Der Traum vom Fernsehen
Geschrieben am 28.03.2017 von HNF
Vor rund 70 Jahren begann das Fernsehen seinen Siegeszug um die Welt. Aber schon seit Jahrhunderten träumen Menschen von Apparaten, die entfernte Ereignisse, Objekte und Personen nahe bringen. 1881 übertrugen Erfinder zum ersten Mal Bilder mit elektrischem Strom. Einige ihrer Geräte blieben in Museen erhalten. Im Folgenden haben wir die schönsten Visionen der Television gesammelt.
Es war vielleicht der englische Politiker und Philosoph Francis Bacon, der als Erster ans Fernsehen dachte. Nachdem er 1621 sein Amt als Lordkanzler verloren hatte, zog er sich auf den Familiensitz zurück und widmete sich schriftstellerischer Tätigkeit. 1623 entstand die Utopie Neu-Atlantis. Sie wurde 1627 ein Jahr nach seinem Tod veröffentlicht und schildert eine Insel im Pazifik, deren Bewohner viel Forschung betreiben. Ihr Forschungszentrum, das Haus Salomons, widmet sich unter anderem der Optik.
Ein Zitat aus dem Buch: „Wir haben auch Häuser des Lichts, wo wir über alle Licht- und Strahlungserscheinungen sowie über alle Farben Versuche anstellen. […] Wir haben Geräte gebaut, um weit entfernte Objekte zu erkennen, sei es, dass sie sich am Himmel oder an entfernteren Orten befinden.“ Im Original steht hier „remote places“ bzw. „locis remotis“. Bacon dachte sicherlich an Fernrohre, doch wir schließen nicht aus, dass ihm ebenso eine Bildübertragung von einem Platz zu einem anderen vorschwebte.
1760 schrieb der Franzose Charles-François Tiphaigne de la Roche den philosophischen Roman Giphantie. Der Held entdeckt in der afrikanischen Wüste eine Stadt, die von Gespenstern bewohnt wird. Dort darf er einen ganz besonderen Spiegel ausprobieren: „Wenn man nun das Glas auf verschiedene Seiten und Stellungen dreht, so sieht man die verschiedenen Teile der Oberfläche des Erdbodens. […] Ich nahm dieses wunderbare Glas mit begierigen Händen. Und in weniger als einer Viertelstunde hielt ich über den ganzen Erdenkreis die Musterung.“
Soweit ein Auszug aus dem 12. Kapitel von „Giphantie“. Halten wir fest, dass die Gespenster in der Wüste neben dem Fernsehen auch noch den Sprechfunk und die Fotografie erfanden. Danach passierte über ein Jahrhundert nichts weiter bei den neuen Medien. Im Jahr 1876 stellte aber Alexander Graham Bell in den USA sein Telefon vor. Das brachte kreative Geister auf Ideen: Wäre es nicht möglich, durch den Telefondraht nicht nur Töne, sondern auch Bilder zu schicken? Vielleicht sogar bewegte Bilder?
1878 druckte die Zeitschrift „Punch“ ein Bild des in Frankreich geborenen Zeichners George du Maurier. Es zeigte ein Telephonoskop, angeblich entwickelt von Thomas Edison. Den gab es wirklich in Amerika, und er war vor allem durch Erfindungen für die Telegraphie sowie den Phonographen für Tonaufzeichnungen bekannt. Es lag also nahe, ihm ein Fernsehtelefon zuzuschreiben. Die ausführlich betextete Karikatur schildert einen Dialog zwischen einem älteren Herrn in London und seiner Tochter in Ceylon, dem heutigen Sri Lanka.
Was 1878 noch wie ein Märchen klang, wurde bald darauf ansatzweise Realität. Die Basis war eine Entdeckung von 1873: Damals bemerkte der englische Ingenieur Willoughby Smith, dass der elektrische Widerstands des Elements Selen bei Auftreffen von Licht sinkt. Der Effekt ermöglicht nun eine Kamera, in der statt des Films Reihen von Selenzellen sitzen. Die Helligkeitsunterschiede an den Zellen werden über elektrische Leitungen weitergegeben. Aus den unterschiedlich starken Strömen lässt sich das Kamerabild rekonstruieren.
Eine andere Technik bestand darin, mit einer einzigen Selenzelle eine Vorlage zu scannen. Um 1880 arbeiteten jedenfalls eine Reihe von Leuten am Sehen durch Elektrizität, wie man zu jener Zeit sagte. Die Engländer William Edward Ayrton und John Perry führten im Februar und März 1881 ihre Apparate in London vor. Ihr Landsmann Shelford Bidwell zeigte im gleichen Jahr seine Konstruktion in englischen Städten und in Paris. Andere Forscher bastelten im stillen Kämmerlein oder verfassten theoretische Konzepte.
Eine schöne Übersicht über das Ur-Fernsehen bietet eine Dissertation der Universität Düsseldorf, die Heinrich Raatschen 2005 vorlegte. Bidwells Phototelegraph befindet sich heute im Nationalen Medienmuseum im englischen Bradford. Hardware eines anderen Experimentators, des Walisers Llewellyn Atkinson, überlebte – siehe unten – im Londoner Science Museum. Die elektrische Kamera des Italieners Carlo Mario Perosino verwahrt das Radio- und Fernsehmuseum Turin. Hier ist ein Bild aus seinem Artikel von 1879.
Die Zeichnung von du Maurier und die Berichte über Fernsehversuche inspirierten den Franzosen Albert Robida zu zwei reichhaltig illustrierten Romanen. „Das 20. Jahrhundert“ von 1883 und „Das elektrische Leben“ aus dem Jahr 1890 versetzten den Leser in die 1950er-Jahre und eine totale Mediengesellschaft. Unser Eingangsbild oben zeigt Robidas Fernsehvision; daneben entwarf er auch ein TV-Telefon. Insgesamt ahnte er ziemlich gut die Videotechnik des heutigen Internets voraus.
Nach Albert Robida nahmen sich weitere Autoren des Fernsehens an. Es wurde zu einem beliebten Requisit der Zukunftsliteratur. In unserem Blog erwähnten wir bereits die Werke des englischen Science-Fiction-Pioniers H. G. Wells. Mit der Realisierung dauerte es aber noch eine Weile. Erste Versuchssendungen begannen 1929 in England und Deutschland. Technische Basis war jedes Mal die Nipkow-Scheibe, erfunden 1883 von Paul Nipkow in Berlin. In den späten 1930er-Jahren aber war das elektronische Fernsehen startbereit.
Schließen wollen wir mit zwei futuristischen Filmen aus Frankreich. Den ersten produzierte 1908 der zu Recht berühmte Georges Méliès; er zeigt ein Videostudio, das zum Tollhaus wird. Der zweite führt in die Zukunft des Fernsehens, wie man sie 1947 sah. Beim Drehbuch wirkte der Science-Fiction-Autor René Barjavel mit. Wir möchten nichts zum Inhalt verraten, doch die Smartphones zu Beginn zählen zu den erstaunlichsten Technikprophetien aller Zeiten. Amusez-vous bien !