Künstliche Intelligenz: Es begann in Bonn

Geschrieben am 06.03.2020 von

Über schlaue Computer machte sich schon Konrad Zuse nach Kriegsende Gedanken. 1960 erfand der Physiker Karl Steinbuch die Lernmatrix, ein frühes neuronales Netz. Andere deutsche Wissenschaftler schrieben erste Programme mit Künstlicher Intelligenz. Einige von ihnen kamen im Februar 1975 in der Universität Bonn zusammen. Mit ihren Diskussionen und Beschlüssen begann die Organisierung der deutschen KI-Forschung.

„Zusammenfassung: Am 18. Februar 1975 fand in Bonn ein erstes informelles Treffen unter dem Thema ‚Künstliche Intelligenz‘ statt. Neben Fachvorträgen wurde die Frage einer Institutionalisierung der Künstliche-Intelligenz-Forschung in der BRD aufgeworfen und diskutiert. Dieses Heft enthält Referate, die auf diesem Treffen gehalten wurden, und die Beschreibung einiger Forschungsvorhaben an deutschen Universitäten.“

So beginnt die Sechzig-Seiten-Broschüre „Künstliche-Intelligenz-Forschung in der BRD“. Sie wurde im April 1975 vom Institut für Informatik der Universität Bonn herausgebracht und enthält sieben Referate von Wissenschaftlern, die in jenem Gebiet tätig waren. Wie die Zusammenfassung andeutet, kamen sie im Februar des Jahres zusammen, vermutlich in der Bonner Wegelerstraße, wie auf Google Street View zu sehen. Man traf sich entweder im Hochhaus rechts oder im alten Mathematischen Institut auf der linken Seite.

Organisiert hatte die Tagung Gerd Veenker, Professor für Informatik und angewandte Mathematik. Geboren 1936 in Lüneburg, studierte er Mathematik und Physik in Hamburg, München und Tübingen. Die schwäbische Universität verfügte über einen Transistorrechner vom Typ Siemens 2002; damit erstellte Veenker die wohl ersten deutschen KI-Programme. Sie bewiesen allgemeingültige Sätze der Aussagen- und der Prädikatenlogik. Hierfür gab es 1963 das Diplom und 1967 den Doktor. Er schuf auch ein Programm für Endspiele im Schach.

Gerd Veenkers erste Veröffentlichung stand 1963 in den „Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft“. Im Autorennamen fehlte ein „e“.

In den 1960er-Jahren erwachte in der Bundesrepublik die Künstliche Intelligenz, wobei man die Kybernetik hinzufügen muss. 1960 erfand der in Karlsruhe lehrende Karl Steinbuch die Lernmatrix, ein neuronales Netz mit analoger Elektronik. 1965 zeigten Georg Nees und Frieder Nake in Stuttgart von Computern erzeugte Grafiken. Im Deutschen Rechenzentrum Darmstadt ließ Gerhard Stickel eine IBM 7090 Gedichte schreiben. In Erlangen beherrschte 1969 ein Computer das japanische Brettspiel Gomoku, einen Vorläufer von „Vier gewinnt“.

Von den Vorträgen, die 1975 auf der Tagung in Bonn gehalten wurden, befassten sich drei mit Deduktions- oder Beweisverfahren und einer mit Mustererkennung beim Schachspiel. Die Tagungsbroschüre brachte außerdem Überblicke über die KI-Aktivitäten in den Unis Stuttgart, Karlsruhe und Bonn. Primär wurde auf dem Gebiet der symbolischen Künstlichen Intelligenz geforscht, also zu Dialog-, Lösungs- und Beweissystemen. Der Sprecher aus Karlsruhe arbeitete nicht bei Karl Steinbuch, sondern vertrat das Institut für Informatik I.

Neben den KI-Themen wurde die Frage der Institutionalisierung diskutiert. Gerd Veenker nannte im Vorwort des Konferenzhefts drei mögliche Wege: Anschluss an die Gesellschaft für Informatik GI, Verknüpfung mit der Association for Computing Machinery ACM oder eine eigene Organisation. Die Forscher entschieden noch nichts, setzten aber für den 7. Oktober 1975 das nächste Treffen an; das war direkt vor der GI-Jahrestagung in Dortmund. Schon im Mai versandte der Hamburger Informatikprofessor Hans-Hellmut Nagel einen ersten Rundbrief an die KI-Gemeinde.

So studierte man 1975 Künstliche Intelligenz: zwei Belegungszettel mit Vorlesungen von Gerd Veenker in der obersten Zeile.

Im Juli 1975 genehmigte das Präsidium der Gesellschaft für Informatik eine Fachgruppe für Künstliche Intelligenz. Der Rundbrief Nr. 2 mit der guten Nachricht ist leider nur schwer zu lesen. Am Meeting der Gruppe in Dortmund nahmen 51 Interessenten teil, die ein Dutzend Vorträge hörten. Für die Zukunft vereinbarten sie Tagungen und Workshops. In seinem Resümee schrieb Gerd Veenker: „Damit kann dann die Aufbauphase der Organisation der Künstlichen Intelligenz Forschung in der BRD als abgeschlossen betrachtet werden.“

Jene Forschung erlebte nun einen ziemlichen Aufschwung. In den 1980er-Jahren folgte eine echte KI-Begeisterung unter dem Zeichen von Expertensystemen und Fünfter Generation. Die GI-Fachgruppe wurde zum Fachausschuss und 1989 zu einem Fachbereich erhoben. Inzwischen kamen ein Interdisziplinäres Kolleg und zehn weitere Fachgruppen hinzu. 1983 fand in Karlsruhe die achte International Joint Conference on Artificial Intelligence statt. Sie blieb die einzige Tagung dieser Art in Deutschland.

Das Informatik-Institut der Uni Bonn hat heute eine Abteilung für  Informationssysteme und Künstliche Intelligenz. Sie erkundet auch neuere Felder wie das maschinelle Lernen. Die alten KI-Rundbriefe bis 1987 liegen hier, und dieser Link führt uns in die Jahre zurück, als die KI-Forscher noch die „Schmuddelkinder“ der Informatik waren. An Gerd Veenker, der 1996 viel zu früh starb, erinnert ein langer Artikel von Professor Wolfgang Bibel. Ihm und seinem KI-Kollegen Professor Joachim Hertzberg danken wir für hilfreiche Hinweise und Dateien.

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2 Kommentare auf “Künstliche Intelligenz: Es begann in Bonn”

  1. Rudolf Seising sagt:

    Vielen Dank für diesen Artikel!

  2. Helmut Wiertalla sagt:

    Auszug aus der ehemaliger Hochschullehrer dem Informatik Fachbereich, UNI Hamburg:

    Prof. Dr. Hans-Helmut Nagel
    KOGS
    01.10.71-23.03.83, danach Uni Karlsruhe, emeritiert

    Ich erinnere mich an meine Zeit beim Informatik Fachbereich Arbeitsbereich, ANT – Anwendungen der Informatik in Naturwiss. und Technik – ( damals in der Schlüterstraße / Grindelhof) der UNI HH.
    Die Arbeitsräume (Kognitive Systeme) von Dr. Nagel waren mit vielen Minirechner (Prozessrechner) mit Kamerasysteme und Grafische Displays voll gestopft.

    Arbeitsbereich KOGS:
    Bildversteigerungen, Wissensverarbeitung, Künstliche Intelligenz.

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