Der Meister der Hochzahlen
Geschrieben am 25.11.2016 von HNF
Vor 400 Jahren wurde John Wallis geboren. Er studierte an der Universität Cambridge und war zunächst Priester. Von 1649 bis zu seinem Tod 1703 lehrte er Mathematik in Oxford. Wallis gilt als bedeutendster englischer Mathematiker vor Isaac Newton. Wir verdanken ihm die liegende Acht als Symbol des Unendlichen und den Einsatz rationaler Zahlen als Exponenten.
Die englische Stadt Ashford – was nichts anderes als Eschenfurt heißt – liegt in der Grafschaft Kent in der Südostecke des Landes. Hier kam am 23. November 1616 John Wallis zur Welt. Das Datum bezieht sich auf den julianischen Kalender, der damals in England galt; nach moderner Zeitrechnung wurde er am 3. Dezember 1616 geboren. Feiern können wir ihn aber schon heute.
John Wallis war Sohn eines Pfarrers und strebte zunächst eine kirchliche Laufbahn an. In der Schule lernte er Latein, Griechisch, etwas Hebräisch sowie Logik. In den Weihnachtsferien 1631 erhielt er von einem jüngeren Bruder eine Einführung ins praktische Rechnen. Von 1632 bis 1640 studierte er in Cambridge als Angehöriger des Emmanuel College. Dabei machte er sich auch mit den Grundlagen der Naturwissenschaften vertraut. 1640 wurde er zum anglikanischen Priester geweiht.
Diese Tätigkeit übte Wallis an verschiedenen Orten aus. Ab 1644 war er Sekretär der Westminstersynode, die das Parlament in London einberufen hatte. Das Parlament kämpfte gegen König Karl I., und die Synode sollte eine neue Kirchenordnung schaffen. Der 1642 ausgebrochene englische Bürgerkrieg bestimmte noch auf andere Weise die Karriere von John Wallis. Von Beginn an entschlüsselte er für das Parlament chiffrierte Botschaften aus dem royalistischen Lager.
In London traf sich Wallis mit gebildeten Herren, die sich für Naturforschung interessierten. Man diskutierte jede Woche neue Erkenntnisse und studierte Mikro- und Teleskope. Daraus entwickelte sich später die Royal Society. 1645 heiratete Wallis. 1647 entdeckte er das Buch Clavis Mathematicae von William Oughtred, einem der Erfinder des Rechenschiebers. Er bewältigte den Inhalt in wenigen Wochen. Zwei Jahre später erhielt Wallis den nach dem Stifter Sir Henry Savile benannten Lehrstuhl der Universität Oxford. Das war auch ein Dank des Parlaments für seine Dechiffrierdienste.
Ab 1649 war John Wallis „Savilian Professor of Geometry“. Er blieb es auch, als nach einigen Jahren Republik 1660 die Monarchie nach England zurückkehrte. Schon 1658 erhielt er den Posten des Archivars der Universität. Sein Forschen und Lehren endete erst mit seinem Tod am 28. Oktober 1703 bzw. am 8. November nach neuer Rechnung. Er gilt als bedeutendster englischer Mathematiker vor Isaac Newton, der neben Gottfried Wilhelm Leibniz die Differentialrechnung erfand.
Die erste größere Publikation von John Wallis hatte mit Mathematik aber nichts zu tun; es war eine Grammatica Linguae Anglicanae. Die englische Grammatik erschien 1653 und wurde ein Bestseller. Zwei Jahre später schrieb er aber De Sectionibus Conicis. Darin behandelte er die sogenannten Kegelschnitte, also Kreise, Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln. In seinem Werk verwendete er als Erster die Lemniskate oder liegende Acht als Symbol der Unendlichkeit. Auf die Idee kam Wallis vielleicht durch ein ähnlich aussehendes römisches Zeichen für die Zahl 1.000.
Wallis‘ wichtigstes Werk ist die Arithmetica Infinitorum von 1656. Dort befasste er sich vor allem mit Formeln, die heute unter den Begriff der Integralrechnung fallen. Er führte außerdem die Potenzregeln ein, nach denen – siehe unten – negative Zahlen oder Brüche als Exponenten auftreten können. Im gleichen Buch stellte er das Wallis-Produkt vor, eine Darstellung der Kreiszahl pi mit unendlich vielen Faktoren. Ein eifriger Leser war Isaac Newton. Es brachte ihn zu einem wichtigen Resultat, dem allgemeinen binomischen Lehrsatz.
Im Alter griff John Wallis zur englischen Sprache. A Treatise of Algebra erschien 1685 und war ein Riesenerfolg. Das Buch präsentierte unter anderem die bekannte Zahlengerade. Es lieferte auch zum ersten Mal eine längere Geschichte der Mathematik. Bei den Plagiatsvorwürfen gegen seine französischen Kollegen schoss Wallis allerdings weit über das Ziel hinaus. Zu seinem umfangreichen Ouevre zählen überdies Veröffentlichungen über Logik, Musiktheorie und darüber, wie man Gehörlosen das Sprechen beibringt.
Mit Kryptologie beschäftigte sich Wallis immer wieder und korrespondierte auch mit Leibniz darüber. Die Bitte des Deutschen, einen Dechiffrier-Fachmann nach Hannover zu schicken, entsprach er aber nicht. Über Jahrzehnte stritt sich Wallis mit dem Philosophen Thomas Hobbes über die Quadratur des Kreises. Hobbes glaubte daran, zu Unrecht, wie wir heute wissen. Erwähnen müssen wir noch, dass Wallis ein exzellenter Kopfrechner war. In einer schlaflosen Nacht bestimmte er die Quadratwurzel der Zahl 3 auf zwanzig Stellen genau.
400 Jahre nach seiner Geburt ist der Savile-Professor nicht vergessen. Es gibt einen Wallis-Lehrstuhl, ein Wallis-Projekt und die mittlerweile vier Bände umfassende Ausgabe seiner Korrespondenz. Den Anstoß dazu gab der deutsche Mathematikhistoriker Christoph Scriba. Ihm verdanken wir auch die Herausgabe der Wallisschen Autobiographie. In Wallis‘ Heimatort Ashford steht eine nach ihm benannte Kneipe – sicher der beste Platz für eine vorweihnachtliche Geburtstagsfeier.