Shakey der Roboter

Geschrieben am 23.07.2019 von

Vor fünfzig Jahren betraten die ersten Menschen den Mond. Zur gleichen Zeit arbeiteten Wissenschaftler auf der Erde an einer anderen Premiere. Im Stanford-Forschungsinstitut in Kalifornien machten sie den ersten intelligenten Roboter startklar. Er hieß Shakey und rollte auf vier Rädern durchs Labor; er sah die Welt mit einer Fernsehkamera. Gesteuert wurde er durch einen Computer.  

Die Geschichte des Roboters geht bis in die Antike zurück. Im 18. Jahrhundert erschien der berühmte Schachtürke; das HNF zeigt einen Nachbau. 1928 trat in England der metallene Eric auf, 1938 kam der Schweizer Sabor, 1939 folgte der US-Roboter Elektro. 1949 begann die Zeit der kybernetischen Automaten; sie endete in den 1970er-Jahren. Jene Automaten enthielten analoge Elektrotechnik, sie waren aber mobil und agierten selbstständig. Darüber hinaus gab es viele Science-Fiction- und Filmroboter.

Eine neue Ära der realen Robotik wurde Anfang 1965 eröffnet. Am 8. Januar 1965 schrieben der Ingenieurwissenschaftler Charles Rosen und zwei seiner Mitarbeiter einen Förderantrag; die drei saßen im Stanford-Forschungszentrum SRI im kalifornischen Palo Alto. Adressat war das Entwicklungsbüro RADC der US-Luftwaffe im Bundesstaat New York. Es betreute Projekte aus der Informations- und Kommunikationstechnik. Das Geld, das die RADC verteilte, stiftete die ARPA, der Forschungsagentur des Pentagon. Heute heißt sie DARPA.

Objekt des Antrags war ein intelligenter Automat zur Aufklärung – welcher Militär könnte dem widerstehen? Der Automat sollte aber nicht in den nächsten Krieg ziehen, sondern „nicht-triviale Missionen“ in der realen Welt ausführen, unterstützt von einem Computer. Das war das Neue: die Verbindung von Robotern und Digitalrechnern, vor allem solchen, die Programme der Künstlichen Intelligenz ausführten. Dieser Zweig der Informatik – wir erzählten es im Blog – wurde 1956 im amerikanischen Dartmouth College begründet.

Die SRI-Forscher erhielten mit einiger Verzögerung die erwünschten finanziellen Mittel; im März 1966 legten sie los. Projektleiter war der 1917 im kanadischen Montreal geborene Charles Rosen. Er studierte in New York und in Montreal Elektrotechnik; im Krieg war er Testpilot. Nach dem Erwerb des Masters 1950 arbeitete er in den USA für General Electric; parallel dazu machte er den Doktor. 1957 schloss er sich dem Stanford-Forschungszentrum an. In seiner Freizeit widmete er sich mit zwei SRI-Kollegen der Kunst des Weinbaus.

Roboter Shakey 1967 im Stanford-Forschungszentrum. (Foto SRI Intenational CC BY-SA 3.0)

1967 war die erste Version des Roboters fertig. Im Bild oben erkennt man den Aufbau. Die etwa ein Meter lange Plattform trägt vier Räder und den eckigen Rumpf; auf ihm sitzen ein Entfernungsmesser und die Fernsehkamera. Ganz oben ragt eine Antenne empor. An der Plattform befinden sich Drähte, die Berührungen mit einem Hindernis anzeigen. Die Räder an den Seiten werden durch zwei elektrische Schrittmotoren angetrieben; drehen sich die beiden Räder gegenläufig, schlägt der Roboter eine neue Richtung ein.

Mit seiner Antenne hielt er Kontakt zu einem nahen Computer; die Urversion des Roboters hatte noch einen Kabelanschluss. Charles Rosen und sein Team verwendeten zuerst einen Großrechnern SDS 940 der Firma Scientific Data Systems. Später trat an seine Stelle eine PDP-10 der Digital Equipment Corporation. Kern der Software war das System STRIPS, der Stanford Research Institute Problem Solver. Er konnte Befehle aufschlüsseln und ausführen, die sich an der Prädikatenlogik orientierten.

Der Roboter konnte außerdem die aufgenommenen Fernsehbilder analysieren und Objekte erkennen. Wir sehen das in einem Film, der in den frühen 1970er-Jahren im SRI entstand. Der Automat rollt durch seine Räume und verschiebt einen Block, so wie man es ihm auftrug. Er lässt sich auch nicht durch einen Kobold ablenken, der Blöcke durcheinanderbringt; im dunklen Umhang steckt Projektleiter Charles Rosen. Das Wackeln beim Bremsen und Anfahren verdeutlicht, warum der Roboter den Namen Shakey trug.

Im Laufe des Jahres 1969 ging das System aus Roboter und Computer in Betrieb. 1970 berichtete die Illustrierte LIFE über „Shaky“, 1971 entdeckte ihn der SPIEGEL: „Einer der Labor-Gnome […] vermag in einem Zimmer umherzuschlurfen und sich mit Hilfe seiner TV-Glotzaugen die in dem Raum enthaltenen Gegenstände einzuprägen. Den Auftrag etwa, einen Karton vom Tisch zu holen, erledigt ‚Shakey‘ anschließend mit Umsicht: Er sucht eine Rampe, schiebt sie an den Tisch, rollt hinauf und läßt sodann den Karton behutsam zu Boden gleiten.“ Die Aktion ist im Foto unten dokumentiert.

Auf geht’s! Shakey rollt die Rampe hoch auf eine Plattform. (Foto DARPA)

Typisch für Shakey waren neben dem Zittern längere Denkpausen. In ihnen analysierte der angeschlossene Computer die Umgebung und ermittelte eine Strategie, mit der der Roboter seinen Auftrag erfüllen konnte. Bald erschienen Nachahmer, die schottischen Automaten Freddie und Freddie II. Sie  waren mit Rechnern des Typs Elliot 4130 und Honeywell H316 verknüpft.  Die Roboter waren ortsfest; der zweite Freddie hing zum Beispiel unter der Decke. Es bewegte sich aber die Arbeitsplatte, auf der er allerlei Gegenstände montierte.

1971 drehte das Pentagon Shakey den Geldhahn zu; insgesamt sollen 750.000 Dollar ins Projekt geflossen sein. 1972 wurde er stillgelegt; ab 1984 stand er im Computermuseum Boston. Heute ist er in Kalifornien im Computer History Museum ausgestellt. Charles Rosen starb 2002. Zwei Jahre später zog sein Geschöpf, der erste volldigitale und logisch vorgehende Automat der Welt, in die Ruhmeshalle der Robotik ein. Mit ihm geehrt wurden der japanische ASIMO, die Filmstars Robby und C-3PO sowie Comic-Held Astro Boy.

Das Eingangsbild zeigt Shakey in seiner Vitrine (Foto Marc Smith CC BY-SA 2.0 – das Bild wurde unten beschnitten). Mehr Bilder enthält die Galerie, weitere Texte stehen hier.

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