Ein kleiner Schritt für einen Menschen…
Geschrieben am 04.07.2019 von HNF
Heute eröffnet das HNF die Ausstellung „Aufbruch ins All – Raumfahrt erleben“. Ab dem 5. Juli ist sie allen Interessierten zugänglich. Sie knüpft an die Mondlandung des 20. Juli 1969 an. Die Schritte von Neil Armstrong und Edwin Aldrin wurden live im Fernsehen übertragen. Wenig bekannt ist, dass die nötige Kamera ein deutscher Forscher erfand.
Ältere Leser erinnern sich an die Nacht vom 20. zum 21. Juli 1969. Wer konnte, blieb wach und sah sich die Mondlandung an. Kurz vor vier Uhr stieg NASA-Astronaut Neil Armstrong die Leiter der Landefähre hinab. Viel mehr als seine Umrisse waren nicht zu erkennen, und dem Apollo-Sonderstudio des WDR entging der Spruch vom kleinen Schritt für den Menschen und dem Riesensprung für die Menschheit. Sicher war, dass ein Erdenbürger auf dem Mond stand und live im Fernsehen auftrat. Weltweit sahen ihn eine halbe Milliarde Menschen.
Die Übertragung der Mondlandung zählt zu den Triumphen der TV-Technik. Eine wichtige Rolle spielte die elektronische Kamera, die Neil Armstrong und seinen Kollegen Edwin Aldrin aufnahm. Sie steckte in einem mit Goldfolie umwickelten Paket – Gold ist in der Raumfahrt ein beliebter Strahlenschutz – an der Unterstufe der Landefähre. Nachdem Armstrong die Kabine in der Oberstufe verlassen hatte, zog er ein Band. Das Bündel kippte daraufhin nach unten, die Kamera erhielt freie Sicht. Edwin Aldrin schaltete den Strom ein; die Livesendung konnte beginnen.
Die Fernsehkamera war Teil der optischen Ausstattung, die mit der Fähre auf dem Mond niederging. Armstrong und Aldrin verwendeten zwei Hasselblads mit 70-Millimeter-Film; das Bildformat betrug 53 x 53 Millimeter. Dazu kam eine Stereokamera für Makrofotos von Mondgestein. In der Kabine befand sich eine 16-Millimeter-Kamera der New Yorker Firma Maurer. Sie schaute aus dem Fenster und nahm bis zu 24 Bilder pro Sekunde auf. Sie lieferte unter anderen den atemberaubenden Film vom Landeanflug der Mondfähre.
Die TV-Kamera für die Mondoberfläche stammte von der Weltraumabteilung der Firma Westinghouse in Baltimore. Projektleiter war der Ingenieur Stan Lebar. Das Herz der Kamera, die Bildröhre, schuf jedoch ein deutscher Physiker, der 1930 in Niederdünzebach geborene Gerhard Goetze. Der Ort gehört heute zur Gemeinde Eschwege in Hessen. Goetze studierte Physik in Marburg und machte seinen Doktor in Kernphysik. Danach wanderte er mit seiner Familie in die USA aus; ab 1959 war er für Westinghouse tätig.
Seine Röhre entwickelte Goetze ursprünglich für Nachtsichtgeräte, die im Vietnamkrieg eingesetzt wurden. Die Technik war geheim, das Pentagon gestattete dann der Firma, sie für die NASA-Kamera zu verwenden. Das von ihm erfundene Prinzip der Bildverstärkung nannte Goetze sekundäre Elektronenleitung; die englische Abkürzung lautet SEC. Westinghouse setzte die SEC-Röhre auch in Farbfernsehkameras ein. Eine flog in der Kommandokapsel von Apollo 11 mit; hier sind Videoaufnahmen von der Hinreise zum Mond.
Die Mondkamera nahm nur Schwarzweißilder auf. Für den Versand zur Erde stand eine Bandbreite von 700 Kilohertz zur Verfügung; das reichte für 320 Zeilen und 10 Bilder pro Sekunde. Die Signale strömten von der Kamera über ein Kabel zur Landefähre und von dort durchs All zu drei großen Empfangsantennen, Goldstone in Kalifornien sowie Honeysuckle Creek und Parkes in Australien. Hier wurden die 320-Zeilen-Bilder in die 525 Zeilen des US-Fernsehsystems NTCS umgewandelt. Dieses hatte eine Rate von 30 Bildern pro Sekunde.
Über einen geostationären TV-Satelliten und Mikrowellenleitungen erreichten die NTSC-Bilder das Kontrollzentrum Houston; von Houston gingen sie in alle Welt. Die schlechte Nachricht ist, dass die Konversionen und Weiterleitungen die Bildqualität beträchtlich herabsetzten; betroffen waren vor allem die ersten Minuten der Sendung. In der Freude über die Landung störte das niemanden; außerdem gab es noch die 16-Millimeter-Filmkamera. Mit ihr nahm Edwin Aldrin die Aktionen von Neil Armstrong vor der Mondfähre auf.
Die Urfassungen der Fernsehsignale wurden natürlich auf Magnetband gespeichert; die Bänder wanderten, wie es sich gehört, ins Archiv. 2006 waren sie allerdings nicht mehr auffindbar. Die NASA und ehemalige NASA-Mitarbeiter suchten jahrelang vergeblich nach ihnen; 2009 restaurierte die Raumfahrtbehörde schließlich die NTSC-Aufzeichnungen. Ein gut erhaltenes Magnetband hatte überlebt; es wird am 20. Juli bei Sotheby’s versteigert. Von den 1969 empfangenen Originalen zeugen nur einige Fotos und ein Schmalfilm, die an den Monitoren in Kalifornien und Australien aufgenommen wurden.
2014 erstellte ein italienischer Apollo-Fan die wohl beste Rekonstruktion der Schritte auf dem Mond. In seinem Video sehen wir nebeneinander die 16-Millimeter-Aufnahmen und die Bilder der Westinghouse-Fernsehkamera. Sie sind geneigt, denn die Kamera steckte etwas schief im Bündel an der Landefähre. Später nahm Neil Armstrong sie heraus und postierte sie in einem Stativ in einigem Abstand von der Fähre. Im unteren Teil des Videos erscheinen die Gespräche zwischen Armstong, Aldrin und der Leitstelle in Houston.
Die Astronauten der Missionen Apollo 12 und 14 setzen auf dem Mond Farbfernsehkameras ein. Bei Apollo 12 passte ein Raumfahrer nicht auf und richtete das Objektiv in die Sonne, was zum sofortigen Ausfall führte. Die drei letzten Mondflüge fanden mit Kameras der Firma RCA statt; gesteuert wurden sie im Kontrollzentrum Houston durch den Techniker Edward Fendell. Die Bildqualität hatte sich gegenüber 1969 sehr verbessert. Beeindruckend waren auch die Aufnahmen vom Start der Mondfähre zum Heimflug.
Gerhard Goetze bleibt der Ruhm, dass seine Kamera die erste auf dem Erdtrabanten war. In den 1970er-Jahren arbeitete er für Westinghouse International in Frankfurt am Main. Ab 1981 leitete er die mit Westinghouse verbundene Firma FANAL. Mit einem neuen Unternehmen, der Goetze & Scheffler GmbH für industrielle Steuerungstechnik, hatte er in den 1990er-Jahren weniger Erfolg. Er starb Anfang 2007 im nordhessischen Bad Zwesten. Von den deutschen Mondflugpionieren ist er vermutlich der unbekannteste.
Die Vielfalt der Astronautik zeigt das HNF ab Freitag, dem 5. Juli, im dritten Obergeschoss Die Ausstellung Aufbruch ins All – Raumfahrt erleben füllt achthundert Quadratmeter. Sie schildert auch den Einsatz von Computern; virtuelle Realität ermöglicht Besuchern einen Sprung in den Kosmos. Auf kleine Raumfahrer wartet der Spielplatz Lunar Lander Land, siehe Bild unten. Und wem das noch immer nicht reicht, der findet im zweiten Stock die schönsten NASA-Fotos aus der Zeit der Apollo-Flüge.
Auch wenn der „Guidance Computer“ eine Digitalrechner war, wurden stationär von der NASA viele Analogrechner eingesetzt (https://spectrum.ieee.org/computing/hardware/not-your-fathers-analog-computer). Auch sollen die Flugsimulatoren für die Koppelmanöver von Analogrechnern gesteuert worden sein; hierfür fehlt mir noch ein Beleg.