Die drei Jahrzehnte des Minitel
Geschrieben am 13.01.2017 von HNF
Von 1983 bis 2012 nutzten viele Franzosen das Datennetz Minitel. Es basierte auf dem Telefonsystem der Post, brachte aber ein Terminal mit Monitor und Tastatur ins Haus. Die Hardware war kostenlos, abgerechnet wurde über die Minitel-Dienste. 1993 liefen mehr als sechs Millionen Terminals. Damit war Minitel das populärste Netz vor der globalen Ausbreitung des Internets.
1983 starteten in zwei europäischen Ländern großflächige Datennetze für die breite Bevölkerung. Am 1. September eröffnete Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling auf der Berliner Funkausstellung den Bildschirmtext oder Btx. Schon am 4. Februar des Jahres hatte sein französischer Kollege Louis Mexandeau in Rennes das Netzwerk Télétel eingeweiht. Besser bekannt ist es unter dem Namen Minitel, der das zugehörige Terminal bezeichnet.
Beide Netze gingen auf staatliche Planung und die zuständigen Postbehörden zurück. Sie entstanden parallel zum Internet. Dieses beschränkte sich in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren auf den Einsatz in der Wissenschaft und war außerhalb von Universitäten und Forschungsinstituten unbekannt. Bildschirmtext und Minitel sollten dagegen die Fortschritte der Kommunikationstechnik in die Öffentlichkeit bringen. Sie gehörten zu den neuen Medien wie Videorekorder, Kabel-TV oder Bildtelefon.
Das deutsche und das französische Online-System nutzten das Telefonnetz und dazu die jeweiligen Netze mit Paketvermittlung, Datex-P und Transpac. Beim Bildschirmtext erfolgte die Eingabe per Tastatur und die Ausgabe über den Fernseher. Später wurden spezielle Btx-Geräte angeboten. Minitel verwendete die gleichnamigen Terminals mit Monitor und Tastatur. Die Benutzer kosteten die Terminals bis 1994 nichts, ein wichtiger Grund für den Erfolg des Systems. Bezahlen musste man aber die interaktiven Dienste, die Minitel ins Haus brachte.
Entwickelt wurde das System vor allem im CCETT in Rennes, einem staatlichen Forschungszentrum für Telekommunikation. Projektleiter war der Ingenieur Bernard Marti. Eine frühe Präsentation erfolgte 1977 unter dem Namen Titan auf der Berliner Funkausstellung. Im Sommer 1980 nahmen 55 Haushalte in der Küstenstadt Saint-Malo am ersten Pilotprojekt teil. Im Juli 1981 startete das zweite mit 2.500 Teilnehmern im westlichen Umland von Paris. 1983 ging es in Rennes richtig los.
Beim Minitel-Start am 4. Februar 1983 stellte Postminister Mexandeau den wichtigsten Inhalt des neuen Mediums vor: das elektronische Telefonverzeichnis. Zunächst enthielt es die Anschlüsse des Département Ille-et-Vilaine, wo die Stadt Rennes liegt. Bei der raschen Ausdehnung des Netzes über Frankreich wurden die restlichen Nummern erfasst, so dass ein Minitel das Telefonbuch ersetzte. Was der französischen Post sehr gelegen kam, da sie nicht mehr so viele drucken musste.
Ende 1983 gab es im Lande 120.000 Terminals, Ende 1984 mehr als eine halbe Million. 1985 sprang die Zahl auf 1,9 Millionen. 1986 wuchs das Netz nur auf 2,2 Millionen, doch in den folgenden Jahren auf 3,4, 4,2 bzw. 5 Millionen Nutzer. 1991 umfasste es 6 Millionen Terminals, zwei Jahre später 6,5 Millionen. Rechnet man Heimcomputer mit Minitel-Software hinzu, waren sogar 7 Millionen Haushalte angeschlossen. Die Spitze wurde 2002 erreicht, als 9 Millionen Nutzer über Terminals oder Computer online gehen konnten.
Auch die Zahl der Minitel-Inhalte nahm schnell zu. Zu den Telefonnummern gesellten sich Telebanking, Nachrichten und praktische Informationen, kommerzielle Angebote, Spiele und Chats. Ein Benutzer rief Seiten und Unterseiten ab und konnte in Datenbanken suchen. Im Januar 1986 waren 2.000 Dienste verfügbar, Anfang 1989 10.000 und 1992 schon 20.000. 1996 wurde der Höchstwert von 26.000 erreicht. Ein guter Teil entfiel auf das „rosa Minitel“: Sittlich gefestigten Lesern empfehlen wir dieses Video (ab Minute 1:08). Unser Eingangsbild zeigt die Seite einer Frauenzeitschrift.
Die goldenen Jahre des Minitel waren zweifellos die Neunziger. In diesem Jahrzehnt machten die Gewinne die Investitionskosten wieder wett. 1998 kassierte die Post von den Usern umgerechnet 832 Millionen Euro. 63 Prozent davon reichte sie an die Dienstanbieter weiter. 2007 lagen die Einnahmen bei rund 100 Millionen Euro, drei Jahre später nur bei 30 Millionen. Am 30. Juni 2012 schloss France Telecom das Netz für immer. Zu diesem Zeitpunkt waren 810.000 Terminals aktiv. Millionen Menschen hatten die Minitel-Angebote aber über Computer und Modem benutzt.
Die globale Anarchie des Internets war also stärker als das geordnete Datennetz eines Einzelstaats. Technisch und graphisch hatte das Minitel seine Grenzen erreicht, während sich das World Wide Web auf vielfältige Weise weiter entwickelte. Immerhin hielt Minitel über ein Jahrzehnt länger durch als der Bildschirmtext. Der wurde am 31. Dezember 2001 abgeschaltet und hatte in den besten Zeiten nur 150.000 Nutzer. Hier ist noch ein Video über die letzten Tage des französischen Ur-Internets.
Literatur zum Minitel in deutscher Sprache ist dünn gesät. Eine englische Einführung liefert das 25 Megabyte dicke Buch von Marie Marchand aus dem Jahr 1988. Eine Kurzvorstellung steht hier. Zum Abschluss gibt es noch einen Ausflug ins Paris von 1984 und eine Anleitung (ab Minute 5:00), wie man heimlich in eine Minitel-Datenbank eindringt – mon Dieu!
Eingangsbild: Computer History Museum
Liebes Team des HNF,
danke für Ihre informative und ansprechende Website!
Ein kleiner Hinweis zum hier abgebildete Minitel 10:
Das Gerät besitzt ein eingebautes Modem nach V.23 Standard jedoch keinen Akustikkoppler – nur eine Komfort-Telefonfunktion.
Quelle (fr): http://www.akela.eg2.fr/forum/min10modem.pdf
Die Gebrauchsanleitung zum Minitel 10
Beste Grüße aus dem Rheinland
Vielen Dank für den Hinweis!