Rechenmaschine mit Kügelchen
Geschrieben am 19.02.2021 von HNF
Gottfried Wilhelm Leibniz war einer der letzten Universalgelehrten; er betätigte sich auch in der Mathematik. Er erfand die Infinitesimalrechnung, baute Rechenmaschinen zum Multiplizieren und Dividieren und skizzierte ein Rechengerät für die Dualzahlen. Nach seinem Entwurf entstanden in unserer Zeit mehrere funktionsfähige Modelle. Das letzte erstellte das Arithmeum in Bonn. Wir haben es uns einmal angeschaut.
Gottfried Wilhelm Leibniz sollte den Lesern unseres Blogs bekannt sein. Der 1646 in Leipzig geborene und 1716 in Hannover verstorbene Gelehrte begründete die moderne Mathematik wie die mechanische Rechentechnik. Ihm kam die grundlegende Idee, eine Multiplikation durch Speichern eines Faktors und mit wiederholten Additionen und Stellenverschiebungen zu realisieren. Seine Rechenmaschinen waren im Prinzip funktionsfähig.
Leibniz befasste sich ebenso mit Dualzahlen. 1679 beschrieb er auf Latein das Rechnen mit 0 und 1 und das Prinzip einer binären Rechenmaschine. Sein Manuskript De Progressione Dyadica wurde 1966 auf Deutsch veröffentlicht. 1972 setzte der Wissenschaftshistoriker Ludolf von Mackensen das Leibnizsche Konzept in ein funktionsfähiges Modell um; eine andere Rekonstruktion entstand 2004 in Hannover. Der Deutschkanadier Matthias Wandel baute nach eigenen Ideen einen binären Addierer, mit dem man auch multiplizieren kann. Wir haben alle diese Maschinen im Blog geschildert.
Eine weitere Realisierung des binären Rechenapparats von Leibniz verdanken wir dem Arithmeum, dem Museum für Rechentechnik in Bonn. Seine Leibniz-Maschine ist im Eingangsbild und im Foto oben zu sehen. Man erkennt rechts den Kasten mit den kleinen Kugeln; sie rollen der Schwerkraft gemäß nach unten und füllen stets die zentrale Rinne. Neben der Rinne sitzen dreizehn Hebel. Jeder Hebel stößt eine Kugel aus der Rinne auf die benachbarte Treppe. Eine Treppenstufe kippt nach unten, wenn zwei Kugeln darauf rollen.
Das Prinzip ist klar: Die Kugeln auf der Treppe verkörpern die Einsen einer Dualzahl. Oben steht die erste Dualstelle, eine Stufe tiefer folgt die nächste und so weiter. Wenn man nur die Hebel betätigt, fungiert die Maschine als Addierer. Zunächst setzt man die Kugeln des ersten Summanden auf die Stufen. Danach wird Stelle um Stelle der zweite hinzugefügt. Gelangt eine Kugel auf eine Stufe, auf der schon eine Kugel liegt, dann kippt die Stufe. Eine Kugel rollt ganz heraus, die zweite kullert eine Treppenstufe weiter nach unten.
Auf diesem Weg bewältigt unsere Maschine den Übertrag. Am Ende enthält die Treppe das Ergebnis der Addition in Kugelform. Wie bringt man das Gerät aber zum Multiplizieren? Nehmen wir als Beispiel die Aufgabe 5 x 3. Mit Dualzahlen geschrieben lautet sie 101 x 11. Mit unserem Gerät wird sie wie folgt gelöst: Man gibt die 11 ein, schiebt also zwei Kugeln auf die obersten Treppenstufen. Es folgen zwei Stellenverschiebungen: Man geht zwei Stufen hinunter und wiederholt die Aktion. Das Resultat ist binär 1111 oder dezimal 15.
Für solche Aufgaben besitzt der Arithmeum-Rechner eine ingeniöse Vorrichtung. Neben der Hebelreihe ist eine Stange angebracht, auf der man einen Schlitten hin- und her bewegen kann. Er trägt eine kurze Stange mit sechs Öffnungen für flache Stäbe. Im Eingangsbild ist sie am Handgriff erkennbar. Die Stangen lassen sich hochklappen, und wenn in einer der Öffnungen ein Stab steckt, dann wird der benachbarte Hebel nach vorn gedrückt. Man kann sich denken, was passiert: Der Hebel befördert eine Kugel von der Rinne auf die Treppe.
Das Foto oben zeigt den Vorgang. Die Stange auf dem Schlitten trägt zwei Stäbe, die auf die obersten Hebel wirken, und zwei Kugeln rollen auf die ersten beiden Treppenstufen. Das entspricht der binären 11. Anschließend schiebt der Bediener den Schlitten zwei Positionen abwärts und klappt die Stangen erneut hoch. Wieder kullern zwei Kugeln; nunmehr sind die ersten vier Stufen besetzt. In Dualzahlen ausgedrückt kommen wir zum Endergebnis 1111. Es sei angemerkt, dass es bei unserer Rechnung keinen Übertrag gab. Sollten einmal Überträge auftreten, werden sie wie bei der Addition behandelt.
So arbeitet also die binäre Leibniz-Maschine in Bonn. Über die dezimalen Rechengeräte des Gelehrten berichtet wir schon 2016 im Blog. Das HNF besitzt leider keine Leibniz-Hardware, doch einen Nachbau der einzigen erhaltenen Rechenmaschine. Er geht auf den Dresdener Computerpionier Nikolaus Joachim Lehmann zurück und ist unten abgebildet. Die Fotos der Bonner Leibniz-Maschine nahm HNF-Geschäftsführer Dr. Jochen Viehoff auf.