Rechnen mit Rädern, Walzen und Zylindern

Geschrieben am 20.08.2024 von

Seit vierhundert Jahren gibt es den logarithmischen Rechenstab. Er führte Multiplikationen und Divisionen auf Additionen und Subtraktionen zurück und war das populärste analoge Instrument in der Mathematik. Im 19. Jahrhundert wurden Rechenräder, Rechenzylinder und Rechenwalzen erfunden. Sie entsprachen Rechenschiebern mit meterlangen Skalen. Das erste Gerät dieser Art kam aus Amerika; auch deutsche Firmen lieferten sie.

Erdacht hat ihn wie so vieles in der Mathematik Gottfried Wilhelm Leibniz. 1712 beschrieb er in einem Brief eine kleine Dose, die auf der Außenseite eine schraubenförmige Gravur mit einer logarithmisch unterteilten Skala trug. Dort sollte man mit einfachen Mitteln Strecken abgreifen und aneinanderfügen oder voneinander abziehen. Die Dose blieb unrealisiert, doch sie war das erste Beispiel für einen Rechenzylinder.

Der Rechenzylinder und die mit ihm verwandten Rechenräder und Rechenwalzen basieren auf dem logarithmischen Rechenstab. Dieser wandelt über seine Skalen Multiplikationen in Additionen und Divisionen in Subtraktionen um. Längere Skalen bringen bessere Resultate, und die Idee führte 1878 zum ersten realisierten Rechenzylinder. Fuller’s Spiral Slide Rule besaß eine Skala von 12,7 Metern; das lieferte eine Genauigkeit von fünf Stellen. Das Gerät maß mit Handgriff 43 Zentimeter, das Exemplar des HNF ist im Eingangsbild zu sehen.

Im Vergleich zum normalen Rechenstab fehlt eine Skala, doch der Zylinder machte das mit einem System von Zeigern wett. Sein Schöpfer George Fuller (1829-1907) lehrte an einer Technischen Hochschule in Belfast. Der Spiral-Rechenstab wurde von einer Firma in London produziert; bis 1973 verkaufte sie 14.000 Stück. Spätere Typen besaßen eine Skala für Sinus-Werte und für Logarithmen. In London entstand ebenfalls Otis King’s Patent Calculator. Der 15,2 Zentimeter lange Rechenzylinder ließ sich auf 25,8 Zentimeter auseinanderziehen, die Skala war 1,68 Meter lang. Es gab auch eine Version mit zwei Skalen.

Schon im Jahr 1869 erfand der Amerikaner Elizur Wright (1804-1885) ein Rechengerät, das er Arithmeter nannte. Wright lebte im Bundesstaat Massachusetts und war ein Pionier der Versicherungswirtschaft; er kämpfte außerdem für die Befreiung der Sklaven. Sein Gerät kostete 500 Dollar und richtete sich an Nutzer aus der Versicherungsbranche. Es umfasste zwei drehbare Zylinder, die auf einer gemeinsamen Achse saßen. Logarithmische Skalen in Ziffernform ringelten sich um die Oberflächen der Zylinder; jede hatte eine Länge von 18 Metern.

Der amerikanische Versicherungsexperte Elizur Wright erfand 1869 das erste praktikable logarithmische Rechengerät mit drehbaren Zylindern.

Die beiden Skalen entsprachen dem Rahmen und der Zunge eines Rechenstabs; beim Einstellen und Ablesen half eine fest montierte Leiste, die sich über die Breite des Geräts erstreckte. Die Idee der doppelten Skala finden wir auch im drehbaren Rechenschieber, für den der Stuttgarter Erfinder Angelo Beyerlen 1885 ein Patent erhielt. Ganz ähnliche Patente gingen in den 1920er-Jahren an die Firma A. W. Faber aus Stein bei Nürnberg und an Adolf Melber aus dem schwäbischen Reutlingen. Die deutsche Fachliteratur bezeichnet solche Apparate meist als Rechenräder.

Eine dritte Gattung sind die Rechenwalzen. Hier wird die logarithmische Skala aufgeteilt und in Längsrichtung auf die Oberfläche des Grundkörpers aufgetragen. Eine zweite Skala sitzt auf Stegen, die ein zylindrisches Gitter bilden. Der Grundkörper und das Gitter lassen sich zueinander verschieben. Klemens Krause vom Computermuseum Stuttgart zeigt es im Video ab Minute 4:30; das Gerät stammt von der Albert Nestler A.-G. aus Lahr. Erfunden hat die Rechenwalze 1881 der amerikanische Ingenieur Edwin Thacher (1839-1920); man sieht es der Konstruktion an, dass er vorher Brücken baute. Das ist die Gebrauchsanleitung.

1888 gründete der Seidenfabrikant Julius Billeter (1828-1914) in Zürich ein Unternehmen für Rechenwalzen; im 20. Jahrhundert gab es in der Schweiz die Marken National und Loga. Deutsche Hersteller waren ab den 1920er-Jahren Albert Nestler und die Firma Tröger aus Mylau im Vogtland, sie fertigte Walzen in kleiner Stückzahl bis in die 1960er-Jahre. Bis etwa 1950 wurden Rechenwalzen in den Devisenabteilungen von Banken benutzt. 2021 erschien ein Nestler-Modell in der Fernsehserie Bares für Rares, das mathematische Prinzip dahinter überforderte jedoch den Experten.

Das Streben nach immer längeren Logarithmus-Skalen wird hier umfassend dargestellt. Dieser mehrteilige Artikel konzentriert sich auf Rechenwalzen. und das ist eine kompakte Übersicht. Wir schließen mit einer Bilderstrecke zu Rechenrädern, Rechenzylindern und Rechenwalzen. Bitte zum Vergrößern auf das jeweilige Bild klicken!

Elizur Wrights Arithmeter vereinte zwei Trommeln mit gleichen logarithmischen Skalen. Das Gerät wurde ab 1869 in Boston hergestellt.

Der Rechenzylinder von George Fuller erschien 1878 in England. Diese Version aus den 1920er-Jahren besitzt zusätzliche Skalen. (Foto Thincat CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Das Gerät des Amerikaners Edwin Thacher war die erste Rechenwalze; das Modell im Foto ist aus dem Jahr 1884. (Foto Science Museum Group CC BY-NC-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Das Rechenrad von Angelo Beyerlen mit zwei drehbaren Skalen wurde 1893 angefertigt. (Foto Deutsches Museum CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Der Londoner Ingenieur Otis King schuf einen handlichen Rechenzylinder, der von 1922 bis 1972 im Handel war. Das Foto zeigt Modell K aus den 1960er-Jahren mit drei Zentimetern Durchmesser. (Foto Science Museum Group CC BY-NC-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Einen Otis-King-Calculator besitzt auch das HNF. Die weißen Ziffern auf schwarzem Grund deuten auf eine Fertigung in den 1920er-Jahren.

 

Von 1922 bis 1937 produzierte die Firma Nestler Rechenwalzen. Diese hat eine Skala von 12,5 Metern. (Foto Deutsches Museum/Christian Ferstl CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Feuer frei! Eine Schweizer Loga-Rechenwalze mit Gebrauchsanweisung für Artilleristen. (Foto ETH Zürich/Stephan Bösch CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Garantiert friedlich ist die Loga-Walze des HNF aus den 1920er-Jahren.

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3 Kommentare auf “Rechnen mit Rädern, Walzen und Zylindern”

  1. „Im Vergleich zum normalen Rechenstab fehlt eine Skala, doch der Zylinder machte das mit einem System von Zeigern wett. “
    Was heißt hier „normal“? Während der gesamten „Rechenschieberzeit“ gab es neben Geräten mit zwei gegeneinander verschiebbaren Skalen solche, die mit einer Skala und zwei Zeigern arbeiteten.
    Die allererste logarithmische Skala von Gunter war eine Einzelskala, die mit zwei Zirkelspitzen abgegriffen wurde. Dann erst wurden zwei Skalen gegeneinander verschoben.
    Auch die erste Rechenscheibe (Oughtred) war eine, bei der der Zirkel fest in der Mitte einer kreisförmigen Skala montiert war. Erst später erschienen Zwei-Skalen-Modelle. Bis in die 70-er Jahre gab es neben zwei-Skalen-Modellen (Tröger, Faber, Aristo, …) auch Zwei-Zeiger-Modelle (Fowler, Logomat, KL-1).
    Und auch bei den Zylindern kam zuerst die Fuller- und danach erst die Thacher-Walze auf den Markt. Und beide Systeme existierten bis zum Schluss.

    1. HNF sagt:

      Hierzu ein kurzer Hinweis auf einen anderen Blog-Artikel: https://blog.hnf.de/vierhundert-jahre-rechenschieber/

  2. Ole phat Stu sagt:

    Meine Kansas Freundin CopCar zeigt ihre Sammlung hier
    https://jelliclecat.typepad.com/cop_cars_beat/2018/02/sly-drool.html

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