Die Geburt des Roboters

Geschrieben am 24.11.2020 von

Vor hundert Jahren, im November 1920, erschien in Prag das Textbuch des Theaterstücks „R.U.R.“. Verfasser war der Schriftsteller Karel Čapek. Sein Drama schilderte eine Welt mit künstlichen Menschen, die gegen die richtigen rebellieren. „R.U.R.“ wurde im Januar 1921 uraufgeführt und auf vielen Bühnen gespielt. Der im Stück benutzte Ausdruck „Roboter“ ging in alle Weltsprachen ein.    

Fangen wir mit dem Autor an. Karel Čapek wurde am 9. Januar 1890, am selben Tag wie der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky, im Klein Schwadowitz geboren, dort war sein Vater als Arzt tätig. Der Ort liegt nahe der böhmisch-schlesischen Grenze, der tschechische Name lautet Malé Svatoňovice. Karel besuchte Gymnasien in Königgrätz, Brünn und Prag; hier studierte er dann auch. Wegen schwacher Gesundheit blieb ihm der Soldatendienst im Ersten Weltkrieg erspart.

Ab 1917 arbeitete er als Journalist, Schriftsteller und Dramatiker. Bis heute werden seine utopischen Romane wie „Krakatit“ oder „Der Krieg mit den Molchen“ gelesen. Čapek gehörte zu den wichtigsten tschechischen Intellektuellen. In den 1930er-Jahren erkannte er die wachsende Bedrohung durch Deutschland. Drei Monate nach dem Münchner Abkommen, am 25. Dezember 1938, starb er in Prag an einer Lungenentzündung. Sein älterer Bruder Josef Čapek, mit dem er oft zusammenarbeitete, wurde 1939 von den Deutschen ins Konzentrationslager eingeliefert, das er nicht überlebte.

Das Textbuch des Dramas „R.U.R.“

Karel Čapeks bekanntestes Werk ist sicherlich das Drama „R.U.R.“. Das Textbuch erschien im November 1920 im Prager Verlag Aventinum, es kann hier im Original gelesen werden. „R.U.R.“ steht für  Rossum‘s Universal Robots und meint eine Firma. Ihr Produkt ist uns im Jahr 2020 sofort klar, das Wort „Rossum“ wohl weniger; im Stück trägt der Firmengründer jenen Namen. Das tschechische rozum bedeutet Vernunft oder Verstand, es hängt etymologisch mit ratio, reason und raison zusammen.

„R.U.R.“ spielt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf einer Insel, die vielleicht im Mittelmeer liegt. Das titelgebende Unternehmen stellt künstliche Menschen her und liefert sie in alle Welt. Die Roboter sind nicht aus Blech oder Bakelit, sondern entstehen am Fließband aus biologischem Material. Sie haben eine beschränkte Intelligenz, doch ein hervorragendes Gedächtnis; sie lassen sich für viele Arbeiten trainieren. Sie sind von den echten Menschen kaum zu unterscheiden; es gibt männliche wie weibliche Roboter.

So sah sich Karel Čapek 1925.

Čapeks Drama beginnt mit einem Vorspiel, in dem die weibliche Hauptfigur, Helene Glory, auf die Insel kommt. Sie ist Mitglied der Humanitätsliga und will die Roboter „befreien“. Firmenchef Harry Domin redet ihr das aus, außerdem heiratet er sie. Zehn Jahre später – wir sind nun im ersten Akt – gibt es neue Robotermodelle mit Denkfähigkeit; sie werden unter anderem als Soldaten eingesetzt. Die Roboter rotten sich gegen die Menschen zusammen. Darüber hinaus erfahren wir, dass die Welt einen dramatischen Geburtenrückgang erlebt.

Im zweiten Akt erringen die Roboter die Herrschaft und beseitigen die Menschheit. Die Bewohner der R.U.R.-Insel werden einer nach dem anderen getötet, nur Architekt Alquist bleibt am Leben. Im dritten Akt erkennen die Roboter, dass sie dem Untergang geweiht sind. Ihnen fehlen die Kenntnisse für den Nachbau, die Formel des biologischen Grundstoffs wurde im ersten Akt entsorgt. Die Lösung liegt nahe: Die zwei klügsten Kunstmenschen, ein Roboter und eine Roboterin, verlieben sich ineinander. Sie werden dafür sorgen, dass das intelligente Leben weitergeht.

Die Brüder Karel und Josef Čapek (rechts) in den 1930er-Jahren

„R.U.R.“ wurde am 2. Januar 1921 von einer Amateurtheatergruppe in Königgrätz gespielt. Am 25. Januar folgte die Aufführung im Prager Nationaltheater; hier sind dazu einige Fotos. Anschließend trat es den Siegeszug durch die Theater von Europa und Amerika an. Noch vor Jahresfrist erfolgte die deutsche Premiere in Aachen, am 29. März 1923 zeigte das Theater am Kurfürstendamm das Stück in Berlin. Berühmt wurde das Bühnenbild von Friedrich Kiesler. Der hiesige Titel lautete „W.U.R.“ alias Werstands Universal Robots. Grundlage war die Übersetzung des deutsch-tschechischen Literaten Otto Pick, die auch online vorliegt.

Nach Karel Čapeks Tod kam „R.U.R.“ seltener auf die Bühne, man kann den Text jedoch über Amazon erwerben. Das Stück wurde nie verfilmt, es gab nur zwei Fernsehspiele der BBC. Sie entstanden 1938 und 1948 live im Studio, unser Eingangsbild zeigt eine Szene der ersten Sendung. Zum 100. Jahrestag der „R.U.R.“-Publikation erscheint eine Neuauflage mit vielen Kommentaren in tschechischer Sprache. Bis in den Februar läuft im Karel-Čapek-Museum in Stará Huť eine Ausstellung über „R.U.R.“-Aufführungen. Für nächsten Juli ist in Prag eine Konferenz über künstliches Leben geplant, die teils vor Ort und teils online stattfinden soll.

Bühnenbild-Entwurf von Bedrich Feuerstein für die Uraufführung von „R.U.R.“ in Prag

Die Science-Fiction verdankt „R.U.R.“ wichtige Ideen wie die Roboterrebellion oder die Roboterliebe. Der Weltkultur schenkte das Stück das Wort für einen künstlichen Menschen. Anscheinend war Robot ein Vorschlag von Josef Čapek; das Tschechische kennt den robotnik im Sinne von Fronarbeiter. Im österreichischen Deutsch ist dafür im 18. und 19. Jahrhundert der Roboter belegt – so neu ist das Wort also nicht. Es ging auf den Ausdruck Robat zurück, den auch das große Grimm-Wörterbuch erwähnt.

Zum Schluss möchten wir auf zwei tschechische Karel-Čapek-Verfilmungen hinweisen, die man im Netz mit englischen Untertiteln anschauen kann. Die weiße Krankheit von 1937 behandelt eine aus China stammende Seuche und bringt lange Diskussionen zu Krieg und Frieden. In Krakatit geht es 1948 um einen Sprengstoff. Der russische Verlust des Gefühls von 1935 hat ebenfalls Untertitel; die Metall-Roboter könnten durch „R.U.R.“ inspiriert sein. Und das ist Karel Čapek im O-Ton: ab Minute 2:45 in der MP3-Datei unten auf der Seite.

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Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.