Ein Roboter besucht Berlin
Geschrieben am 30.05.2017 von HNF
Im März 1930 wurde zum ersten Mal ein beweglicher und sprechender Roboter in Deutschland vorgeführt. Der Maschinenmensch Robot trat zwei Wochen lang im Berliner Varieté-Theater Wintergarten auf. Konstrukteur war der englische Journalist William Richards. Robot hieß außerhalb Deutschlands George; er zählt zu den frühesten Robotern im klassischen Metall-Design. In den 1950er-Jahren verlieren sich seine Spuren.
„Ein Golem aus blinkendem Metall. Wie eine plötzlich in Bewegung kommende Ritterrüstung hebt und setzt sich dieser eisenklirrende Bursche, dessen Augen elektrisch leuchten und aus dessem starren Maul der Ton von Schallplatten schnurrt, wenn er spricht oder gar singt. Er macht alles auf Kommando, präzis, sehr erstaunlich, aber er hat nichts vom Unheimlichen, E. T. A. Hoffmannschen: nüchternes Riesenspielzeug.“
Das ist nicht aus dem SPIEGEL, sondern stand am 5. März 1930 in der Berliner Tageszeitung „B. Z. am Mittag“. Der Golem – die Sage haben wir bereits im Blog erwähnt – war ein Roboter namens Robot, der im Wintergarten erschien, dem größten Varieté der Hauptstadt. Dort führte ihn sein Konstrukteur William Richards zwei Wochen lang vor. Die Premiere erfolgte am 1. März 1930. Der Automat teilte sich die Bühne mit Akrobaten, Artisten, Rollschuhtänzern, Banjospielern, einer Clowntruppe und Togo, dem rechnender Hund.
Der B.Z.-Reporter dachte beim Roboter an den Juristen und Schriftsteller E. T. A. Hoffmann. Der imaginierte im frühen 19. Jahrhundert künstliche Menschen wie die Puppe Olimpia oder den redenden Türken. Robot im Wintergarten war aber Realität und sogar schon der zweite Automat seines Schöpfers. William Henry Richards wurde 1868 in der englischen Grafschaft Devon geboren. Er war ehemaliger Offizier, Journalist und begeisterter Bastler. In den 1920er-Jahren leitete er einen großen Londoner Modellbauverein.
1928 sollte der Duke of York, der spätere König George VI, bei der Jahresausstellung des Vereins sprechen. Als er absagte, bauten William Richards und der Ingenieur Alan Reffell in fünf Monaten einen Maschinenmenschen. Sie nannten ihn Eric und schraubten auf seine Brust das Wort RUR. So hieß das Drama des Tschechen Karel Čapek, das 1921 den Ausdruck „Roboter“ in die Welt setzte. Eric aber erhob sich am 20. September 1928 vom Hocker, schaute nach links und nach rechts und eröffnete in London die Schau der Bastler.
Überliefert ist das in einem kurzen Film, in dem man leider nicht seine Stimme hört. Wie sie technisch realisiert wurde, wissen wir nicht, die Eröffnung war jedoch ein voller Erfolg. Anschließend ging Eric auf Tournee, die ihn unter anderem in die USA führte. Sein Schicksal ist ungeklärt; vermutlich wurde er irgendwann verschrottet. Er bleibt aber der erste Roboter, der nicht menschenähnlich war, sondern aus silberglänzendem Aluminium bestand. Damit definierte er das klassisch-metallische Roboterdesign.
Schon 1929 beauftragte Richards die Londoner Firma Research Engineers Ltd. mit dem Bau eines zweiten Roboters. Er erhielt den Namen George. Belegt sind Vorführungen in Paris Anfang 1930. In der ersten Märzhälfte des Jahres stand er auf der Bühne des Wintergartens – hier wurde er nicht George, sondern Robot genannt. Unser Eingangsbild zeigt ihn mit seinem Schöpfer vor einem Berliner Café (Bundesarchiv, Bild 102-09312 / CC-BY-SA 3.0). Erhalten sind eine französische und eine italienische Wochenschau; diese ist auch online.
Wie sein Vorläufer Eric war George ortsfest, er konnte aber aufstehen und Kopf, Hände und Arme bewegen. Außerdem sprach und sang er, beantwortete Fragen seines Konstrukteurs und befolgte seine Befehle. Vielleicht enthielt der Roboter einen akustischen Sensor, der auf Laute oder Tonhöhen reagierte und bestimmte Aktionen auslöste. Es wäre auch möglich, dass ein Helfer hinter den Kulissen wirkte und Funksignale abschickte. Wir erinnern an den Schallplattenklang, den der B.Z.-Reporter hörte. Ob da ein Radio im Spiel war?
Letzten Endes bleibt das Innenleben von George ein Geheimnis. Er war jedenfalls der erste Roboter, der außerhalb von Kinofilmen in Deutschland auftrat. Wie Eric bereiste er die Welt; besonders populär war er in Australien. Hier erhielt er ein neues und kantiges Gesicht sowie ein Röckchen für den Unterleib. 1936 kehrte er in seine englische Heimat zurück. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs steckte William Richards den Maschinenmann in eine lange Kiste und deponierte ihn unter einer Garage am Stadtrand von London.
Die Örtlichkeit wurde bei deutschen Bombengriffen getroffen und der Roboter beschädigt. William Richards zog sich aufs Land zurück; er starb am Weihnachtstag 1948. Im Jahr 1952 tauchte George an einem Ort auf, wo ihn kein Technikhistoriker erwartet hätte: im Haus der Schauspielerin Diana Dors. Die blonde Diana galt damals als die englische Antwort auf Marilyn Monroe. In der Presse hieß der Roboter Robert. Die Enkel von William Richards kontaktierten die Schauspielerin, erhielten den Automaten aber niemals zurück.
Seitdem ist er spurlos verschwunden. Im Internet leben George und Eric natürlich weiter. Auch zwei Urenkelinnen ihres Erbauers installierten eine Gedenkseite. 2016 erbrachte eine Crowdfunding-Aktion 51.800 Pfund für eine Replik von Eric. Die 1:1-Kopie wurde gebaut und ab Februar 2017 in der großen Roboter-Schau des Londoner Science Museums ausgestellt. Dort ist sie noch bis September zu sehen und zu hören.