Malen nach Zahlen vom Mars
Geschrieben am 14.07.2015 von HNF
Vor 50 Jahren, in der Nacht des 14. zum 15. Juli 1965, flog die NASA-Raumsonde Mariner 4 am Mars vorbei und funkte 21 Digitalfotos zur Erde, die ersten Nahaufnahmen des fernen Planeten. Nach dem Empfang der Daten erstellten die NASA-Forscher das erste Bild in Handarbeit, indem sie die Binärzahlen auf einem Papierbogen in Farben umwandelten.
Kein anderer Planet hat die Menschen so fasziniert wie der Mars. Nachdem der Astronom Giovanni Schiaparelli 1877 „Kanäle“ auf seiner Oberfläche zu sehen glaubte, entstand schnell die These von intelligenten Marsbewohnern. Noch 1962 legte die US Air Force eine Mars-Karte mit einem Netz gerader Streifen vor. Deshalb warteten die Experten gespannt auf den Start der NASA-Sonden Mariner 3 und Mariner 4 zwei Jahre später, die den Roten Planeten aus nächster Nähe fotografieren sollten.
Am 5. November 1964 hob auf dem Startplatz Cape Canaveral (der damals Cape Kennedy hieß) zunächst Mariner 3 an der Spitze einer Atlas-Agena-Rakete ab. Leider blieb die Sonde in ihrer Schutzhülle stecken und musste aufgegeben werden. Besser erging es dem Schwesterschiff Mariner 4. Nach dem Start am 24. November schlug das 260 Kilo schwere Raumfahrzeug den Kurs auf den Mars ein und flog nach knapp acht Monaten in einem minimalen Abstand von 9.846 Kilometer an ihm vorbei.
Am 14. Juli 1965 abends, ab 19:18 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit, nahm die Kamera der Sonde, die auf einer Vidicon-Röhre basierte, alle 48 Sekunden ein Schwarzweiß-Foto des Roten Planeten auf. So entstanden 21 Bilder mit 200 x 200 Pixeln und einer mittleren Auflösung von 3 x 3 Kilometern Marsoberfläche pro Pixel. Der Grauwert jedes Pixels wurden mit 6 bit codiert und als Dualzahl zwischen 0 und 63 auf einem kleinen Magnetbandgerät gespeichert.
Am folgenden Tag begann Mariner 4 mit dem Senden der Zahlen zur Erde, was für ein Foto rund acht Stunden dauerte. Erst danach konnte ein Computer die jeweils 40.000 Pixelwerte als „lesbares“ Bild ausdrucken, was aber auch eine Weile dauerte. Das Mariner-Team der NASA, das voller Ungeduld im berühmten Jet Propulsion Laboratory JPL in Kalifornien saß, wollte so lange nicht warten und verfiel – zumindest beim allerersten Bild – auf eine ganz andere Lösung.
Die Männer klebten Papierstreifen mit den von Mariner 4 zur Erde gefunkten Zahlen aneinander und malten jedes Zahlenfeld mit farbigen Pastellstiften aus, deren Helligkeitswert ungefähr der binär codierten Graustufe entsprach. Die so kolorierten 200 x 200 Felder lieferten ein Falschfarbenbild der Marsoberfläche, das wie ein Gummituch in die Breite gezogen war, aber einen ersten Eindruck der fremden Welt vermittelte. Der Experte fragt sich natürlich, warum man nicht Kohlestifte nahm, doch sollen diese im örtlichen Schreibwarenladen gerade ausverkauft gewesen sein.
Als die Messresultate und Fotos von Mariner 4 im August 1965 komplett vorlagen, brachten sie den Planetenforscher viele neue Erkenntnissen. Die wichtigste war zweifellos, dass der Mars ausgeprägte Krater besitzt und wegen seiner dünnen Atmosphäre höchstwahrscheinlich kein Leben beherbergt. Die Marsmenschen waren damit ad acta gelegt. Marskanäle konnte die NASA-Raumsonde auch keine entdecken. Nach dem Vorbeiflug hielt die NASA noch zwei Jahre lang Funkkontakt zu Mariner 4 und empfing unter anderem Informationen über Mikrometeoriten.
In den 50 Jahren, die seit dem Flug von Mariner 4 vergingen, entwickelte sich die Bildaufnahme- und Bildübertragungstechnik in einem atemberaubenden Tempo weiter, nicht zuletzt wegen der immer leistungsfähigeren digitalen Elektronik. Unter den Kameras, die den Mars von Raumsonden aus ablichten, befindet sich mit der High Resolution Stereo Camera HRSC auch ein deutsches Produkt. Seit 1976 setzte die NASA sieben Marssonden auf der Oberfläche ab, von denen vier fahrbare Roboter zum Erkunden der Nachbarschaft mitbrachten.
Damit ist der Mars der am besten erforschte Planet außerhalb der Erde. Die Digitaltechnik revolutionierte aber auch die Marserkundung von der Erde aus, was man an wunderschönen professionellen und Amateur-Aufnahmen erkennt. Wir können also absolut sicher sein, dass es keine Marsianer-Familien gibt, die zum Picknick an den nächsten Marskanal fahren. Es folgen noch drei Bilddokumente der NASA zum „Malen nach Zahlen“ anno 1965, ein weiterer Schnappschuss aus dem JPL leitet unseren Text ein.