Roulette-Computer mit Mikroprozessor. (Foto Doc Searls CC BY 2.0 seitlich beschnitten)

Den ersten tragbaren Roulette-Helfer bauten die amerikanischen Mathematiker Edward Thorp und Claude Shannon. Der 1916 geborene und 2001 verstorbene Shannon formulierte die Theorien der Kommunikation, der Verschlüsselung und des Computerschachs; er war zudem leidenschaftlicher Bastler. Thorp kam 1932 in Chicago zur Welt. Er wuchs in kleinen Verhältnissen auf und zeigte schon früh ein mathematisches Talent. Nach der Promotion erhielt er 1959 eine Dozentenstelle am Massachusetts Institute of Technology MIT.

Als Student in Kalifornien interessierte sich Edward Thorp für die Physik des Roulettes und die Mathematik des Kartenspiels Blackjack. Hierzu verfasste er eine umfassende Analyse mit Gewinnstrategien. Im November 1960 schilderte er sie dem MIT-Kollegen Claude Shannon. Dabei erfuhr Shannon von Thorps Roulette-Forschung; er war hellauf begeistert. Die beiden erwarben für 1.500 Dollar einen Roulettekessel und entwickelten gemeinsam ein Gerät, um dem Zufall ein Schnippchen zu schlagen.

Der Roulette-Rechner lag im Juni 1961 vor. Er enthielt zwölf Transistoren und war im Prinzip eine elektronische Stoppuhr. Sie steckte im Schuh und wurde mit der großen Zehe bedient. Die Ausgabe geschah über acht Töne unterschiedlicher Frequenz. Ein Ton gab das Achtel im Zahlenring an, in dem die Kugel landen würde. Im Casino arbeiteten zwei Spieler zusammen. Der eine stoppte den Umlauf der Kugel, der andere setzte die Jetons, sobald er in einem Ohrhörer den Ton vernahm. Die Geräte waren durch nahezu unsichtbare Drähte verbunden.

Claude Shannon und Edward Thorp machten sich mit ihren Ehefrauen nach Las Vegas auf und testeten das System im Casino. Es funktionierte, die Chips türmten sich auf, doch oft brachen die dünnen Drähte. Die Forscher beendeten das Projekt, ohne die Bank gesprengt zu haben. In der Folgezeit konzentrierte sich Thorp auf den Beruf und auf Blackjack; seine Anleitung Beat the Dealer wurde ein Bestseller. 1964 trat er in einem Fernsehquiz auf – er sitzt ganz rechts. Seine Aufsätze stehen auf der Homepage, und hier erfahren wir etwas über seine spätere Karriere im Finanzgeschäft (Achtung, dicke Datei).

Der Schuhcomputer von Doyne Farmer ist seit 2014 im HNF zu sehen.

Ab 1969 wurden Thorps Roulette-Erlebnisse einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und inspirierten Nachfolger. In der Universität des kalifornischen Ortes Santa Cruz bildete sich um den Physikstudenten Doyne Farmer eine Gruppe, die sich den Namen Eudämonen gab. Das Wort stammt aus dem griechischen Mythologie und bezeichneten einen freundlichen Dämon. Die Philosophie der Eudämonie erstrebt ein gelungenes Leben und einen positiven Gemütszustand. Die amerikanischen Eudämonen dachten wohl eher ans Geld.

Doyne Farmer schrieb in den späten 1970er-Jahren für den Mikroprozessor 6502 der Firma MOS Technology ein Roulette-Programm. Es arbeitete nach dem gleichen Prinzip wie der Rechner von Claude Shannon und Edward Thorp: aus dem Startpunkt der Kugel im Kessel und ihrer Geschwindigkeit ermittelte es die wahrscheinliche Endposition. 1978 erprobten es die Eudämonen in Las Vegas; den Chip, die Batterie und einen Sender verbargen sie in der Achselhöhle. 1981 brachte Farmer das System in zwei Schuhen unter.

Der Träger des einen Schuhs verfolgte die Kugel im Roulettekessel und drückte mit dem Zeh die Bahnwerte ein. Danach schickte er über den Sender– er wurde auch per Fuß bedient – das Ergebnis des Programms an einen Freund, der die Jetons legte. Sein Schuh verbarg einen Empfänger und Vibratoren; durch sie erfuhr er, in welchem der acht Segmente des Roulettes die Kugel landen würde. Das System brachte den jungen Leuten 10.000 Dollar ein. Dann wurde der Funkverkehr durch elektronische Geräte im Casino gestört.

Das große Geld blieb Doyne Farmer also vorenthalten, doch er schuf die ersten digitalen Wearables der Computergeschichte. Heute ist er Mathematik-Professor in Oxford; den Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Wirtschaftstheorie.  Über seine Erlebnisse erschien ebenfalls ein Buch, das man nach Anmeldung im Internet-Archiv lesen kann. Sein Computer befindet sich im HNF. Roulette-Fans, die es Shannon, Thorp und Farmer gleichtun wollen, müssen wir allerdings enttäuschen: seit 1985 ist in den Casinos von Las Vegas die Nutzung elektronischer Hilfsmittel gesetzlich verboten.

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2 Kommentare auf “Computer im Casino”

  1. Der Jenaer Mathematiker und Spieleerfinder-Professor Ingo Althöfer hat den HNF-Kessel einmal 24 Std. lang auf Kesselfehler = Fehler in der Gleichverteilung untersucht. Er musste das manuell machen.

  2. Waver2 sagt:

    Sehr interessanter Beitrag zur List im Roulette Spiel. Wahnsinn auf was für Ideen die Männer gekommen sind auch wenn der grosse Gewinn am Ende ausblieb.

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