Eine wahnsinnige Liebe
Geschrieben am 18.08.2015 von HNF
Der Computer und die Liebe: ein ewiges Thema. Schon Reinhard Mey besang einen einsamen Programmierer, der sich in einen Elektronenrechner verknallt, und 2013 erschien der Film „Her“, dessen von Joaquin Phoenix gespielter Held einem klugen Betriebssystem verfällt, das im Original von Scarlett Johansson gesprochen wird. Diese Geschichte erinnert an ein Werk der jüngeren deutschen Literatur.
Im Jahr 1984 brachte der Hermann Luchterhand Verlag die Novelle Eine wahnsinnige Liebe heraus; Autor war der 1946 in Genthin geborene und damals in Frankfurt lebende Gert Loschütz. Das Büchlein schildert die Beziehung des Ich-Erzählers Lukas Hartmann zu einem Mikrocomputer und ihre Folgen. Hartmann ist Pharmareferent, über vierzig und heterosexuell, hat jedoch nie eine Frau berührt. Er kauft aus beruflichen Gründen einen Computer, den er nun beginnt zu vermenschlichen.
Den Anfang macht ein Pullover, den er ihm überstreift, es folgen Rock, Jacke, Halstuch und Stiefel sowie ein Styroporkopf mit Perücke und Hut. Hartmann besorgt der Puppe auch auf krummen Wegen einen Personalausweis. Der Umgang mit dem Computer lässt ihn ein Gespenst sehen und hören, eine junge Frau, die Konzertpianistin und aus der DDR geflohen ist. Mit ihr fährt er aufs Land und heiratet sie in einer Dorfkirche.
Diese besitzt eine Touristenattraktion, einen mumifizierten Ritter von der Osse, der in einem Glaskasten ruht. Nach kuriosen Erlebnissen in einem Gasthof verlassen Herr und Frau Hartmann den Ort wieder und nehmen sich ein Zimmer in einem anderen Dorf. Die Novelle endet offen, gewisse Andeutungen legen nahe, dass unser Pharmareferent seine Ehe vollziehen wird.
Eine wahnsinnige Liebe unterscheidet sich von den üblichen Mann-liebt-Maschine-Geschichten, die auf den antiken Pygmalion-Mythos zurückgehen, durch die Idee, dass der Held kein reales, sondern ein vorgestelltes Wesen liebt. Der Titel ist durchaus klinisch gemeint: der Klappentext spricht von der Wirklichkeit, die zum Wahn, und vom Wahn, der zur Wirklichkeit wird. Nach Auskunft des Autors, der inzwischen in Berlin lebt, vereint Hartmanns Rechner drei Systeme, einen Schachcomputer, einen kleinen Synthesizer und einen 1980er-Jahre-Mikrocomputer.
Die beiden ersten Geräte haben tatsächlich existiert, beim Synthesizer tippen wir einmal auf den Casio VL-1. An ein Mikrocomputermodell konnte sich Loschütz nicht mehr erinnern, eine Erwähnung im Text („nicht größer als ein handlicher Koffer“) und der Pullover passen aber auf einen portablen Rechner vom Typ Osborne (Foto oben, Foto: Jan Braun, HNF) oder Compaq. Programmiererfahrungen sammelte Loschütz keine, er schrieb lieber an einer elektrischen Olivetti mit Zeilenspeicher.
Urbild des Ritters von der Osse war der brandenburgische Edelmann Christian Friedrich von Kahlbutz, dessen Leiche im Kirchlein von Kampehl bei Neustadt/Dosse zu besichtigen ist. Hier sah sie auch Gert Loschütz bei einem DDR-Besuch. Die Kritik nahm Eine wahnsinnige Liebe durchweg positiv auf. „Das Raffinierte an der Novelle von Gert Loschütz ist der harmlose Ton, in dem ihr Held seine verrückte Geschichte erzählt“, lobte der SPIEGEL. Die Hardcover- und die Taschenbuchausgabe des Buchs sind heute preiswert auf Amazon erhältlich, die Verfilmung steht noch aus.