EDSAC – Bits im Tank
Geschrieben am 06.05.2019 von HNF
Vor siebzig Jahren, am 6. Mai 1949, lief in Cambridge der EDSAC an; im Juni wurde er mit einer wissenschaftlichen Konferenz offiziell eingeweiht. Der Röhrenrechner der englischen Universität war der erste Computer in Europa, der nützliche Arbeit leistete. Das ermöglichte ein Speicher mit einem Umfang von 512 Worten. Entworfen hatte EDSAC der Physiker Maurice Wilkes.
1949 wurde die Welt digital. Zu Beginn des Jahres gab es auf dem ganzen Globus nur drei Elektronenrechner. Zwei große, der ENIAC und der IBM SSEC, liefen in den USA, das kleine Manchester Baby summte in England. Am Jahresende zählte man schon sieben. Einer von ihnen war EDSAC, der Electronic Delay Storage Automatic Calculator. Auf Deutsch heißt das so viel wie Automatischer Elektronenrechner mit Verzögerungsspeicher.
Der Schöpfer des EDSAC hieß Maurice Wilkes. Er wurde am 26. Juni 1913 in Dudley im mittelenglischen Industriegebiet geboren; sein Vater war Buchhalter. Als Gymnasiast erlernte er das Amateurfunken. Ab 1931 studierte er Mathematik und Physik in Cambridge; dort benutzte er schon einen Differentialanalysator, einen großen Analogrechner. Nach der Promotion 1937 erhielt Wilkes eine Stelle im Mathematischen Labor der Universität, das Rechengeräte aller Art betrieb. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er in der Radarforschung.
Nach Kriegsende wurde Wilkes der Leiter des Mathematiklabors. Im Mai 1946 las er in einer schlaflosen Nacht – er hatte den Text nur geliehen – den First draft of a report on the EDVAC. Der „erste Entwurf“ beschrieb einen digitalen Elektronenrechner. Der Computerpionier John von Neumann verfasste ihn im Juni 1945, als er Berater bei der Vollendung des ENIAC war. Bis heute streiten die Experten, ob die Ideen des Berichts auf von Neumann oder nicht eher auf die ENIAC-Väter John Mauchly und John Presper Eckert zurückgingen.
Die wichtigste Idee war die Speicherprogrammierung, bei der Daten und Befehle im gleichen Bauteil abgelegt werden; sie bildet den Kern der Von-Neumann-Architektur. Nach Lektüre des EDVAC-Reports musste Maurice Wilkes einen solchen Computer haben. Im August 1946 reiste er in die USA und hörte sich die letzten Moore School Lectures an; die Vorlesungen erläuterten den Bau eines Elektronenrechners. Auf der Rückfahrt skizzierte Wilkes im Schiff den Aufbau des EDSAC; der Name erinnerte bewusst an das amerikanische Vorbild.
Während der Von-Neumann-Rechner EDVAC erst 1951 den Dienst aufnahm, war Wilkes schneller. Er stellte ein Team aus Wissenschaftlern, Technikern und Studenten zusammen und war nach knapp drei Jahren am Ziel. Schon am 6. Mai 1949 absolvierte der EDSAC in Cambridge das erste Programm. Es berechnete in zweieinhalb Minuten die Quadrate der Zahlen von null bis 99 und druckte sie mit einer Fernschreiber-Schreibmaschine aus. Verfasser war der Student David Wheeler. Zwei weitere Programme liefen am 9. Mai 1949.
EDSAC bestand aus zwölf übermannshohen Gestellen, in denen 3.500 Röhren steckten. Einen Eindruck der Anlage vermittelt das Eingangsbild (Copyright Computer Laboratory, University of Cambridge CC BY 2.0). Der Herr im weißen Jackett ist Wilkes, rechts steht William Renwick, der Chefingenieur des Projekts. Ganz links im Bild erkennt man drei Kathodenstrahlröhren; auf ihnen ließ sich der aktuelle Zustand des Rechners ablesen. Der mittlere Monitor zeigte die Inhalte des Arbeitsspeichers an.
Dieser taucht als „delay storage“ bereits im Namen des Computers auf. Er bestand aus sechzehn mit Quecksilber gefüllten Rohren, den Tanks; später kamen weitere sechzehn hinzu. Jeder Tank war 183 Zentimeter lang – sechs Fuß – und fasste 32 Datenworte. Ein Wort zählte siebzehn Bit; außerdem gab es Doppelworte mit 35 Bit. Zum Speichern wurden die elektrischen in akustische Impulse umgewandelt und als Schallwellen durch das flüssige Metall geschickt. Mit dieser Technik konnte der EDSAC 1949 auf ein Kilobyte zugreifen, wie man heute sagen würde.
Für eine Addition brauchte EDSAC anderthalb Millisekunden, Multiplikationen dauerten sechs. Am 22. Juni 1949 wurde der Computer auf einer großen Konferenz in Cambridge enthüllt. Sie zog sich über vier Tage hin; zu den Referenten gehörte Alan Turing. Danach stand der Rechner der Universität zur Verfügung. 1951 wurde mit seiner Hilfe eine 79-stellige Primzahl entdeckt, was Rekord war. Auch der Molekularbiologe John Kendrew benutzte den Rechner; 1962 erhielt er für seine Forschungen den Chemie-Nobelpreis.
In den frühen Fünfzigern war EDSAC ein höchst einflussreicher Rechner; so machte er die Unterprogramme populär. Man sieht das auch in einem Film von 1951, der die Arbeit mit dem Computer zeigt. Im gleichen Jahr entstand nach seinem Vorbild der für betriebliche Aufgaben optimierte LEO I; finanziert wurde dieser von der Lebensmittelfirma Lyons. Weit verbreitet war ein Lehrbuch zum Programmieren, das Maurice Wilkes zusammen mit zwei Kollegen verfasste. Er gilt außerdem als Erfinder der Mikroprogrammierung.
Im Jahre 1958 wurde EDSAC durch EDSAC 2 ersetzt. Wilkes bekam 1965 eine Informatik-Professur; 1967 gewann er den wohlverdienten Turing-Preis. Nach der Pensionierung 1980 arbeitete er für den US-Hersteller Digital Equipment, ab 1986 war er in Cambridge für das Olivetti-Labor tätig. 2000 wurde er geadelt. Im Alter erforschte er die Computergeschichte und das Leben und Werk von Charles Babbage. Sir Maurice Wilkes starb am 29. November 2010 in Cambridge im Alter von 97 Jahren. Ein Nachbau seines EDSAC ist seit einiger Zeit in Arbeit.