Joseph Weizenbaum (1923-2008)
Geschrieben am 06.01.2023 von HNF
Am 8. Januar 1923 wurde Joseph Weizenbaum in Berlin geboren. 1936 emigrierte er mit der Familie in die USA. Dort studierte er Mathematik und arbeitete in der IT-Industrie; ab 1963 lehrte er am MIT. Sein Programm ELIZA war 1966 der erste Chatbot. Später attackierte er in Wort und Schrift den Computerglauben und die Künstliche Intelligenz.
Wenn man mit der Rolltreppe ins zweite Obergeschoss des HNF fährt und nach rechts geht, dann läuft man auf die Multimedia-Installation Wall of Fame zu. Sie zeigt rund 150 Digital-Pioniere aus jüngerer Zeit, darunter auch Philosophen. Wir treffen dort den kanadischen Medienforscher Marshall McLuhan und die deutschen Akademiker Max Bense und Gotthard Günther. Die Nummer Eins unter den Geistesgrößen ist aber ein deutsch-amerikanischer Informatiker, der vor hundert Jahren zur Welt kam.
Joseph Weizenbaum wurde am 8. Januar 1923 als Sohn eines Kürschnermeisters in Berlin geboren. Wegen der problematischen Beziehung zum Vater verlebte er eine schwierige Kindheit. Anfang 1936 emigrierte die jüdische Familie ins amerikanische Detroit. 1941 schrieb sich Weizenbaum in der ortsansässigen Wayne-Universität ein, zog dann aber als Meteorologe in den Krieg. Nach 1945 setzte er sein Mathematikstudium fort; dabei lernte er auch den Analogrechner kennen, der die Keimzelle des Computerlabors der Hochschule bildete.
In den frühen 1950er-Jahren assistierte Joseph Weizenbaum dem Computerpionier Harry Huskey. Die beiden entwickelten in der Wayne-Universität den Rechner Bendix G-15, eines der ersten kleineren Elektronengehirne. Ab 1955 arbeitete Weizenbaum für die Firma General Electric in Kalifornien. Dort befasste er sich vor allem mit dem Banksystem ERMA. 1963 erhielt er eine Dozentenstelle im Massachusetts Institute of Technology, von 1969 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1988 lehrte er als Informatikprofessor.
1966 schuf er sein bekanntestes technisches Werk, die Software ELIZA mit dem Programm DOCTOR. Es führte mit einem Menschen am Fernschreiber einen psychologischen Dialog; man kann ihn hier und hier nachspielen, es gibt sicher noch mehr Adressen. Inzwischen werden solche Programme Chatbots genannt. Joseph Weizenbaum sah mit Schrecken, dass manche ELIZA-Nutzer das Programm sehr ernst nahmen und ihm die innersten Geheimnisse anvertrauten. Das Phänomen führte ihn auf den Weg zum Gesellschaftskritiker.
Im Januar 1972 veröffentlichte die ZEIT seinen Artikel Alptraum Computer, eine Warnung vor übermäßigem Vertrauen in die EDV. 1974 und 1975 nahm sich Weizenbaum eine Auszeit vom Vorlesungsbetrieb und brachte das Buch „Computer Power and Human Reason“ zu Papier. Es erschien im Frühjahr 1976 in den USA; wer sich beim Internet Archive anmeldet, kann es hier oder hier lesen. Die deutsche Ausgabe „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ folgte 1977. Danach veröffentlichte Weizenbaum nur noch Aufsätze, Reden und Gespräche und keine weitere Monographie.
„Die Macht der Computer“ ist ein essayistisches Werk, das unter anderem Hacker, Turing-Maschinen, Computermodelle und den Imperialismus der instrumentellen Vernunft behandelt. Den größten Block bildet die Künstliche Intelligenz, damit meinte Joseph Weizenbaum die regelgestützte KI seiner Zeit. Einige Programme wurden von ihm gelobt, so das Expertensystem Dendral oder die Mathematiksoftware Macsyma; die meisten hielt er für Stückwerk. Große Probleme hatte er mit der Sprachverarbeitung. Von Computern in Schulen hielt Weizenbaum wenig, wichtiger erschien ihm das Lehren der Sprache .
Seine Botschaft lautete: Mensch und Computer sind grundverschieden. Viele Aspekte unserer Welt können Elektronenrechner nicht erfassen, und unsere Sprache bleibt ihnen fremd. Außerdem zitierte Weizenbaum den Dramatikers Eugène Ionesco: „Man kann vieles mit Worten ausdrücken, nur nicht die lebendige Wahrheit.“ Längere Rezensionen verfassten der amerikanische KI-Forscher John McCarthy, ein Anonymus vom Geheimdienst NSA (ab PDF-Seite 15) und der Bochumer Informatikprofessor Hermann Flessner. Lesenswert und detailliert ist die Besprechung des Technikphilosophen Klaus Kornwachs von 2009.
„Die Macht der Computer“ bescherte Joseph Weizenbaum 1978 einen Fernsehauftritt, seine Thesen konterte direkt danach der britische Wissenschaftler Donald Michie. Das Buch machte Weizenbaum zum Außenseiter in der amerikanischen KI-Szene, umso freundlicher war die Aufnahme im deutschen Sprachraum. Er blieb jedoch ein Einzelkämpfer und hatte keine Schüler-Gemeinde. Ein Austausch mit einem Computer-Fan, dem Informatiker und Buchautor Klaus Haefner, fand nur einmal in einer SPIEGEL-Diskussion statt.
1996 zog Weizenbaum in seine Geburtsstadt Berlin; in den 2000er-Jahren reiste er trotz angeschlagener Gesundheit durchs Land und hielt viele Vorträge wie auch 2005 im HNF. In München sprach er 2007 zum Thema KI – Vision und Wirklichkeit. Ein Jahr vorher erlebte der Film Weizenbaum. Rebel at Work des Teams Il Mare Film die Premiere. Daraus stammt auch unser Eingangsbild. Anfang 2008 brachte die „Süddeutsche Zeitung“ den Artikel Wir gegen die Gier, in dem er seine Philosophie knapp zusammenfasste. Joseph Weizenbaum starb am 5. März 2008 in Gröben bei Berlin; sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee.
Zu Lebzeiten dachte Weizenbaum nur über programmierbare Künstliche Intelligenz nach, zum maschinellen Lernen äußerte er sich nicht. Heute können Computer wie Menschen formulieren, oder schlimmer, wir Menschen drücken uns so aus wie es Maschinen tun, und wir erlernen die Sprache ganz ähnlich durch Zuhören und Imitieren. Was hätte Joseph Weizenbaum dazu gesagt? Vielleicht Folgendes: Computer beherrschen unsere Sprache, aber sie fragen nicht, sie kritisieren nicht, sie entdecken nicht, und sie haben weder ein Bewusstsein noch eine Welt um sich herum. Sie sind eben doch anders als wir.
Noch ein Hinweis: am Dienstag, dem 10. Februar, findet im Berliner Weizenbaum-Institut ein Festakt zum 100. Geburtstag des Denkers statt. Er wird hier live übertragen.