Die erste Differenzmaschine
Geschrieben am 14.02.2017 von HNF
Eine Differenzmaschine umfasst Addierer und ein Druckwerk. Sie berechnet und druckt mathematische Tafeln. Im 19. Jahrhundert versuchte der Engländer Charles Babbage ohne Erfolg, ein solches Gerät zu konstruieren. Der Bau der ersten Differenzmaschine gelang 1843 dem jungen schwedischen Ingenieur Edvard Scheutz. Der Technikhistoriker Michael Lindgren spürte seine Maschine 1979 im Depot eines Stockholmer Museums auf.
Die schönste Archäologie, das wissen alle Experten, ist die Museumsarchäologie. Der Forscher muss nicht in fernen Ländern unter sengender Sonne zerbröckelnde Artefakte freilegen, sondern bleibt im Hause oder besucht eine befreundete Institution. Historische Entdeckungen lassen sich nämlich auch im Depot machen, wenn vergessene oder lange übersehene Objekte ans Licht des Tages kommen.
Ein solcher Fund gelang im Dezember 1979 dem schwedischen Technikhistoriker Michael Lindgren. Für seine Magisterarbeit erforschte Lindgren damals die Differenzmaschinen, die Georg und Edvard Scheutz Mitte des 19. Jahrhunderts bauten. Georg Scheutz war ein Verleger in Stockholm, der technische Neigungen besaß, Edvard Scheutz war sein Sohn. Eine Differenzmaschine ist eine Kombination aus hintereinander geschalteten Addierern, die lange Zahlenreihen berechnet und ausdruckt.
Dabei arbeitet die Maschine einen festen Zyklus von Rechenprozeduren ab. Nehmen wir einmal drei Addierer an. Zu Anfang müsse sie Startwerte A, B und C in ihren Eingabewerken speichern. Im allerersten Zyklus addiert der erste Addierer einen festen Wert D zu A. Der zweite zählt A+D zu seinem Startwert B hinzu, und der dritte bildet analog A+B+C+D. Diese Summe wird ausgedruckt, danach beginnt der Zyklus wieder von vorn. Wichtig ist, dass die drei Eingabewerke nicht neu gesetzt werden, sondern in jedem Zyklus mit den zuletzt berechneten Zwischensummen weiterarbeiten. Nur D bleibt stets gleich.
Die erste Idee für eine Differenzmaschine kam 1784 dem hessischen Beamten, Baumeister und Rechenmaschinenpionier Johann Helfrich Müller. Das erste funktionsfähige Gerät, noch ohne Druckwerk, fertigte 1822 der englische Mathematiker Charles Babbage. Es diente als Machbarkeitsstudie für eine große „difference engine“. Babbage erhielt viel Geld von der Regierung, schaffte es aber nicht, seine Konzepte in Hardware umzusetzen. Dafür erfand er die „analytical engine“, den programmgesteuerten Digitalrechner.
In den 1830ern Jahren erschienen Artikel über die Pläne von Charles Babbage in englischen Zeitschriften. Sie fanden ihren Weg auch nach Stockholm. Hier bastelte Georg Scheutz aus Holz, Draht und Pappe ein provisorisches Modell der Differenzmaschine. 1837 begann dann Edvard Scheutz, zu diesem Zeitpunkt erst 16 Jahre alt, mit dem Bau einer richtigen Maschine. Sie wurde 1843 fertig und bestand aus Holz und Metall. Sie produzierte mit drei Addierern fünfstellige Ergebnisse und besaß einen Mechanismus zum Drucken.
Von 1852 bis 1853 konstruierten Vater und Sohn Scheutz eine zweite Differenzmaschine mit vier Addierern und achtstelligen Resultaten. Die beiden erhielten finanzielle Unterstützung vom Staat; gebaut wurde die Maschine in der Fabrik von Johan Wilhelm Bergström. 1855 war sie auf der Weltausstellung in Paris zu sehen. Einer ihrer Besucher, der amerikanische Astronom Benjamin Gould, veranlasste den Kauf der Maschine durch die Dudley-Sternwarte im US-Bundesstaat New York. Ab 1857 berechnete sie astronomische Tabellen.
Eine baugleiche Differenzmaschine entstand 1859 für das englische Finanzministerium. Sie wird heute im Londoner Science Museum gezeigt. Die Maschine der Sternwarte gelangte ins Nationalmuseum für amerikanische Geschichte in Washington; zurzeit steht sie aber im Depot. Auf YouTube kann man sie zur Musik des Trompeters Herb Albert erleben. Der kurze Film wurde 1967 vom Studio des Designer-Ehepaars Charles und Ray Eames gedreht.
Georg Scheutz starb 1873 in Stockholm, 87 Jahre alt. 1881 verschied Edvard Scheutz im 60. Lebensjahr. Die Erben verkauften seine Differenzmaschine dem Nordischen Museum in Stockholm. Mit 1,5 Millionen Objekten hat es die größte kulturhistorische Sammlung Schwedens. Dort blieb die Maschine 98 Jahre lang in ihrem Behälter aus Mahagoni-Holz, bis sie Michael Lindgren wiederentdeckte. Inzwischen kann man den ersten größeren Digitalrechner der Welt im Stockholmer Technikmuseum bewundern.