Nikolaus Joachim Lehmann (1921-1998)

Geschrieben am 15.03.2021 von

Nördlich von Bautzen wird bis heute die sorbische Sprache gesprochen; in der Region liegt das Dorf Camina. Dort kam am 15. März 1921 Nikolaus Joachim Lehmann zur Welt. Der promovierte Mathematiker war von 1953 bis 1986 Professor an der Technischen Universität Dresden. Er entwickelte den ersten Elektronenrechner der DDR und außerdem den wegweisenden Minicomputer D4a.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden Computer nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR. Wir haben es schon im Blog beschrieben. Der bedeutendste Informatiker im sozialistischen Deutschland war der am 15. März 1921 in Camina geborene Nikolaus Joachim Lehmann. Das Dorf Camina liegt in der Oberlausitz im sorbischen Sprachgebiet;  auch der Vater von Lehmann, ein Sägewerkbesitzer, gehörte der Volksgruppe an.

Als Junge besuchte Lehmann das Gymnasium in Bautzen, später studierte er Mathematik und Physik an der Technischen Hochschule in Dresden. 1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen; wegen seines Bluthochdrucks musste er aber nicht an die Front, sondern konnte das Studium fortsetzen. Seine physikalische Diplomarbeit verbrannte beim Luftangriff auf Dresden im Februar 1945. Im Herbst 1946 erhielt er sein Mathematik-Diplom und wurde Assistent von Friedrich Willers, der 1926 ein Buch über analoge Rechengeräte verfasst hatte. 1948 promovierte Lehmann im Fach Angewandte Mathematik.

N. Joachim Lehmann im Jahr 1968. (Foto Dr. Wolfgang Nicht CC BY-SA 3.0 unten beschnitten)

Im selben Jahr las er einen Artikel über das Elektronenhirn ENIAC. Sein Physikstudium brachte ihn auf den Gedanken, dass man auch mit einer rotierenden und magnetisierbaren Trommel einen Rechner bauen könnte. Er führte Tests mit einem Tonbandgerät durch, das den Krieg und die sowjetische Demontage überlebt hatte. 1949 war ein Entwurf für ein elektronisches Rechen- und Speicherwerk mit einer Magnettrommel fertig. Lehmann erfuhr auch von dem ganz ähnlichen Konzept, das Heinz Billing in Göttingen erstellte.

Zusammen mit dem Funkwerk Dresden und etwas Geld vom Staat schuf Lehmann den ersten Elektronenrechner der DDR. 1956 wurde die D1 im Obergeschoss des Mathematikgebäudes der Hochschule aufgestellt; ein Jahr später ging sie in Dienst. Der Computer enthielt 760 Röhren und bewältigte 100 Operationen pro Sekunde; der Speicher fasste 2.048 Worte zu 72 Bit, also gut achtzehn Kilobyte. Ein zweites Exemplar erhielt das Funkwerk Dresden. 1959 war die Nachfolgerin D2 mit 1.400 Elektronenröhren fertig.

Magnettrommel des Computers D1, ausgestellt in der Technischen Universität Dresden

Nach seiner Habilitation wurde Nikolaus Joachim Lehmann im Jahr 1953 Professor für Angewandte Mathematik. Ab dem 1. September 1956 leitete er das neue Institut für Maschinelle Rechentechnik. Das IMR war nach dem Institut für Praktische Mathematik in Darmstadt die zweite deutsche Forschungsstätte, die sich mit Rechengeräten befasste. In den späten 1950er-Jahren entstanden neben den digitalen Computern zwei elektrische Analogrechner und ein didaktisches Gerät zum Erklären der Von-Neumann-Architektur.

Von 1959 bis 1963 entwickelte Lehmann den D4a. Der nur 60 x 45 x 42 Zentimeter messende Computer enthielt 200 Transistoren, 1.500 Dioden und eine Magnettrommel. Es wurden bloß ein Dutzend Exemplare gebaut, doch diente der D4a als Grundlage der Prozessrechner PR 1000 und PR 2000 und des Bürosystems Cellatron 8205. Von ihm wurden rund 3.000 Stück gefertigt. 1968 verlor das IMR seine Selbstständigkeit, und Lehmann wurde Direktor des Bereichs Mathematische Kybernetik und Rechentechnik.

Das „Blaue Wunder“ des HNF: der Dresdner Minirechner D4a

In den 1970er-Jahren schuf ein Team unter seiner Leitung einen computergrafischen Arbeitsplatz; dabei griff man auf ein ungarisches Display und einen DDR-Rechner zurück. 1978 stellte Lehmann eine Sammlung historischer Rechenmaschinen zusammen. Anlass war der 150. Geburtstag der Technischen Universität Dresden und der Beginn der deutschen Rechenmaschinenproduktion 100 Jahre zuvor. In den Achtzigern widmete sich Lehmann der Leibnizschen Rechenmaschine; es gelang ihm eine funktionsfähige Rekonstruktion. 1986 wurde er emeritiert.

In seiner aktiven Zeit durfte er, obwohl kein SED-Mitglied, in den Westen reisen; so nahm er 1955 an der Tagung zu elektronischen Rechenmaschinen in Darmstadt teil. Er war auch mit Konrad Zuse befreundet; bekanntlich verlebte Zuse seine Jugend in Hoyerswerda, das 25 Kilometer von Lehmanns Geburtsort entfernt liegt. Nikolaus Joachim Lehmann starb am 27. Juni 1998 in Dresden; den Nachlass verwahrt das Deutsche Museum. Unser Eingangsbild zeigt Lehmann 1991 auf der Computermesse SYSTEMS in München; rechts von ihm sitzen Heinz Billing und Konrad Zuse.

Das HNF besitzt auch ein Modell der Vierspezies- Rechenmaschine von Leibniz, das nach Plänen von N. Joachim Lehmann entstand.

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3 Kommentare auf “Nikolaus Joachim Lehmann (1921-1998)”

  1. Die Digital Geschichte ist inzwischen soweit, dass Debatten über „erste Computer“ überwunden sind, Weil der Erkenntnisgewinn eher gering ist. im Mittelpunkt steht inzwischen deren Anwendung, dir im Blog auch schon bereits mehrfach angesprochen wurde. Trotzdem möchte ich nachfragen, ob denn nicht die Oprema In Jena der „erste“ Computer der DDR war? Zwar arbeitete sie mit Relais statt mit Vakuum Röhren, aber das war ja bei der Z3 von Zuse ebenfalls nicht anders.

    1. HNF sagt:

      Im dritten Absatz des Textes findet sich genau dieser Hinweis auf die Oprema.

  2. Lehmann verbrachte wegen chronischer körperlichen Beschwerden die in Dresden eher schwüle Sommerzeit in seinem Ferienhaus im Baltikum.

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