Ein Buch zum Rechnen

Geschrieben am 30.08.2024 von

Ältere Leser und Leserinnen unseres Blogs kennen sicher noch die Logarithmentafel; ihr Gebrauch wurde in der Mathematikstunde gelehrt. Es gab auch einfache Rechentafeln für die Nutzung in Büros, Geschäften und Werkstätten. Der „Taschenrechner FIX“ half in der DDR beim Multiplizieren. Er war ein Buch mit 198 zahlengefüllten Seiten; bis 1978 erschienen von ihm siebzehn Auflagen.

Wer im ersten Obergeschoss des HNF von der Rolltreppe aus nach rechts geht, stößt nach kurzem Weg auf den Bereich zum Thema Rechnen und mechanische Rechenmaschinen. Zu Beginn erhebt sich eine Vitrine mit einer Brunsviga und einem aufgeschlagenen Buch. Es handelt sich um die Rechentafeln des Mathematikers und Ingenieurs August Crelle. Sie lagen 1820 vor, die HNF-Ausgabe stammt aus dem Jahr 1944. Unser Eingangsbild zeigt einen Ausschnitt daraus.

Schon in Babylon wurden Quadrat- und Kubiktafeln und Listen mit den Vielfachen einer Zahl benutzt. Im Europa der frühen Neuzeit erschienen gedruckte Multiplikationstabellen. 1610 stellte der bayerische Staatsbeamte Herwart von Hohenburg auf 999 Seiten die Produkte bis 1000 x 1000 zusammen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert verbreiteten sich die erwähnten Tafeln von August Crelle. Für Leute, die sich keine Rechenmaschine leisten konnten und das schriftliche Rechnen scheuten, bedeuteten solche Bücher eine preisgünstige Alternative.

„Taschenrechner FIX“ von 1957 und 1969. Das Buch war etwas kleiner als das DIN-A5-Format.

Das gilt auch für den „Taschenrechner FIX“. Das Buch mit diesem Titel kam wohl im Zweiten Weltkrieg im Engelhard-Reyher Verlag in Gotha heraus, die zweite Auflage ist 1942 belegt. In der sowjetischen Besatzungszone folgten 1946 die dritte und 1948 die vierte Auflage. Die fünfte wurde 1957 in der DDR gedruckt; ihr Preis betrug 2,70 Mark. In den 1950er-Jahren bot der Verlag Technik Berlin das Werk an und danach der Fachbuchverlag Leipzig. 1969 kostete die 15. Auflage 4,80 Mark. Die 17. Auflage von 1978 war die letzte. Über den Herausgeber Curt Schade wissen wir nur, dass er vor 1957 verstarb.

Der Taschenrechner umfasst 198 Seiten mit eng gedruckten Zahlen. Die ersten 196 enthalten die Produkte A x B, wobei A von 2 bis 99 und B von 0 bis 999 geht. Die letzten zwei Seiten liefern die Quadrate von 0 bis 999. Beim Rechnen mit vierstelligen oder längeren Zahlen muss man die Eingaben aufteilen, Teilprodukte bilden und diese unter Anhängen von Nullen addieren. Ein Beispiel: 34 x 56.789 wird in die Rechnungen 34 x 56 und 34 x 789 aufgeteilt, die Resultate sind 1.904 und 26.826. Die Addition 1.904.000 + 26.826 führt zum Ergebnis 1.930.826.

Die erste Seite von FIX mit der Lösung von 2 x 712. Links und rechts stehen fett gedruckt die Randzahlen und oben die Kopfzahlen.

Wie funktioniert FIX? Wir möchten das, siehe Foto oben, an der ersten Zahlenseite zeigen, die die Multiplikation mit 2 ermöglicht. Die Spalte ganz links läuft von 1 bis 49, sie wird auf der gegenüber liegenden Seite bis 99 fortgesetzt. Ihre Zahlen sind im Buch fett gedruckt und heißen Randzahlen. Die nächste Spalte enthält die Vielfachen von 2; sie reicht bis 98 bzw. 198, wenn man die Nachbarseite betrachtet. Angenommen, eine Zeile beginnt mit der Zahl 12. Dann stehen rechts von ihr die Ergebnisse für 2 x 12, 2 x 112, 2 x 212, 2 x 312… bis 2 x 912.

Zum Lösen etwa der Aufgabe 2 x 712 muss man die Spalte herunterfahren, über der die fett gedruckte 700 steht; sie heißt Kopfzahl. In der 13. Zeile, rechts von der Randzahl 12, wartet das Endresultat 1.424. Analog läuft das Rechnen mit Faktoren größer als 2, also mit 3, 4, 5,… bis 99. Im Internet finden sich die Erläuterungen des Taschenrechner-Buchs und das Rechenbeispiel 57 x 389; unten folgt der Ausschnitt aus der FIX-Seite. Mit Kopfzahl ist hier die 300 gemeint, die sowohl oberhalb als auch unterhalb des Zahlenfeldes erscheint.

57 x 389  ergibt 22.173. Die Kopfzahlen befinden sich auch unten auf der Seite.

Unser Taschenrechner beherrscht das Multiplizieren wie das Dividieren, und er könnte ein mathematischer Bestseller gewesen sein. 1968 erschien in einem Verlag in München eine Westausgabe, ansonsten sind uns aus der Bundesrepublik keine Rechentafeln für das tägliche Leben bekannt. In den frühen 1950er-Jahren wurde in West-Berlin der Rechenblitz gefertigt, eine Art Pappcomputer. 1954 erstellte dort der Verlag de Gruyter eine Neufassung der Crelle-Tabellen. Inzwischen lassen sich diese bei Amazon erwerben; online sind sie hier und hier greifbar. Den Taschenrechner FIX gibt es in Antiquariaten.

Zum Thema Multiplikationstafeln empfehlen wir noch einen Aufsatz von 1984 und über das Tafelrechnen allgemein eine Internetseite aus Frankreich. Zum Schluss laden wir zu der Sammlerbörse ein, die das Internationale Forum Historische Bürowelt am Sonntag im HNF organisiert. Sie ist von 10 bis 13 Uhr zugänglich, und vielleicht findet auch ein FIX den Weg nach Paderborn. Wir weisen außerdem auf die Museumsnacht am morgigen Samstag hin.

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7 Kommentare auf “Ein Buch zum Rechnen”

  1. Erhard Anthes sagt:

    Multiplikations-Tabellenbücher gibt es unzählige. Das älteste in meiner Sammlung ist von F. Calame: Tabellen zur Erleichterung des Multiplizierens mit Zahlen von 1 bis 10000, Münster 1812. Weit verbreitet war der Universal-Schnellrechner „Der stumme Diener“ von Remig Rees, 11. Auflage, 55. Tausend; Der „Multiplex“ von der Rechenapparate-Fabrik Fr. Schneider München, 8.Auflage 1912; Rechenfix vom RNK-Vordruckverlag Berlin und Braunschweig 1956. Alle funktionieren nach demselben – im Beitrag geschilderten – Verlag. Dazu gab es jede Menge „Zinsrechner“.

    1. Lieber Herr Anthes, sicher haben oder kennen Sie vielleicht die Recheneinschreibebücher, die es
      besonders in Schleswig Holstein gab. Die haben da ja irre großen Zahlen gerechnet und die Ergebnisse so aufgebaut, dass sie wie Kulisse von Lübeck oder Hamburg ausschauten. Die Förderung des schnellen und fehlerarmen Rechnens gebot sich dort wohl wegen der kleinteiligen Landesstruktur mit vielen verschiedenen Maßen, Gewichten, Größen, die man umrechnen musste.

    2. Nomogramme u.a. zum Multiplizieren kennt auch keiner mehr. Haben Sie da noch Exemplare ?

  2. C.F. Gauss, der sich auch Gauß schrieb, hat nie Rechenhilfsmittel benutzt, weil die für seine Rechengenauigkeit nicht ausreichten. Er soll für die Triangulierung im Hannöverschen und Lüneburg etwa 1 Million Zahlen zu Papier gebracht haben.

  3. Stu Savory sagt:

    Habe noch ein Brunsviga aus meine Studentenzeit, 60er Jahre.

  4. Erhard Anthes sagt:

    Hallo, Herr Ryska, ja, ich habe in meiner Sammlung den „Ringbuch Rechenschieber“ von Thiel u. Widmayer, Stuttgart von 1934, für elektrotechnische Anwendungen. Er wird im Buch von Körwien, Graphisches Rechnen, S.238, erwähnt. Im Journal of the Oughtred Society 11 [2002], No.2, S.44-47 wird er ausführlich beschrieben. Einige Bücher zum Graphischen Rechnen / Nomographie sind in meiner Sammlung. Recheneinschreibebücher habe ich zwei, eines von 1736, das andere konnte ich bisher nicht datieren, ist aber auch aus dem 18. JH.

  5. Herbert Bruderer sagt:

    Tabellenbücher wurden auch in Kombination mit Zahlenschiebern (preiswerte Geräte für die Addition und Subtraktion) vertrieben. Ein Beispiel ist der Correntator.

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