Ein Weltmarkt für fünf Computer
Geschrieben am 24.03.2017 von HNF
Heute geht die CeBIT zu Ende. Keine andere Messe blickt so weit voraus wie die Hochtechnologie-Schau in Hannover. Aber die besten Experten können sich irren. Im Lauf der Zeit sammelten sich viele falsche Voraussagen über die Zukunft des Computers an. Manche sind ganz amüsant und werden oft zitiert. Was ist dran an den angeblichen Fehlprognosen?
Thomas J. Watson senior, der langjährige Chef des Computerherstellers IBM, ist durch zwei Sprüche bekannt. „Think!“ war das Motto der Firma, als sie noch Lochkartenmaschinen baute. Der zweite lautet: „Ich glaube, es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer.“ Oder im Original: „I think there is a world market for maybe five computers.” Manchmal heißt es auch „for about five computers“.
Watson soll den Spruch 1943 getätigt haben. Damals waren Computer im Umgangsenglisch aber keine Maschinen, sondern menschliche Rechner. Der Satz ist also verdächtig, und Watson hat ihn wohl nie gesagt. In Druck erschien er 1965 im SPIEGEL (siehe Abschnitt „IBM-Chef Thomas Watson…“). Er geht vermutlich auf Watsons Sohn Thomas J. Watson junior zurück. 1953 sprach er vor IBM-Aktionären über den Rechner IBM 701 und erwähnte, dass er mit fünf Bestellungen gerechnet hätte. Stattdessen seien aber 18 eingegangen.
Wir treffen hier auf ein Phänomen, das im Zeitalter von Facebook und Fake News alltäglich ist: das falsche Zitat. Ein Unbekannter kann es von Anfang bis Ende erfinden und einer prominenten Persönlichkeit zuweisen. Es kommt auch vor, dass eine Aussage wirklich fiel oder im Volksmund existiert und dann einem bestimmten Menschen zugeordnet wird. Neben den falschen gibt es natürlich echte Zitate und ebenso skeptische Ansichten aus der Frühzeit des Computers, als die Rechner noch groß und teuer waren.
1946 leitete Sir Charles Darwin, ein Enkel des Naturforschers, das Nationale Physiklabor in Teddington bei London. Dort entwickelte Alan Turing den Computer ACE, und Sir Charles nahm an, dass ein Rechner für das ganze Land reicht. Turing sah es ähnlich und hielt die unterschiedlichen amerikanischen Projekte für einen Fehler. 1950 glaubte der englische Mathematiker Douglas Hartree, dass vier Computer genug wären, drei in England und einer in Schottland. Für US-Computerpionier Howard Aiken waren sechs Rechner optimal.
Im März 1949 brachte die amerikanische Zeitschrift Popular Mechanics einen Artikel über die neuen Elektronengehirne und den ENIAC, der einen ganzen Saal füllte. Der Text endete mit einer optimistischen Voraussage: „Während ein Rechner wie der ENIAC heute 18.000 Röhren enthält und 30 Tonnen schwer ist, könnten zukünftige Computer mit 1.000 Röhren auskommen und vielleicht nur anderthalb Tonnen wiegen.“ Diese Vision galt bis in die 1950er-Jahre, danach wurden die Computer schnell zu Leichtgewichten.
Aus den 1970er-Jahren ist ein Zitat überliefert, das bis heute diskutiert wird. Ken Olsen, Gründer und Leiter der amerikanischen Computerfirma Digital Equipment, soll 1977 bei einem Meeting der World Future Society gemeint haben: „Es gibt keinen Grund für einen Menschen, einen Computer im Haus zu haben.“ Das Ganze spielte sich angeblich in Boston ab. Eine genaue Quelle gibt es nicht, und spätere Nachfragen bei Olsen brachten keine Klarheit. Wir lassen deshalb offen, ob das Zitat so stimmt oder nur gut erfunden wurde.
Wie verhält es sich aber mit der Aussage eines anderen IT-Managers? 1985 zitierte die Zeitschrift InfoWorld Bill Gates wie folgt: „Als wir die Obergrenze für PC-DOS bei 640 kB setzten, dachten wir, dass nie jemand so viel Speicherplatz braucht.“ Ab 1990 verkürzte sich der Satz zu „640 kB reichen für jeden“. PC-DOS war das Microsoft-Betriebssystem des Personal Computers von IBM, und der Speicherplatz bezog sich auf den Arbeitsspeicher. Beim XT-Modell von 1983 ließ sich dieser bis auf 640 Kilobyte erweitern.
Schon in den 1990er-Jahren bestritt der Microsoft-Chef, jemals so etwas gesagt zu haben. Das Dementi erscheint glaubwürdig, da nie ein konkreter Beleg für die 640-kB-Sprüche auftauchte. Ebenso wenig hielt er einen Vortrag über elf Dinge, die wir nicht in der Schule lernen. Diese Liste geht auf einen Artikel zurück, den der Schriftsteller Charles Sykes 1996 für eine Zeitung in Kalifornien schrieb. Gut belegt ist dagegen die Bill-Gates-Aussage von 2004, dass in zwei Jahren die Spam-Mails enden würden. Auch Genies können sich irren.
Zwei fette Fehlprognosen leistete sich der amerikanische Netzwerkpionier und Ethernet-Erfinder Robert Metcalfe. 1993 schrieb er in seiner Kolumne in der InfoWorld, dass es niemals drahtlose Computer – heute sagen wir Smartphones – geben würde: „Wireless computing will flop – permanently.“ Und Ende 1995 sagte er für das nächste Jahr voraus, dass das Internet wie eine Supernova explodieren und danach total zusammenbrechen würde. Nebenbei bemerkt: Seit 2007 ist die InfoWorld nur noch online lesbar.
In Deutschland soll ein hochrangiger Experte völlig falsch in die Zukunft gesehen haben: Ron Sommer. Dem Ex-Vorstand der Deutschen Telekom wird dieser Satz zugeschrieben: „Das Internet ist eine Spielerei für Computerfreaks, wir sehen darin keine Zukunft.“ Als Datum werden die frühen Neunziger genannt, aber wie so oft fehlen Quellenangaben. Falls Sommer sich tatsächlich so ausdrückte, dann tat er es nicht im Dienste der Telekom, sondern für die Firma Sony, wo er von 1980 bis 1995 arbeitete.
Nachweislich falsch lag der deutsche Zeitungsverleger Christian DuMont Schütte. An seinem 50. Geburtstag am 2. März 2007 stellte er die These auf: „In zehn Jahren ist Google tot.“ Er wiederholte die Prognose im August des Jahres in einem Interview mit der FAZ. Die Firma Google hat sich dadurch nicht beeindrucken lassen und lebt immer noch. Anmerkung: Unser Eingangsbild oben stammt aus der Sammlung des Computer History Museums und zeigt Thomas J. Watson senior an einer IBM 701.