Von Heinrich Weizenbaum und Henry Sherwood
Geschrieben am 06.02.2024 von HNF
2023 war das Joseph-Weizenbaum-Jahr, denn der KI-Pionier und Computerkritiker wurde 1923 in Berlin geboren. Sein Bruder Heinrich kam im November 1921 am gleichen Ort zur Welt; er befasste sich ebenfalls mit der Informatik. Er nahm den Namen Henry Sherwood an und wurde ein erfolgreicher Unternehmensberater. Daneben sammelte er Informationen zur östlichen Computertechnik für die CIA.
Im Eingangsbild (Foto Il Mare Film) ist Henry Sherwood der Mann genau in der Mitte. Rechts von ihm stehen seine Mutter Henriette Weizenbaum und sein Vater, der Kürschner Jechiel Weizenbaum. Links schauen Halbbruder Leo und ganz links der jüngere Bruder Joseph in die Kamera. Er wurde später ein angesehener Informatiker und Technikkritiker.
Unser Bild entstand 1951 in Detroit. Als Henry Sherwood am 22. November 1921 in Berlin geboren wurde, hieß er Heinrich Weizenbaum; am 8. Januar 1923 erhielt er einen kleinen Bruder mit Namen Joseph. Im Januar 1936 emigrierten die vier Weizenbaums in die USA, dort lebten Verwandte von ihnen und ein Sohn von Jechiel Weizenbaum aus seiner erster Ehe. Heinrich lernte schnell Englisch und absolvierte in Detroit die High School. Danach sollte er Kürschner werden wie sein Vater. Als er sich weigerte, setzte ihn der Vater vor die Tür.
Heinrich Weizenbaum fand Arbeit in einem Detroiter Kaufhaus und Menschen, die sich um ihn kümmerten. Es waren Katholiken; 1940 konvertierte Heinrich zum Katholizismus. Im September 1942 trat er in die Armee ein, im Juni 1943 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Dabei durfte er den Namen ändern. Heinrich Weizenbaum nannte sich Henry F. Sherwood nach dem legendären Wald, in dem einst Robin Hood lebte. Das F stand für Francis – hier dachte er an den heiligen Franz von Assisi.
1944 und 1945 kämpfte Sherwood im Pazifik, nach der Kapitulation Japans gehörte er zu den US-Besatzungstruppen. Als Kriegsveteran konnte er ab 1946 auf Staatskosten studieren. Sherwood wählte das Fach Betriebswirtschaft. Nach dem Abschluss arbeitete er in mehreren Firmen. 1955 ging er zur EDV-Abteilung von Sperry Rand, besser bekannt als Univac; 1962 schloss er sich dem Computerhersteller Burroughs an. Ab 1966 leitete er von Frankfurt aus das europäische Forschungsprogramm der globalen Unternehmensberatung Diebold.
In dieser Funktion organisierte Henry Sherwood Konferenzen in wechselnden Städten, die die Fortschritte der Datenverarbeitung behandelten. An ihnen nahmen auch Abgesandte aus sozialistischen Ländern teil; er selbst bereiste den Ostblock bis nach Sibirien. 1975 gründete er eine eigene Consulting-Firma H. F. Sherwood & Associates mit Sitz in Bad Homburg. Sie befasste sich schon mit Einbrüchen in Computernetze; die Presse nahm das Thema damals noch zurückhaltend auf.
In den frühen 1980er-Jahren zog sich Sherwood aus dem Geschäft zurück. Mit seiner zweiten Frau Irene ließ er sich in Hossegor im Südwesten Frankreichs nieder. Mit seiner ersten Frau Virginia – die Ehe wurde 1969 geschieden – hatte Sherwood neun Töchter, der zweiten Ehe entstammte sein Sohn David. Henry Sherwood starb am 25. Juli 2005 in Bayonne. In der Zeit davor half er einem amerikanischen Freund bei der Abfassung der Biografie The Secret Files of Henry F. Sherwood. Wir bedanken uns bei Christian Strippel vom Weizenbaum-Institut, der uns ein Exemplar zur Verfügung stellte.
Wie der Titel des Buches andeutet, hatte Sherwood eine verborgene Seite; er arbeitete gelegentlich und honorarfrei für den Geheimdienst CIA. Das erste Mal tat er es in den 1960er-Jahren in den USA, als ihn ein sowjetischer Diplomat ansprach. Sherwood blieb mit ihm jahrelang in Kontakt. Wahrscheinlich versorgte er ihn mit Informationen zur westlichen Technik, deren Abgabe die CIA erlaubte. Im Gegenzug dürfte er etwas über russische Computer erfahren haben. In seiner Diebold-Zeit setzte Sherwood diese Aktivität fort und dehnte sie auf die DDR aus.
Die DDR-Staatssicherheit reagierte darauf mit Observationen bei Diebold-Tagungen. In der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin fand Henry Sherwood später fünf Ordner über sich. Ein sechster verschwand. Er enthielt die Berichte des Spions Günter Guillaume, der zum Freundeskreis des Diebold-Managers gehörte, wobei Sherwood nicht ahnte, wer sich hinter dem Referenten von Bundeskanzler Willy Brandt verbarg. Im Online-Archive der CIA könnten Texte erhalten sein, an denen Sherwood mitwirkte. Thematisch und zeitlich passen würden Beiträge von 1966, 1969 und 1971 sowie vom Juli und August 1973.
Henry Sherwood ließ sich gern mit prominenten Politikern und Wirtschaftsführern ablichten. Im Netz ist ein unscharfes Foto, das ihn mit seinem Bruder Joseph zeigt. Katja Wollenberg vom Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung entdeckte aber weitere Sherwood-Portraits, die der Fotojournalist Jupp Darchinger aufnahm.
Ich empfehle diesen Blog mal den Verantwortlichen von Diebold Nixdorf zu übermitteln. Als nicht ganz so kleines Unternehmen müssten die auch mal was für die Unternehmensgeschichte auf amerikanischer Seite tun. Ansonsten wieder eine top recherchierte Geschichte: unglaublich, was da für Zusammenhänge existierten.