ERMETH – der Computer aus Zürich
Geschrieben am 26.07.2021 von HNF
Aufgebaut wurde sie schon 1955, als die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich den 100. Geburtstag feierte. Gerechnet hat die ERMETH ab Juli 1956. Mit zweitausend Röhren und einem Trommelspeicher war sie das erste Elektronengehirn auf Schweizer Boden. Sie arbeitete bis zum Oktober 1963 in der ETH. Heute steht der Computer im Museum für Kommunikation in Bern.
Die Schweizer Informatik wurzelt in der Rechenkunst. 1948 erhielt die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ein Institut für Angewandte Mathematik. Leiter wurde der ETH-Professor Eduard Stiefel. Im Oktober 1948 brach Stiefel mit seinen Assistenten, dem Mathematiker Heinz Rutishauser und dem Elektroingenieur Ambros Speiser, in die USA auf. Die drei studierten Röhren-, Relais- und Analogrechner sowie Lochkartengeräte, denn sie planten den Bau einer Schweizer Rechenanlage.
Im März 1949 kehrte Eduard Stiefel nach Zürich zurück. Dort erfuhr er von Konrad Zuses Relaiscomputer Z4, der sich im Allgäu befand. Ab Juli 1950 rechnete die Z4 in der ETH. Sein eigenes Projekt verfolgte Stiefel parallel dazu. Er dachte erst an einen Relaisrechner, doch erwiesen sich die vorgesehenen Bauteile als unzureichend. So entstand die Elektronische Rechenmaschine der Eidgenössischen Technischen Hochschule ERMETH mit 2.000 Röhren, 6.000 Germanium-Dioden und 200 elektromagnetischen Relais. Nach anderen Quellen besaß sie 1.500 oder 1.700 Röhren.
1955 wuchs die ERMETH im Institut für Angewandte Mathematik heran. Am 16. Oktober 1955 feierte die Zürcher Hochschule den 100. Geburtstag. Um diese Zeit herum wurde der Computer das erste Mal vorgeführt. Er rechnete Stellen der Kreiszahl Pi aus. Das vermuteten jedenfalls die Anwesenden. In Wirklichkeit konnte die ERMETH noch keine mathematischen Programme abarbeiten, sie zeigte nur vorher eingegebene Ziffern an. Vielleicht geschah das bei der Fernsehsendung aus der ETH, die am 11. November 1955 ausgestrahlt wurde.
Nach Angaben des Schweizer Technikhistorikers Herbert Bruderer lief die ERMETH ab Juli 1956 mit einem „vorläufigen Trommelspeicher“ (Seite 571). 1957 erhielt sie die reguläre Trommel, die 10.000 Dezimalzahlen mit 14 Ziffern aufnahm. Der Computer hatte eine Taktfrequenz von dreißig Kilohertz; eine Multiplikation dauerte zehn Millisekunden. Er operierte, stets von Technikern überwacht, bis Oktober 1963; danach wurde er abgebaut. Die Nachfolge trat 1964 eine CDC 1604A des US-Unternehmens Control Data an.
Ambros Speiser, der Chefkonstrukteur der ERMETH, kündigte schon 1955 seine Stelle und nahm ein Angebot der IBM an. Er wurde Direktor des IBM-Forschungslabors in Adliswil bei Zürich. Damit zerschlugen sich die Pläne der Hochschule und ihrer Partnerfirma, der in Bern ansässigen Hasler AG, für eine kommerzielle Ausführung der ERMETH. 1963 zog das Labor ins benachbarte Rüschlikon um. In einem damals gedrehten Film entdecken wir IBM-Chef Thomas J. Watson junior; bei Minute 4:10 erscheint Ambros Speiser (mit Brille).
Sein Computer gelangte 1982 ins Technikmuseum Technorama in Winterthur, wo man ihn bis 2004 besichtigen konnte. Seit 2006 steht die ERMETH im Museum für Kommunikation Bern; hier wird sie ab Minute 2:30 im Video gezeigt. Die elektronische Rechenmaschine der ETH Zürich ist und bleibt der einzige Großrechner aus der Schweiz. Mit Forschung zur Hardware befasste sich – wir schilderten es im Blog – um 1980 der Turing-Preisträger Niklaus Wirth. Milliardenumsätze verzeichnet der 1981 gegründete Zubehör-Hersteller Logitech.
Das letzte Wort zur ERMETH gehört aber Karl Leberecht Emil Nickel, Mathematiker und Hobbydichter. Für sein Bändchen „Palmström als Programmierer“ verwandelte er Christian Morgensterns „Werwolf“ in den Schweizer Computer und deklinierte ihn: „Die ERMETH eines Tags entwich / aus des Museums Rechner-pool / zu eines Hochschullehrers Stuhl / und bat ihn: ‚Bitte, wandle mich!‘“ Die Resultate von Er, Sie, Es bis Wir, Ihr, Sie bitte hier nachlesen. Die ERMETH dankte ihm voll Glück und kehrt‘ zum Ruheplatz zurück.
Unser Eingangsbild fotografierte Tomislav Medak 2009 im Museum für Kommunikation in Bern (CC BY 2.0 seitlich beschnitten). Die breiten dunklen Schlitze auf dem Pult sind die Anzeigetäfelchen; in diesem Foto sind sie etwas besser zu erkennen.
In der Schweiz wurden weitere Großrechner entwickelt und gebaut, vgl.
https://www.scs.ch/ueber-scs/gruender/ sowie https://www.scs.ch/ueber-scs/meilensteine/.
„Prof. Dr. Anton Gunzinger hat mit seinem revolutionären Supercomputer die IT-Welt der 90er-Jahre international überrascht. Er wurde mit verschiedensten Auszeichnungen geehrt und vom TIME Magazin zu den 100 Top-Leadern des 21. Jahrhunderts erkoren.
1993 gründete Anton Gunzinger die Firma Supercomputing Systems AG, welche die Entwicklung und Vermarktung von Supercomputern zum Ziel hatte. Heute entwickelt das Unternehmen mit seinen Mitarbeitenden kundenspezifische Produkte in unterschiedlichsten Kompetenzbereichen für internationale Auftraggeber.“
Der äußerst elegante Superrechner steht in mehreren Schweizer Technikmuseen. Nähere Angaben und Fotos sind zu finden in:
Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 1, 970 Seiten, 577 Abbildungen, 114 Tabellen, https://www.degruyter.com/view/title/567028?rskey=xoRERF&result=7
Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 2, 1055 Seiten, 138 Abbildungen, 37 Tabellen, https://www.degruyter.com/view/title/567221?rskey=A8Y4Gb&result=4
Ein Hinweis zur Entwicklung der Rechenleistung in der Schweiz:
The Evolution of Computing Power in Switzerland | blog@CACM | Communications of the ACM
June 14, 2021
Ein wirklich spannendes Video über das IBM Entwicklungszentrum in der Schweiz. Schade, dass der Ton dort wohl verloren gegangen ist. Weiß zufällig jemand, was sie dort technisch zeigen?