Der kleine Computer von Siemens
Geschrieben am 27.02.2018 von HNF
Auf der Hannover-Messe 1959 zeigte die Firma Siemens ihren ersten Computer, den Siemens 2002. Er umfasste mehrere Schränke und rechnete mit Transistoren. Zwanzig Jahre später stellte das Unternehmen wiederum in Hannover den ersten Kleincomputer vor. Der PC 100 enthielt einen Mikroprozessor und einen Thermodrucker, allerdings keinen Bildschirm. Er basierte auf dem amerikanischen Rockwell AIM 65.
Im März 1979 erschienen in der Bundesrepublik die ersten Anzeichen einer in den USA ausgebrochenen Technikrevolution. Der SPIEGEL sah Zwerge im Vormasch und berichtete: „Auch der Paderborner Kleincomputer-Hersteller Heinz Nixdorf wird von Mikrocomputern bedrängt.“ Das Magazin wusste warum: In ihrem Inneren steckten Schaltkreise in Form von Chips, nicht größer als ein Hosenknopf. Sie wurden in Serie hergestellt und immer billiger. Und auch der Branchenriese Siemens würde an einem „Kleinstcomputer“ arbeiten.
Der war zur Hannover-Messe im April des Jahres fertig. Auf dem Siemens-Stand trafen die Besucher den Personal Computer PC 100. Er war nur so groß wie eine Schreibmaschine und nahm den Strom aus dem Haushaltsnetz. Außerdem hatte er Anschlüsse für Peripheriegeräte und Stecker für Hardware-Erweiterungen. Neben der normalen Tastatur gab es Kontroll- und Systemeinstellungen und drei benutzerdefinierte Tasten. Das Exemplar im Eingangsbild stammt aus der historischen Sammlung von Siemens (Foto Siemens Historical Institute).
Links oben auf dem Gerät saß ein Thermodrucker und brachte Zeilen mit 20 Zeichen auf die Papierrolle. 20 Zeichen zeigte auch die LED-Reihe des PC 100 über der Tastatur. Zustecken konnte man einen Fernschreiber, zwei Kassettenrekorder und ein „Video-Interface“. So steht es in einem Artikel von Heft 2 (1980) der Siemens-Fachzeitschrift „data report“. Verfasser waren Manfred Büttner und Rudolf Marzoner vom Unternehmensbereich Bauelemente. Am Schluss des Textes deuteten sie an, dass dem PC 100 ein „Bildschirm-Interface“ fehlte.
Der kleine Computer besaß auf jeden Fall einen Arbeitsspeicher von vier Kilobyte und ein Betriebssystem – so hieß das bei Siemens – von 16 Kilobyte im Read-Only-Memory. Es umfasste das Kontrollprogramm, den Texteditor und die Programmiersprache BASIC. Besonders stolz war Siemens auf die mitgegebenen mathematischen Funktionen. Als externe Speicher fungierten Kassettenrekorder. Die junge Dame im Foto lernt gerade jene Programmiersprache anhand eines Lehrbuchs und zweier Kassetten mit BASIC-Software.
Der „data report“-Artikel nannte nicht das Herz des Computers, den Mikroprozessor. Im PC 100 steckte ein 6502-Chip der amerikanischen Firma MOS Technology für 8 Bit. Der 6502 war nicht unbekannt. Er ging auf den Ingenieur Chuck Peddle zurück und trieb unter anderem den Apple I und den Apple II, den Commodore PET 2001 und den „Volkscomputer“ VC20 an. Last not least operierte er im Rockwell AIM 65; dieser kam aus der Elektronikabteilung des US-Technikkonzerns Rockwell International.
AIM stand für Advanced Interactive Microcomputer. Das Gerät war jedoch mehr als ein verbesserter und interaktiver Mikrorechner, es bildete auch die Basis des PC 100. Anders ausgedrückt, dieser Rechner war die in einigen Details überarbeitete deutsche Version des Rockwell AIM 65. Der Zeitschriftenartikel verschwieg diese Tatsache. Ebenso verfuhr die Computerwoche in ihrem Bericht. Als der PC 100 in Hannover vorgestellt wurde, war der AIM 65 schon im Handel; Rockwell bot ihn seit Anfang 1979 sogar in Westdeutschland an.
Vorgesehen war der PC 100 für die Industrie und die Wissenschaft. Der „data report“ nannte als Einsatzfelder Labor und Prüffeld, Überwachen und Steuern sowie die Fertigung. Weitere Anwendungen lagen in der Weiterbildung, im Hobby-Bereich – hier dachte Siemens an den Amateurfunk – und im nicht näher bestimmten kreativen Programmieren. Oder wie die „Computerwoche“ sagte: „Der PC 100 entspricht dem Trend der sogenannten Heimcomputer, Anwendungen im professionellen Bereich stehen jedoch im Vordergrund.“
Der PC 100 kostete rund 2.000 DM; wie viele Computer die Siemens AG insgesamt verkaufte, wissen wir nicht. Im Juni 1980 berichtete die Fachpresse über einen Nachfolger mit dem Namen PC 1000. Zugeschrieben wurde ihm ein Arbeitsspeicher von 32 Kilobyte, ein Laufwerk für 5¼ -Zoll-Disketten und wiederum ein Thermodrucker. Jetzt gab er aber Papier mit DIN-A4-Breite aus. Anschließbar waren Farb- oder Schwarzweiß-Monitore und audiovisuelle Geräte. Der Preis sollte unter 10.000 DM liegen.
Der PC 1000 kam leider nie auf den Markt, überliefert ist nur ein Foto. Einen waschechten Personal Computer brachte Siemens 1982 heraus. Der PC-X besaß einen Prozessor vom Typ Intel 80186 und Arbeitsspeicher zwischen 128 Kilobyte und einem Megabyte. Ungewöhnlich war das Betriebssystem Sinix, eine Variante von Unix. 1984 erschien der von der Hardware gleiche PC-D; er verwendete MS-DOS. 1985 schenkte Siemens einen PC-D Konrad Zuse zum 75. Geburtstag. Er überließ ihn nach dem Fototermin allerdings seiner Tochter.