Und dann kam PowerPoint
Geschrieben am 02.02.2021 von HNF
Einst wurden Vorträge an der Wandtafel oder mit dem Episkop gehalten. Später griffen die Sprecher und Sprecherinnen zu Dias oder legten Folien auf den Overhead-Projektor. Am 20. April 1987 brachte die amerikanische Firma Forethought eine Software für Präsentationen heraus. Im gleichen Jahr kaufte Microsoft das junge Unternehmen. Danach entwickelte sich PowerPoint zum weltweit erfolgreichsten Beamer-Programm.
Am Anfang der PowerPoint-Geschichte steht ein großer Name: Whitfield Diffie, Informatiker, Mathematiker und Kryptologe. Zusammen mit dem amerikanischen Universitätsprofessor Martin Hellman erfand er 1976 die Kryptografie mit öffentlichem Schlüssel, die die Welt der Geheimschriften revolutionierte. Dass eine ähnliche Idee schon vorher einem englischen Geheimdienst-Forscher gekommen war, wurde erst Jahre später bekannt.
1981 arbeitete Diffie in Mountain View im Silicon Valley für die Firma BNR. Bell Northern Research, wie sie ausgeschrieben hieß, wurde von zwei kanadischen Telekommunikations-Unternehmen betrieben. Diffie hatte Zugang zu einem Großrechner, einer Workstation mit Grafik-Software, einem Fotosatz-Gerät und einem Laserdrucker. Als er einen Vortrag halten musste, fertigte er eine Dia-Serie mit Bildern an; sie zeigten zum Beispiel Kästen mit Text im Inneren und Kommentaren darunter. Es war die erste grafische und digitale Präsentation.
Ein Kollege von Whitfield Diffie war der 1943 geborene Robert Gaskins; in der Firma BNR leitete er die Computerforschung. Er hatte wegen seiner Aufsässigkeit keinen High-School-Abschluss gemacht, aber die staatlichen Prüfungen für die Hochschul-Zulassung bestanden. Von 1960 bis 1973 studierte er Ökonomie, Geschichte, englische Literatur und Informatik; in der Universität Berkeley erwarb er den Master-Grad. Dort erhielt er anschließend eine Stelle, wo er sich hauptsächlich mit Sprachverarbeitung befasste.
Im Mai 1978 wechselte Gaskins zu Bell Northern Research. Auf Dienstreisen erlebte er so manche Präsentationen und die technischen Mittel, die dabei verwendet wurden. Nach einem längeren Auslandsaufenthalt dachte er 1982 über Möglichkeiten nach, mit den sich schnell verbreitenden Mikrocomputern Geld zu verdienen. Dabei fiel ihm auf, dass immer mehr seiner Kollegen die Overhead-Folien zu Vorträgen am Rechner erstellten. Das Beispiel von Whitfield Diffie hatte Schule gemacht. Das brachte Gaskins auf eine Idee.
Im Juli 1984 schloss er sich der Forethought Inc. an. Die 1983 von zwei Apple-Angestellten gegründete Firma saß im Silicon-Valley-Städtchen Sunnyvale. Nach dem Start wollte sie eine Software für Personal Computer herausbringen, die eine grafische Benutzeroberfläche aufwies. Das Projekt scheiterte jedoch. Als Plan B wurde eine andere Geschäftsstrategie verfolgt: der Vertrieb von zugekauften Programmen. So erwarb Forethought eine Datenbank namens Nutshell und bot sie als FileMaker an.
Jahrelang stand die Firma kurz vor dem Bankrott. Robert Gaskins ließ sich aber nicht entmutigen und verfolgte seine alte Idee: ein Präsentationsprogramm für Mikrocomputer. Er stellte den Software-Entwickler Dennis Austin ein und begann mit der Arbeit. Das Ziel war die Gestaltung von Dias, Projektionsfolien, Flipcharts und Monitor-Bildern. 1987 lag das Ergebnis vor. Es hieß PowerPoint und war für den drei Jahre zuvor erschienenen Apple MacIntosh bestimmt. Am 22. Februar kündigte Forethought die Software auf einer Tagung an, ab dem 20. April wurde sie ausgeliefert.
Die ersten 10.000 Systeme waren binnen eines Monats verkauft. Sie spülten eine Million Dollar in die Kassen und retteten die Firma vor der Schließung. Aber schon am 28. April kam eine Gruppe von Managern zu Besuch; am 30. Juli 1987 wurde aus Forethought die Grafik-Abteilung von Microsoft, geleitet von Robert Gaskins. Bill Gates zahlte für die Übernahme 14 Millionen Dollar – so etwas ist heute ein Schnäppchenpreis. Klugerweise ließ er die Büros in Kalifornien und den Managern freie Hand beim Weiterentwickeln des Programms.
Im Mai 1988 brachte PowerPoint 2.0 Farbgrafiken. 1989 bot Microsoft die Software im Office-Paket für den Macintosh an. 1990 lief sie auf Windows-Computern; im November gab es sie dafür im Bündel mit Word und Excel. Mit den Windows-Typen begann die Erfolgsgeschichte des Programms. 1990 wurden 200.000 Exemplare abgesetzt, 1992 eine Million. 80 Prozent waren auf Windows- und 20 Prozent auf Apple-Rechnern gespeichert. Im gleichen Jahr erschien PowerPoint 3.0; nun konnte man die einzelnen Seiten auch an die Wand beamen.
Robert Gaskins sagte Microsoft Ade und zog 1994 nach London. Hier widmete er sich seinem Hobby, der Geschichte der englischen Ziehharmonika. Seit 2004 lebt er in San Francisco; seine Homepage ist eine Schatzkammer zur PowerPoint-Geschichte. Der SPIEGEL erwähnte die Software 1998 und noch mit Gänsefüßchen; er verknüpfte sie mit einem Programm des deutschen Computergrafikers Kai Krause. PowerPoint entwickelte sich zur beherrschenden Präsentationstechnik; Konkurrenten sind Keynote von Apple und Prezi aus Ungarn.
Die Popularität von PowerPoint rief schon in den 1990er-Jahren Kritiker auf den Plan. Der Hauptvorwurf lautete, dass die Software die Inhalte zur Nebensache machen würde. 1998 schrieb der Journalist David Searls: „Es ist nicht Deine Präsentation. Es ist Deine Version einer PowerPoint-Präsentation.” Attackiert wurden auch die Auflistungen mit den dicken Punkten. Der amerikanische Informatik-Professor Edward Tufte führte 2003 den Absturz der Space Shuttle „Columbia“ auf ein irreführendes PowerPoint-Referat zurück.
„Ist Powerpoint gefährlich?“ fragte 2010 Thomas Steinfeld, der Feuilleton-Chef der „Süddeutschen Zeitung“. In den 2000er-Jahren finanzierte die DFG ein Forschungsprojekt zu der Software; 2007 erschienen dazu ein Buch. 2009 gaben der Informatiker Wolfgang Coy und der Medienwissenschaftler Claus Pias einen Aufsatzband heraus, der PowerPoint verteidigte. Mittlerweile haben sich die Gemüter wieder beruhigt, und auch das Erzbistum Paderborn verwendet das Programm. Achtung, der Link führt zu einer PowerPoint-Datei!