Rekord in blau
Geschrieben am 13.07.2018 von HNF
Zweitausend Einheiten des Systems 650 fertigte IBM von 1953 bis 1962. Eine ganze Anzahl von ihnen entstand in der deutschen IBM-Fabrik in Böblingen. Der Röhrenrechner mit Trommelspeicher war der erste große Erfolg des IT-Konzerns im Computerbereich. Vor 65 Jahren wurde die IBM 650 bekannt gemacht; das erste Exemplar ging im Dezember 1954 an einen Kunden.
Da kommt der Technikgeschichtler ins Grübeln. Nach Angaben des Mathematikers und IBM-Managers Cuthbert Hurd wurde die IBM 650 am 2. Juli 1953 angekündigt, „jointly by Mr. T. V. Learson and myself“. Der erwähnte Vincent Learson war ein anderer Spitzenmanager. Dagegen spricht die historische Internetseite der Firma vom 14. Juli 1953; sie bringt sogar eine Pressemitteilung mit diesem Datum.
Was gilt also nun? Wir möchten die Frage offenlassen, doch einfach den späten Termin des Jubiläums feiern. Es betrifft die „IBM Magnetic Drum Data Processing Machine“, also die Datenverarbeitungsmaschine mit Magnettrommel. Das IBM-Pressebüro nannte sie eine elektronische dezimale Rechenanlage – im Original „calculator“ – und siedelte sie zwischen den aus den Medien bekannten Elektronengehirnen und der vertrauten Lochkartentechnik an. Ein Computer kommt im Pressetext nicht vor.
Die vor 65 Jahren angekündigte IBM 650 war jedoch einer. Sie zählte zur ersten Generation mit Verstärkerröhren und enthielt 2.200 von ihnen; dazu kamen noch 4.000 Dioden. Die namensgebende Magnettrommel diente als Arbeitsspeicher; diese Technik benutzte im Juni 1952 schon der erste deutsche Elektronenrechner, die Göttinger G1. Die von IBM-Ingenieur Frank Hamilton entwickelte IBM 650 war nicht der erste Computer der Firma; schon ab Ende 1952 wurde Modell 701 ausgeliefert. Die IBM 650 brachte aber richtig Geld in die Kasse.
Eine IBM 650 kostete pro Stück 182.000 Dollar; Universitäten zahlten nur 72.800 Dollar. Wer sie mietete, musste monatlich 3.250 Dollar entrichten. Dafür führte der Computer 78.000 Additionen oder 5.000 Multiplikationen pro Minute aus. Der Trommelspeicher fasste 2.000 Worte mit zehn Dezimalziffern plus Vorzeichen; spätere Versionen nahmen die doppelte Zahl auf. Zunächst verstand der Rechner nur die Maschinensprache, danach eine leichter zu beherrschende Assemblersprache. Ab 1957 konnte man mit Fortran programmieren.
Das erste lauffähige System erhielt eine Versicherung in Boston am 8. Dezember 1954. Im April 1956 operierten weltweit schon 230 Anlagen, darunter eine in der Allianz-Versicherung in München. Sie kam aus der IBM-Fabrik von Endicott im US-Bundesstaat New York, wo täglich eine IBM 650 entstand. Im gleichen Jahr startete die Fertigung der IBM Deutschland GmbH in Böblingen. Eine schwäbische IBM 650 erhielt 1957 der Rechentechnikpionier Alwin Walther für sein Institut in Darmstadt.
Als die Produktion des Computers 1962 endete, waren fast 2.000 Stück hergestellt worden. Der kommerzielle Erfolg der IBM 650 machte aus dem Marktführer der Lochkartentechnik die dominierende Firma im Computerfeld. Personell drückte sich der Wandel durch den Wechsel in der IBM-Spitze aus: Am 8. Mai 1956 ging der langjährige Direktor Thomas J. Watson in den Ruhestand, und sein Sohn Thomas J. Watson junior – ein Computerfreund und Förderer des 650-Projekts – übernahm das Ruder. Der alte Watson starb einen Monat später.
Unser Eingangsbild (Foto MUNCYT2 CC BY-SA 3.0) zeigt die Bedientafel eines Systems 650; der Rechner dazu steht im spanischen Wissenschafts- und Technikmuseum in La Coruña. Vielleicht erschien hier zum ersten Mal das kräftige Blau, das dann zur Hausfarbe der Firma wurde; das Armaturenbrett des Vorläufers IBM 701 war noch schwarz. Eine IBM 650 befindet sich auch im Deutschen Museum in München. Das HNF hat leider keine, dafür aber – siehe oben – eine sehr schöne und große Elektronenröhre.