Hallo, hier ist Televox!
Geschrieben am 13.10.2017 von HNF
Am 13. Oktober 1927 zeigte die amerikanische Technikfirma Westinghouse in New York den Televox. Erfinder war der Ingenieur Roy Wensley. Sein Gerät reagierte auf telefonisch übermittelte Töne und löste Operationen aus. Außerdem konnte er über das Telefon mit Tönen antworten. Er war also der erste Akustikkoppler. Eine geschickte Werbekampagne machte aus Televox den ersten Roboter.
Am Broadway gibt es nicht nur Theater. Unter der Nummer 150 findet man das New Yorker Hochhaus des nicht mehr existierenden Elektrokonzerns Westinghouse. Am 13. Oktober 1927 spielte sich dort eine folgenreiche technische Vorführung ab, die Präsentation des Televox. So hieß ein System aus Relais, das über Telefon ansprechbar war und elektrische Apparaturen ein- und ausschalten konnte. Die Presse machte es zum ersten Roboter.
Vater des Televox war der Amerikaner Roy Wensley. Geboren 1888, hatte er über Fernkurse eine Ingenieurausbildung absolviert und wurde dann von Westinghouse eingestellt. In den 1920er-Jahren leitete er die Abteilung für die Fernsteuerung elektrischer Anlagen. Sein Büro befand sich im Westinghouse-Werk der Industriestadt Pittsburgh. Am 1. Oktober 1923 meldete er eine telegraphische Überwachung solcher Anlagen, ein „Supervisory Control System“, zum Patent an. Ergänzende Patente folgten.
Der Televox erweiterte Wensley Grundkonzept um die Möglichkeit, die Kontrolle am Telefon abzuwickeln. Er wurde ans normale Netz angeschlossen und umfasste zwei Kästen und eine Mechanik zur Abnahme eines Telefonhörers. Der erste Kasten enthielt drei Sensoren, die auf verschiedene Tonhöhen ansprachen, sowie Verstärker für die elektrischen Impulse der Sensoren. Die Signale gingen in die zweite Box mit Relais. Diese aktivierten alle möglichen Anlagen. Außerdem konnte Televox mit einem Summer selber Töne ins Telefon geben.
Bei der Vorführung am 13. Oktober 1927 verwendete Roy Wensley drei Stimmgabeln für die Befehle an Televox. Aus späterer Zeit sind Fotos überliefert, in denen er vor dem Telefon in eine Flöte bläst. Die Presse war begeistert. Die „New York Times“ titelte am nächsten Tag: „Mechanischer ‚Mann‘ gehorcht menschlicher Stimme; Westinghouse zeigt einen Automaten, der Arbeiten erledigt und Aufträge erfüllt. Erkennt bestimmte Töne.“ Die Leser erfuhren außerdem, dass drei Exemplare des Televox in Wasserspeichern Dienst taten.
Der Reporter der Zeitschrift „Popular Science“ besuchte Roy Wensley in seiner Firma in Pittsburgh. Der Bericht erschien im Januar 1928 unter der Überschrift Machines That Think. Die Denkmaschinen stehen im Plural, denn neben dem Televox wurde der Produktintegraph von Vannevar Bush geschildert. Er stand im Massachusetts Institute of Technology und war ein einfacher mechanischer Analogrechner. 1931 entwickelte Bush daraus den in Maßen programmierbaren Differentialanalysator.
Zu Beginn des Jahres 1928 veränderte sich Televox. Die kleine Relaisbox verschwand, und um den zentralen Kasten herum wurde eine humanoide Figur montiert. Das Bild unten zeigt die kantigen Umrisse von Kopf und Körper und die aufgemalten Schrauben. Die Premiere des Modells erfolgte am 22. Februar 1928 oder kurz danach, denn das war der Geburtstag von George Washington. Links im Foto sieht man, wie Televox das Sternenbanner über einem Porträt des ersten US-Präsidenten hält.
Bis Jahresende entstanden weitere Versionen des Televox-Mannes, die auch auf Tournee gingen. Wir sehen eine im Eingangsbild neben Roy Wensley. Auf diesem Foto steht sie ganz hinten und feiert den ersten Geburtstag. Wensley sitzt rechts am Tisch und spricht, pfeift oder singt ein Kommando in das Telefon. Inzwischen drückte sich Herbert Televox, wie er manchmal genannt wurde, etwas gewählter aus als bei der Premiere im Oktober 1927. Dank einer Tonfilm-Apparatur sprach er vollständige Sätze ins Telefon.
Die Bilder, Berichte und Vorführungen lösten den ersten Roboterhype der Technikgeschichte aus. Televox wurde als künstliche Intelligenz gefeiert. Die rührige Presseabteilung von Westinghouse organisierte immer neue Fototermine. Der Maschinenmann besuchte den New Yorker Oberbürgermeister Jimmy Walker – man beachte die Flöte – und ein Damenkränzchen, um Bridge zu spielen. Hier zieht er an einer Zigarre und hier lässt er sich nur anhimmeln.
Televox wurde auch in Europa bekannt, allerdings kritisch gesehen. „Das Neue Universum“ schilderte das System 1929 ziemlich detailliert, meinte jedoch am Schluss: „Alles in allem muß man also sagen, daß die [sic] Televox zwar physikalisch hochinteressant ist, aber doch Umwege einschlägt, die sich nicht gut rechtfertigen lassen.“ Das Jahrbuch lobte stattdessen das ferngesteuerte und automatisch dampfende Schlachtschiff Zähringen, welches die Reichsmarine für Schießübungen verwendete.
„Der Freidenker“ aus der Schweiz schrieb 1928: „Televox ist ein Automat von hohem Grade der Vollendung; gleichzeitig aber erscheint er als düsteres Menetekel, das warnend über dem Horizont der Kultur auftaucht… Die Folge einer unter diesem Wappen fortschreitenden Mechanisierung der Arbeit muss aber die allmähliche Verdrängung des arbeitenden Menschen sein, die dieser nichtsahnend und ohnmächtig selbst vorbereitet.“ Die Zeitung schloss mit dem altrömischen Gladiatorenspruch: „Ave, Televox, morituri te salutant!“
Ganz so schlimm wurde es dann nicht. 1929 besuchte der englische Roboter Eric die USA und zeigte, wie ein Maschinenmensch wirklich aussieht. In unserem Blog haben wir von ihm erzählt. Im Jahr 1931 brachte Westinghouse den stationären Roboter Willie Vocalite heraus. 1939 folgte der mobile und sprachbegabte Elektro, der auf der New Yorker Weltausstellung zum Star wurde. Auch über ihn haben wir im Blog berichtet. Televox gehörte zu diesem Zeitpunkt längst zum alten Eisen.
Roy Wensley verließ Westinghouse um 1930. In diesem Jahr nahm er wahrscheinlich an der Weltkraftkonferenz in Berlin teil. Ein Referat von ihm und einem zweiten Autor steht im Vortragsband der Tagung. Was weiter aus ihm wurde, wissen wir leider nicht. Sein letztes Patent meldete er 1949 an. Die Erfindung des Akustikkopplers – denn ein solcher war Televox im Ansatz – macht ihn aber zu einem unbesungenen Helden der IT-Geschichte.