Es geht auch analog
Geschrieben am 12.10.2015 von HNF
Das Heinz Nixdorf MuseumsForum und unser Blog widmen sich vor allem der Geschichte der digitalen Rechentechnik, wie sie in Gestalt von Rechenmaschinen und Computern sichtbar wird. Daneben florierte lange die analoge Rechenkunst, deren populärster Vertreter der Rechenstab war. Im 20. Jahrhundert wurden elektrische Analogrechner benutzt, die auch den Weg in die Sammlung des HNF fanden.
Ältere Leser kennen ihn noch: den Rechenstab oder Rechenschieber, bestehend aus dem Körper, der darin steckenden Zunge und dem hin- und herfahrenden Läufer aus durchsichtigem Plastik. Er diente primär zur schnellen Multiplikation und Division. Ein naher Verwandter war die Rechenscheibe, die in Spezialversionen bis heute überlebte. So gibt es „Datenscheiben“ für den Body-Mass-Index (BMI), den Quotienten aus Körpergewicht und Quadrat der Körperlänge, oder für Zentralheizungen.
Ein Rechenstab ist trotz der eingravierten Ziffern kein digitales Recheninstrument, sondern arbeitet analog. Sein Benutzer überträgt Zahlen auf Größen in der realen Welt, auf Strecken auf dem Körper und der Zunge des Stabes. Er addiert oder subtrahiert die Längen dieser Strecken und wandelt beim Ablesen des Resultats eine physikalisch-technische Größe in eine Zahl um. Eine virtuelle Version liefert das Internet, wobei man sich auf die Skalen C und D beschränken sollte: Bitte den Cursor auf Zunge oder Läufer setzen und mit gedrückter linker Maustaste nach links oder rechts bewegen.
Ein Gerät, das sein Prinzip schon im Namen führte, war der Analogrechner. Er trat zu Beginn in mechanischer Form auf, zum Beispiel als Integraph, Gezeitenrechner oder Differentialanalysator. Wir konzentrieren uns jedoch auf die elektrischen Typen, die nach dem 2. Weltkrieg entstanden und bis in die 1970er-Jahre in Gebrauch waren. Sie enthielten zunächst Röhren und später Transistoren und ließen sich programmieren, aber nicht durch Eingeben von Anweisungen, sondern durch Einstecken von Kabeln und Einstellen von Drehschaltern.
Ein elektrischer Analogrechner bearbeitet dabei keine Zahleneingaben wie seine digitalen Vettern, sondern simuliert dynamische Vorgänge, wie sie in der Technik, im Labor oder in der Natur ablaufen. Ein einfaches Beispiel ist ein Gewicht, das an einer Stahlfeder hängt und auf einem hydraulischen Stoßdämpfer aufliegt. Hebt man das Gewicht an und lässt es los, dann bewegt es sich nach unten, eventuell schwingt es auch wieder hinauf, auf jeden Fall kommt es alsbald zur Ruhe.
Solche Bewegungen lassen sich mit dem Analogrechner modellieren und auf einem Oszilloskop bildlich darstellen. Dazu legt man mit den oben erwähnten Kabeln einen Stromkreis an, der sich durch die gleiche mathematische Formel (für Experten: eine Differentialgleichung) beschreiben lässt wie der zu simulierende Vorgang in der realen Welt. Dem Gewicht, das zwischen Feder und Stoßdämpfer hin und her schwingt, entspricht dann eine elektrische Spannung, deren Kurve auf dem Oszilloskop erscheint.
Auf die Details der mathematischen Gleichungen, welche die reale Bewegung wie die elektrische Simulation beschreiben, möchten wir lieber verzichten. Wer sich dafür interessiert, findet sie in dem Video von Bernd Ulmann, FH-Professor in Frankfurt am Main und Besitzer einer umfangreichen Analogrechner-Sammlung. Wer ein schöneres Beispiel sucht, dem empfehlen wir einen zweiteiligen Film, der eine analoge Autofahrt und die zugrundeliegenden Formeln und Stromkreise zeigt.
Bemerkenswert ist, dass in den 1960er und 1970er-Jahren die deutsche IT-Industrie Analogrechner baute, die hinsichtlich Qualität und Leistung an der Weltspitze lagen, besonders zu nennen sind die Geräte von Telefunken. Das HNF besitzt neben Telefunken-Rechnern auch den „MiniAC“ des amerikanischen Herstellers EAI, siehe Foto unten. Er arbeitet mit Transistoren. Links oben erkennt man das Steckbrett für die Kabelverbindungen. (Am Rechner sitzt HNF-Berater Rainer Glaschick.)
Die meisten der damals gebauten Rechner funktionieren übrigens heute noch. Seit kurzem hat das HNF das wohl einzige noch existierende Exemplar eines in Paderborn entwickelten Analogrechners für die Gymnasiale Oberstufe namens FEOLL ANRE. Wer mehr darüber weiss, ist herzlich willkommen. In den 1980er-Jahren endete die Ära der Analogrechner, weil die digitalen Computer aufgrund immer komplexerer Mikroprozessoren einfach schneller wurden.
2005 zeigte aber der Amerikaner Russell Cowan in seiner Dissertation an der Columbia Universität New York, dass man ebenso hochintegrierte analoge Chips entwickeln kann; und die Freunde der analogen Technik lassen den Kopf nicht hängen. Eine gut lesbare Einführung ins Fachgebiet erstellte der bereits erwähnte Bernd Ulmann. Er weist am Ende darauf hin, wie energieeffizient solche Rechner sind. Die Zukunft des Computers ist vielleicht – auch – analog.
Das Eingangsbild zeigt einen Analogrechner aus dem HNF.