Die programmierte Ente

Geschrieben am 29.01.2021 von

1738 vollendete der junge Ingenieur Jacques Vaucanson drei lebensgroße Automaten: einen Flötenspieler, einen Trommler und eine Ente. Sie gingen danach auf Tournee durch mehrere Länder. Besonders die Ente verblüffte die Zuschauer. Sie fraß und schien die verdaute Nahrung wieder auszugeben. Im späten 19. Jahrhundert verlieren sich ihre Spuren, es gibt aber einige Fotos zu ihr. 

Geboren wurde Jacques Vaucanson am 24. Februar 1709 in Grenoble als zehntes Kind eines Handschuhmachers. Als Teenager betrieb er eine Uhrmacherwerkstatt, außerdem trat er in einen kirchlichen Orden ein. Von 1728 bis 1731 studierte er Mechanik, Physik, Anatomie und Musik in Paris. Anschließend begann er, Automaten zu bauen. In diesem Feld zählte er zu den Pionieren, und er war wohl der erste Robotiker der Neuzeit.

Jacques de Vaucanson, Gemälde von Joseph Boze (1745-1826)

Am 30. April 1738 erläuterte er in der französischen Akademie der Wissenschaft sein erstes Werk, einen lebensgroßen mechanischen Flötenspieler. Eine im gleichen Jahr erschienene Broschüre brachte noch einen Brief Vaucansons an den Schriftsteller Pierre Desfontaines („Abbé D. F.“). Darin beschrieb er zwei weitere Automaten, eine Ente und einen Musiker, der ein Pfeifchen blies und die Trommel schlug. Seine Konstruktionen zeigt das Eingangsbild; eine deutsche Fassung von Vaucansons Schrift kam 1748 heraus und ist online.

Von den Automaten ist die Ente bis heute der bekannteste. Dabei tat sie nur das, was Enten gewöhnlich tun: „Sie strecket ihren Hals in die Höhe, um Körner aus der Hand zu nehmen, sie verschluckt, verdauet, und giebt das verschluckte durch die gewöhnlich Wege, nachdem sie es verdauet hat, wieder von sich.“ Außerdem flatterte sie mit den Flügeln, hob den Fuß, bewegte den Kopf und schnatterte. Trinken konnte sie auch. Das Tier war aus vergoldetem Messing  gebildet und stand auf dem Podest mit der Mechanik. Nach dem Aufziehen agierte es selbstständig.

Eines des Fotos, die das Pariser Musée des arts et métiers erhielt.

Sonst gab Jacques Vaucanson wenig Einzelheiten zur Ente preis. Sie war nicht der erste Tierautomat; sein Landsmann Jean-Baptiste de Gennes baute schon um 1700 auf einer Karibik-Insel einen künstlichen Pfau. Vaucansons Geschöpfe fanden aber ein Publikum in Europa, Schon 1738 stellte der Erfinder sie in Paris aus und verdiente gutes Geld; danach schickte er sie auf Tournee. Zehn Jahre nach ihrer Geburt inspirierten sie den Philosophen Julien Offray de La Mettrie zu der These, dass der Mensch nur eine Maschine wäre.

Vaucanson wurde 1741 Oberinspektor der französischen Seidenmanufakturen. Einige Jahre danach entwarf er einen automatischen Webstuhl mit einem Lochstreifen, einen Vorläufer des Jacquard-Webstuhls. Er steht heute im Musée des arts et métiers in Paris. 1746 nahm die Akademie der Wissenschaft Vaucanson als Mitglied auf; von nun an schrieb er sich „Jacques de Vaucanson“. Er starb am 21. November 1782. Seine Grabstätte in der Pariser Kapelle Sainte-Marguerite ist leider anonym.

Auf diesem Foto ist die Kurbel zum Aufziehen des Automaten sichtbar.

Seine Automaten hatte Jacques de Vaucanson schon 1743 verkauft. Sie gelangten 1755 nach Nürnberg, wo sie jahrzehntelang in Kisten auf einem Dachboden lagerten. Der Schriftsteller Friedrich Nicolai konnte 1781 die Ente näher untersuchen. Er entdeckte einen Blasebalg, der einen Unterdruck im Hals erzeugte: So saugte das Tier Körner und Wasser auf. Darüber hinaus sah er, dass die Speisen nicht weiterverarbeitet wurden – die Ente gab nur ein im Inneren gespeichertes Häufchen aus. Nicolais Bericht lässt sich hier nachlesen.

Später holte der Mediziner und Chemiker Gottfried Christoph Beireis die Automaten nach Helmstedt, wo sie Goethe 1805 antraf. 1840 reisten die zwei Musiker mit den Ausstellern George Tietz und Benoit Fréchon durch Deutschland. Tietz fand dann auch die Ente und ließ sie vom Schweizer Mechaniker Bartholomé Rechsteiner in jahrelanger Arbeit restaurieren. Rechsteiner stattete sie mit einem Federkleid aus, und so trat sie 1846 in Amerika auf. Für sich baute der Mechaniker eine Kopie. Ihre Premiere erlebte sie im April 1847 in St. Gallen; die zweite Station war im Juni München. Auch Rechsteiner verfasste eine Schrift.

Johann Bartholomé Rechsteiner (1810-1893), genialer Schweizer Mechaniker

Danach verlieren sich die Spuren unserer Automaten. Der Flötenspieler und der Trommler verschwanden spurlos; eine der Enten wurde 1879 in der ukrainischen Stadt Charkow durch ein Feuer zerstört. Ein Jahr vorher druckte die Zeitschrift Daheim einen Artikel, der die versteckte Mechanik der Tiere schilderte. Er erwähnte eine rotierende Messingtrommel mit Zapfen wie auf der Walze einer Drehorgel. Die Zapfen setzten über Stahlkettchen, die durch die hohlen Beine der Ente verliefen, den Hals und die Flügel in Bewegung.

1899 erhielt das Musée des arts et métiers Fotografien eines Enten-Automaten. Sie zeigen die Trommel mit dem Programm; auf einem Bild erkennt man die Kurbel, mit der das Gerät vermutlich aufgezogen wurde. Das Aufnahmedatum ist unbekannt; die Experten streiten sich, ob es sich um die Vaucanson-Ente oder um den Nachbau von Rechsteiner handelt. Das war das letzte, was man von den Schnattertieren sah. Der französische Automatenkünstler Frederic Vidoni schuf 1998 eine neue Kopie für ein Museum in Grenoble.

Die falsche Vaucanson-Ente von 1899

Inzwischen zog sie nach Moskau um – so endete eine große Automatenerzählung der Technikgeschichte. Warnen müssen wir vor der falschen Ente, die der Scientific American und die Deutsche Uhrmacher-Zeitung in die Welt setzten. Die Zeichnung, die 1899 in den Zeitschriften erschien, war ein Fantasieprodukt und hatte nichts mit Jacques de Vaucanson zu tun. Sie wurde oft gedruckt, ist aber wirklich nur eine „Ente“.

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